Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreich und die Orleans.

von den Betreffenden übertreten worden ist. Die höchste Strafe der Art beträgt
fünf Jahre Gefängnis. Der Gesetzentwurf ist am 27. Mai in der Deputirten-
kammer eingebracht und die Dringlichkeit desselben beantragt worden. Nachdem
der Justizminister Demole die Paragraphen desselben verlesen, gab er einige
Erläuterungen dazu, in welchen er daran erinnerte, daß die Republik die gegen
die Prinzen gerichteten Gesetze abgeschafft habe und deshalb wohl zu der Er¬
wartung berechtigt gewesen sei, die Prinzen würden die Institutionen des Staates
achten. Diese Erwartung sei indessen getäuscht worden, denn die Prinzen hätten
jede Gelegenheit benutzt, um die Republik zu erschüttern. Daher halte die Re¬
gierung den Zeitpunkt für gekommen, diesem Zustande der Dinge ein Ende zu
machen- Nachdem die Mehrheit der Kammer hierauf die vom Minister beantragte
Dringlichkeit für die Beratung der Vorlage angenommen hatte und der Gesetz¬
entwurf an die Bureaus verwiesen worden war, stellte der Abgeordnete Vasly den
Antrag, die Güter der Familien, welche früher im Lande geherrscht, der franzö¬
sischen Nation zurückzuerstatten und damit eine Altersversorgnngskasse zu dvtiren,
ein Antrag, in Betreff dessen die Kammer ebenfalls die Dringlichkeit beschloß.

Das alles richtet sich formell zwar gegen alle, thatsächlich aber besonders
gegen die orlecmistischen Prinzen. Der Empfang im Hotel Galliera erinnerte
das französische Volk daran, daß es noch immer in seiner Mitte eine königliche
Familie hat, obwohl dieselbe nicht mehr regiert, und so hätte das Familienfest
auch dann einen politischen Zug gehabt, wenn der Graf von Paris nicht die
Diplomaten dazu eingeladen nud die monarchistische Presse bei Besprechung des¬
selben nicht den Mund zu voll genommen hätte. Dazu kommt, daß die Aus¬
sichten des Hauses Orleans auf den französischen Thron allerdings gegenwärtig
nichts weniger als glänzend, aber im allgemeinen nicht so schlecht sind, wie
Jules Simon behauptet. Er hat sich im voraus selbst widerlegt, wenn er, der
Republikaner, an jenem Empfangsabende im Hotel des Grafen von Paris er¬
schien, und warum thaten so viele Imperialisten desgleichen? Der Enkel Ludwig
Philipps mag noch so unbedeutend sein und sich noch so still verhalten, die
Welt kann doch nicht vergesse", daß er jetzt der einzige Vertreter des Rechts
der Bourbonen, der Legitimität ist. Das französische Königtum hat ferner in
ihm einen Repräsentanten, der nicht wie der frühere "Roy" in offen erklärtem
Gegensatze gegen die modernen Ideen in Staat und Kirche denkt und empfindet.
Der Graf von Paris würde, falls er einmal den Thron bestiege, keine Be¬
fürchtungen wegen einer feudalen Reaktion hervorrufen. Er hat gelernt und
vergessen, und er gilt für liberal gesinnt. Er würde sich nicht schlechter zu
einem konstitutionellen Herrscher eignen als die Könige von Italien und Belgien
und als der Prinz von Wales. Ferner spricht für ihn der Umstand, daß er
in Frankreich unter allen Vertretern des monarchistischen Gedankens der einzige
annehmbare ist, denn die Bonapartisten haben nur solche Kandidaten auf ihrer
Liste, die durch ihren Charakter ungefähr das Gegenteil von Achtung einflößen.


Frankreich und die Orleans.

von den Betreffenden übertreten worden ist. Die höchste Strafe der Art beträgt
fünf Jahre Gefängnis. Der Gesetzentwurf ist am 27. Mai in der Deputirten-
kammer eingebracht und die Dringlichkeit desselben beantragt worden. Nachdem
der Justizminister Demole die Paragraphen desselben verlesen, gab er einige
Erläuterungen dazu, in welchen er daran erinnerte, daß die Republik die gegen
die Prinzen gerichteten Gesetze abgeschafft habe und deshalb wohl zu der Er¬
wartung berechtigt gewesen sei, die Prinzen würden die Institutionen des Staates
achten. Diese Erwartung sei indessen getäuscht worden, denn die Prinzen hätten
jede Gelegenheit benutzt, um die Republik zu erschüttern. Daher halte die Re¬
gierung den Zeitpunkt für gekommen, diesem Zustande der Dinge ein Ende zu
machen- Nachdem die Mehrheit der Kammer hierauf die vom Minister beantragte
Dringlichkeit für die Beratung der Vorlage angenommen hatte und der Gesetz¬
entwurf an die Bureaus verwiesen worden war, stellte der Abgeordnete Vasly den
Antrag, die Güter der Familien, welche früher im Lande geherrscht, der franzö¬
sischen Nation zurückzuerstatten und damit eine Altersversorgnngskasse zu dvtiren,
ein Antrag, in Betreff dessen die Kammer ebenfalls die Dringlichkeit beschloß.

