Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.einander wirkten, sieht die Partei, die jetzt obenauf ist, die Religion als anti¬ Patriotische Franzosen, die von der Wiedererlangung Elsaß-Lothringens einander wirkten, sieht die Partei, die jetzt obenauf ist, die Religion als anti¬ Patriotische Franzosen, die von der Wiedererlangung Elsaß-Lothringens <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198558"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406"> einander wirkten, sieht die Partei, die jetzt obenauf ist, die Religion als anti¬<lb/> republikanisch an und führt Krieg mit den Priestern, auch wo sie dem Staate<lb/> nicht zu schaden suchen. Die Republik macht sich damit zahlreiche Feinde, unter<lb/> denen die vom weiblichen Geschlechte nicht die ungefährlichsten sind, weil sie<lb/> nicht wählen und nicht in der Kammer reden und stimmen dürfen. Und während<lb/> die Republikaner die Kirche verfolgen, werden sie selbst von einem wilden So¬<lb/> zialismus in ihrer Herrschaft bedroht, diesem unterirdischen Feuer, das in De-<lb/> eazcville bereits seine Natur zeigte und das, wenn es einmal in stärkerer Flamme<lb/> zu Tage bricht, gewiß vor opportunistischen Ministern nicht mehr Respekt haben<lb/> wird als diese vor Prinzen und Bischöfen. Diese letztere Gefahr wird wie in<lb/> andern Ländern so auch in Frankreich alle Parteien einander nähern, denen<lb/> an einer festen Ordnung gelegen sein muß.</p><lb/> <p xml:id="ID_1408"> Patriotische Franzosen, die von der Wiedererlangung Elsaß-Lothringens<lb/> träumen, könnten sich zu dem Orleanismus hingezogen fühlen, weil er Aus¬<lb/> sichten auf ein Bündnis mit auswärtigen Mächten eröffnen würde, wenn er<lb/> gekrönt wäre. Nach der Natur der Dinge bietet eine französische Republik<lb/> einer fremden Monarchie nicht die Sicherheit, die ein monarchisch regiertes<lb/> Frankreich gewähren würde. Welcher Souverän könnte geneigt sein, sich mit<lb/> Ministern über ein Bündnis zu verabreden, die morgen von einer Kammcr-<lb/> mehrheit gestürzt werden können? Selbst ein französischer Präsident lebt als<lb/> solcher nur bis zur nächsten Wahl, allergünstigstenfalls sieben Jahre. Der<lb/> deutsche Kanzler erkannte dies: er sah voraus, daß eine Republik die Mehrheit<lb/> der Franzosen in innern Angelegenheiten befriedige», ihre auswärtige Politik<lb/> aber zur Vereinzelung und Ohnmacht verurteilen würde. Die fünfzehn Jahre<lb/> seit 1871 haben ihm Recht gegeben: Frankreich ist nicht wieder zu seiner frühern<lb/> gebietenden Stellung in Europa gelangt. Es nimmt seinen Platz neben den<lb/> übrigen Mächten ein, übt aber kein Übergewicht mehr und hat nicht einmal<lb/> so viel Einfluß, um eine Gruppe um sich zu bilden. Es hat mit seiner grie¬<lb/> chischen Politik sein Ansehen nicht wiederhergestellt, es ist in Ägypten und<lb/> Tonking matt gesetzt worden. Chauvinistische Gemüter mit Erinnerungen an<lb/> den „großen Monarchen," an Napoleons Eroberungen und sein „Parterre von<lb/> Königen," an des kleinern Neffen Einfluß und Schiedsrichtcrschaft mag das<lb/> wurmen, aber wir sehen nicht ein, daß die Schwäche der auswärtigen Politik<lb/> Frankreichs im Interesse Europas oder auch nur im rechtverstcmdnen Interesse<lb/> Frankreichs zu beklagen sei. Der Ehrgeiz und die Anmaßung Ludwigs des<lb/> Vierzehnten und der beiden Kaiser aus dem Hause Bonaparte brachten unsern<lb/> Nachbarn schließlich nichts als Unheil und überschwemmten die übrige Welt<lb/> mit, Blut und Staatsschulden. Eine Republik, die Frieden zu halten genötigt<lb/> ist, versöhnt mit sich die Steuerzahler in Frankreich und außerhalb. Von dieser<lb/> Seite des Bildes wird also der Graf von Paris nicht zur Erhebung auf den<lb/> Thron empfohlen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