Das alles richtet sich formell zwar gegen alle, thatsächlich aber besonders
gegen die orlecmistischen Prinzen. Der Empfang im Hotel Galliera erinnerte
das französische Volk daran, daß es noch immer in seiner Mitte eine königliche
Familie hat, obwohl dieselbe nicht mehr regiert, und so hätte das Familienfest
auch dann einen politischen Zug gehabt, wenn der Graf von Paris nicht die
Diplomaten dazu eingeladen nud die monarchistische Presse bei Besprechung des¬
selben nicht den Mund zu voll genommen hätte. Dazu kommt, daß die Aus¬
sichten des Hauses Orleans auf den französischen Thron allerdings gegenwärtig
nichts weniger als glänzend, aber im allgemeinen nicht so schlecht sind, wie
Jules Simon behauptet. Er hat sich im voraus selbst widerlegt, wenn er, der
Republikaner, an jenem Empfangsabende im Hotel des Grafen von Paris er¬
schien, und warum thaten so viele Imperialisten desgleichen? Der Enkel Ludwig
Philipps mag noch so unbedeutend sein und sich noch so still verhalten, die
Welt kann doch nicht vergesse», daß er jetzt der einzige Vertreter des Rechts
der Bourbonen, der Legitimität ist. Das französische Königtum hat ferner in
ihm einen Repräsentanten, der nicht wie der frühere „Roy" in offen erklärtem
Gegensatze gegen die modernen Ideen in Staat und Kirche denkt und empfindet.
Der Graf von Paris würde, falls er einmal den Thron bestiege, keine Be¬
fürchtungen wegen einer feudalen Reaktion hervorrufen. Er hat gelernt und
vergessen, und er gilt für liberal gesinnt. Er würde sich nicht schlechter zu
einem konstitutionellen Herrscher eignen als die Könige von Italien und Belgien
und als der Prinz von Wales. Ferner spricht für ihn der Umstand, daß er
in Frankreich unter allen Vertretern des monarchistischen Gedankens der einzige
annehmbare ist, denn die Bonapartisten haben nur solche Kandidaten auf ihrer
Liste, die durch ihren Charakter ungefähr das Gegenteil von Achtung einflößen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198556"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreich und die Orleans.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1403" prev="#ID_1402"> von den Betreffenden übertreten worden ist. Die höchste Strafe der Art beträgt<lb/>
fünf Jahre Gefängnis. Der Gesetzentwurf ist am 27. Mai in der Deputirten-<lb/>
kammer eingebracht und die Dringlichkeit desselben beantragt worden. Nachdem<lb/>
der Justizminister Demole die Paragraphen desselben verlesen, gab er einige<lb/>
Erläuterungen dazu, in welchen er daran erinnerte, daß die Republik die gegen<lb/>
die Prinzen gerichteten Gesetze abgeschafft habe und deshalb wohl zu der Er¬<lb/>
wartung berechtigt gewesen sei, die Prinzen würden die Institutionen des Staates<lb/>
achten. Diese Erwartung sei indessen getäuscht worden, denn die Prinzen hätten<lb/>
jede Gelegenheit benutzt, um die Republik zu erschüttern. Daher halte die Re¬<lb/>
gierung den Zeitpunkt für gekommen, diesem Zustande der Dinge ein Ende zu<lb/>
machen- Nachdem die Mehrheit der Kammer hierauf die vom Minister beantragte<lb/>
Dringlichkeit für die Beratung der Vorlage angenommen hatte und der Gesetz¬<lb/>
entwurf an die Bureaus verwiesen worden war, stellte der Abgeordnete Vasly den<lb/>
Antrag, die Güter der Familien, welche früher im Lande geherrscht, der franzö¬<lb/>
sischen Nation zurückzuerstatten und damit eine Altersversorgnngskasse zu dvtiren,<lb/>
ein Antrag, in Betreff dessen die Kammer ebenfalls die Dringlichkeit beschloß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1404" next="#ID_1405"> Das alles richtet sich formell zwar gegen alle, thatsächlich aber besonders<lb/>
gegen die orlecmistischen Prinzen. Der Empfang im Hotel Galliera erinnerte<lb/>
das französische Volk daran, daß es noch immer in seiner Mitte eine königliche<lb/>
Familie hat, obwohl dieselbe nicht mehr regiert, und so hätte das Familienfest<lb/>
auch dann einen politischen Zug gehabt, wenn der Graf von Paris nicht die<lb/>
Diplomaten dazu eingeladen nud die monarchistische Presse bei Besprechung des¬<lb/>
selben nicht den Mund zu voll genommen hätte. Dazu kommt, daß die Aus¬<lb/>
sichten des Hauses Orleans auf den französischen Thron allerdings gegenwärtig<lb/>
nichts weniger als glänzend, aber im allgemeinen nicht so schlecht sind, wie<lb/>
Jules Simon behauptet. Er hat sich im voraus selbst widerlegt, wenn er, der<lb/>
Republikaner, an jenem Empfangsabende im Hotel des Grafen von Paris er¬<lb/>
schien, und warum thaten so viele Imperialisten desgleichen? Der Enkel Ludwig<lb/>
Philipps mag noch so unbedeutend sein und sich noch so still verhalten, die<lb/>
Welt kann doch nicht vergesse», daß er jetzt der einzige Vertreter des Rechts<lb/>
der Bourbonen, der Legitimität ist. Das französische Königtum hat ferner in<lb/>
ihm einen Repräsentanten, der nicht wie der frühere &#x201E;Roy" in offen erklärtem<lb/>
Gegensatze gegen die modernen Ideen in Staat und Kirche denkt und empfindet.<lb/>
Der Graf von Paris würde, falls er einmal den Thron bestiege, keine Be¬<lb/>
fürchtungen wegen einer feudalen Reaktion hervorrufen. Er hat gelernt und<lb/>
vergessen, und er gilt für liberal gesinnt. Er würde sich nicht schlechter zu<lb/>
einem konstitutionellen Herrscher eignen als die Könige von Italien und Belgien<lb/>
und als der Prinz von Wales. Ferner spricht für ihn der Umstand, daß er<lb/>
in Frankreich unter allen Vertretern des monarchistischen Gedankens der einzige<lb/>
annehmbare ist, denn die Bonapartisten haben nur solche Kandidaten auf ihrer<lb/>
Liste, die durch ihren Charakter ungefähr das Gegenteil von Achtung einflößen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] Frankreich und die Orleans. von den Betreffenden übertreten worden ist. Die höchste Strafe der Art beträgt fünf Jahre Gefängnis. Der Gesetzentwurf ist am 27. Mai in der Deputirten- kammer eingebracht und die Dringlichkeit desselben beantragt worden. Nachdem der Justizminister Demole die Paragraphen desselben verlesen, gab er einige Erläuterungen dazu, in welchen er daran erinnerte, daß die Republik die gegen die Prinzen gerichteten Gesetze abgeschafft habe und deshalb wohl zu der Er¬ wartung berechtigt gewesen sei, die Prinzen würden die Institutionen des Staates achten. Diese Erwartung sei indessen getäuscht worden, denn die Prinzen hätten jede Gelegenheit benutzt, um die Republik zu erschüttern. Daher halte die Re¬ gierung den Zeitpunkt für gekommen, diesem Zustande der Dinge ein Ende zu machen- Nachdem die Mehrheit der Kammer hierauf die vom Minister beantragte Dringlichkeit für die Beratung der Vorlage angenommen hatte und der Gesetz¬ entwurf an die Bureaus verwiesen worden war, stellte der Abgeordnete Vasly den Antrag, die Güter der Familien, welche früher im Lande geherrscht, der franzö¬ sischen Nation zurückzuerstatten und damit eine Altersversorgnngskasse zu dvtiren, ein Antrag, in Betreff dessen die Kammer ebenfalls die Dringlichkeit beschloß. Das alles richtet sich formell zwar gegen alle, thatsächlich aber besonders gegen die orlecmistischen Prinzen. Der Empfang im Hotel Galliera erinnerte das französische Volk daran, daß es noch immer in seiner Mitte eine königliche Familie hat, obwohl dieselbe nicht mehr regiert, und so hätte das Familienfest auch dann einen politischen Zug gehabt, wenn der Graf von Paris nicht die Diplomaten dazu eingeladen nud die monarchistische Presse bei Besprechung des¬ selben nicht den Mund zu voll genommen hätte. Dazu kommt, daß die Aus¬ sichten des Hauses Orleans auf den französischen Thron allerdings gegenwärtig nichts weniger als glänzend, aber im allgemeinen nicht so schlecht sind, wie Jules Simon behauptet. Er hat sich im voraus selbst widerlegt, wenn er, der Republikaner, an jenem Empfangsabende im Hotel des Grafen von Paris er¬ schien, und warum thaten so viele Imperialisten desgleichen? Der Enkel Ludwig Philipps mag noch so unbedeutend sein und sich noch so still verhalten, die Welt kann doch nicht vergesse», daß er jetzt der einzige Vertreter des Rechts der Bourbonen, der Legitimität ist. Das französische Königtum hat ferner in ihm einen Repräsentanten, der nicht wie der frühere „Roy" in offen erklärtem Gegensatze gegen die modernen Ideen in Staat und Kirche denkt und empfindet. Der Graf von Paris würde, falls er einmal den Thron bestiege, keine Be¬ fürchtungen wegen einer feudalen Reaktion hervorrufen. Er hat gelernt und vergessen, und er gilt für liberal gesinnt. Er würde sich nicht schlechter zu einem konstitutionellen Herrscher eignen als die Könige von Italien und Belgien und als der Prinz von Wales. Ferner spricht für ihn der Umstand, daß er in Frankreich unter allen Vertretern des monarchistischen Gedankens der einzige annehmbare ist, denn die Bonapartisten haben nur solche Kandidaten auf ihrer Liste, die durch ihren Charakter ungefähr das Gegenteil von Achtung einflößen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/490>, abgerufen am 04.07.2024.