einander wirkten, sieht die Partei, die jetzt obenauf ist, die Religion als anti¬
republikanisch an und führt Krieg mit den Priestern, auch wo sie dem Staate
nicht zu schaden suchen. Die Republik macht sich damit zahlreiche Feinde, unter
denen die vom weiblichen Geschlechte nicht die ungefährlichsten sind, weil sie
nicht wählen und nicht in der Kammer reden und stimmen dürfen. Und während
die Republikaner die Kirche verfolgen, werden sie selbst von einem wilden So¬
zialismus in ihrer Herrschaft bedroht, diesem unterirdischen Feuer, das in De-
eazcville bereits seine Natur zeigte und das, wenn es einmal in stärkerer Flamme
zu Tage bricht, gewiß vor opportunistischen Ministern nicht mehr Respekt haben
wird als diese vor Prinzen und Bischöfen. Diese letztere Gefahr wird wie in
andern Ländern so auch in Frankreich alle Parteien einander nähern, denen
an einer festen Ordnung gelegen sein muß.
Patriotische Franzosen, die von der Wiedererlangung Elsaß-Lothringens
träumen, könnten sich zu dem Orleanismus hingezogen fühlen, weil er Aus¬
sichten auf ein Bündnis mit auswärtigen Mächten eröffnen würde, wenn er
gekrönt wäre. Nach der Natur der Dinge bietet eine französische Republik
einer fremden Monarchie nicht die Sicherheit, die ein monarchisch regiertes
Frankreich gewähren würde. Welcher Souverän könnte geneigt sein, sich mit
Ministern über ein Bündnis zu verabreden, die morgen von einer Kammcr-
mehrheit gestürzt werden können? Selbst ein französischer Präsident lebt als
solcher nur bis zur nächsten Wahl, allergünstigstenfalls sieben Jahre. Der
deutsche Kanzler erkannte dies: er sah voraus, daß eine Republik die Mehrheit
der Franzosen in innern Angelegenheiten befriedige», ihre auswärtige Politik
aber zur Vereinzelung und Ohnmacht verurteilen würde. Die fünfzehn Jahre
seit 1871 haben ihm Recht gegeben: Frankreich ist nicht wieder zu seiner frühern
gebietenden Stellung in Europa gelangt. Es nimmt seinen Platz neben den
übrigen Mächten ein, übt aber kein Übergewicht mehr und hat nicht einmal
so viel Einfluß, um eine Gruppe um sich zu bilden. Es hat mit seiner grie¬
chischen Politik sein Ansehen nicht wiederhergestellt, es ist in Ägypten und
Tonking matt gesetzt worden. Chauvinistische Gemüter mit Erinnerungen an
den „großen Monarchen," an Napoleons Eroberungen und sein „Parterre von
Königen," an des kleinern Neffen Einfluß und Schiedsrichtcrschaft mag das
wurmen, aber wir sehen nicht ein, daß die Schwäche der auswärtigen Politik
Frankreichs im Interesse Europas oder auch nur im rechtverstcmdnen Interesse
Frankreichs zu beklagen sei. Der Ehrgeiz und die Anmaßung Ludwigs des
Vierzehnten und der beiden Kaiser aus dem Hause Bonaparte brachten unsern
Nachbarn schließlich nichts als Unheil und überschwemmten die übrige Welt
mit, Blut und Staatsschulden. Eine Republik, die Frieden zu halten genötigt
ist, versöhnt mit sich die Steuerzahler in Frankreich und außerhalb. Von dieser
Seite des Bildes wird also der Graf von Paris nicht zur Erhebung auf den
Thron empfohlen.
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