Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreich und die Orleans.

Simon glauben, der mit seinem Erscheinen bei der Cour im Hotel Galliern
soviel Aufsehen erregte und der die Sache jetzt zu entschuldigen versucht. Er
berichtet: "Es waren dort gewiß mehr Bonapartisten als Orlcanisteu. Übrigen?
habe ich zwar bisweilen mit dem Grafen von Paris, nie dagegen mit dem
Herzoge von Anmale über Politik gesprochen. Aber ich glaube nicht, daß die
Orleauistcn auch nur entfernt Aussicht habe", zur Macht zu gelangen. Sollte
eine Revolution die gegenwärtige Regierung stürzen, so werden jene nach meiner
Ansicht keinen Vorteil davon haben. Als ich diese Meinung einmal gegen den
Grafen von Paris aussprach, fragte er mich, warum die Bonapartisten bessere
Aussichten haben sollten als er, und ich antwortete: Weil sie weniger gutmütig
sind." Gleichviel, was daran ist, die Flut der Entrüstung des republikanischen
Frankreichs über den großen Sonnabend des monarchischen ist im Rückgänge
begriffen, und der Ausweisungsgedanke ist erheblich verblaßt. Freycinet und
Grevy werden allen ihren Einfluß aufbieten, um hinsichtlich der Ausführung
der Maßregel freie Hand zu behalten und möglichst maßvoll verfahren zu
können. Eine sofortige Ausweisung wird nicht stattfinden. Freycinet meint
im Einvernehmen mit seinen Amtsgenossen, die Bahn der Gesetzgebung sei hier
dem Vorgehen mit einem Dekrete vorzuziehen, welches letztere sich ans das Recht
der Negierung, die Staatspolizei zu üben, stützen könnte. Man wird also in
der Kammer einen Gesetzentwurf einbringen, der wahrscheinlich im wesentlichen
eine Wiederholung der Bestimmungen des Nivetschen Amendements zu dem
Duchescheu Antrage sein wird, welcher im März d. I. verworfen wurde.
Duche wollte obligatorische und unverzügliche Ausweisung, Nivet dagegen er¬
kannte die Befugnis der Regierung, die Staatspolizei zu üben, ausdrücklich an
und stellte es ihrem Ermessen anheim, die Mitglieder der ehemaligen fran¬
zösischen Herrscherfamilien auszuweisen, wenn deren Anwesenheit die öffentliche
Ruhe gefährden sollte. Eine Strafbestimmung vervollständigte diese Anordnung.
Dieselbe lautete dahin, die Ausgewiesene" könnten, wenn sie ohne Erlaubnis
der Regierung nach Frankreich zurückkehren sollten, von dem Zuchtpolizeigerichtc
zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Einen ähnlichen Gesetzentwurf wird die
Regierung jetzt der Kammer zur Genehmigung vorlegen und wahrscheinlich
dessen Dringlichkeit betonen, um die parlamentarische Behandlung abzukürzen
und rascher das Votum des Senats verlangen zu können. --

Diese Erwartungen sind nach den neuesten Nachrichten aus Paris in allen
wesentlichen Punkten eingetroffen, nur ist die Regierung etwas energischer auf¬
getreten, als anfangs angenommen wurde. Der Ministerrat hat in Betreff der
Prinzen einen Gesetzentwurf festgestellt, der aus zwei Artikeln besteht. Der
erste ermächtigt den Minister des Innern, den Mitgliedern der Familien, welche
früher in Frankreich geherrscht haben, den Aufenthalt auf dem Gebiete des
letztern zu untersagen; der zweite bestimmt die Strafen, auf welche das Zncht-
Pvlizeigericht zu erkennen hat, wenn das Verbot des Verweilens in Frankreich


Grenzboten II. 1886. 61
Frankreich und die Orleans.

Simon glauben, der mit seinem Erscheinen bei der Cour im Hotel Galliern
soviel Aufsehen erregte und der die Sache jetzt zu entschuldigen versucht. Er
berichtet: „Es waren dort gewiß mehr Bonapartisten als Orlcanisteu. Übrigen?
habe ich zwar bisweilen mit dem Grafen von Paris, nie dagegen mit dem
Herzoge von Anmale über Politik gesprochen. Aber ich glaube nicht, daß die
Orleauistcn auch nur entfernt Aussicht habe«, zur Macht zu gelangen. Sollte
eine Revolution die gegenwärtige Regierung stürzen, so werden jene nach meiner
Ansicht keinen Vorteil davon haben. Als ich diese Meinung einmal gegen den
Grafen von Paris aussprach, fragte er mich, warum die Bonapartisten bessere
Aussichten haben sollten als er, und ich antwortete: Weil sie weniger gutmütig
sind." Gleichviel, was daran ist, die Flut der Entrüstung des republikanischen
Frankreichs über den großen Sonnabend des monarchischen ist im Rückgänge
begriffen, und der Ausweisungsgedanke ist erheblich verblaßt. Freycinet und
Grevy werden allen ihren Einfluß aufbieten, um hinsichtlich der Ausführung
der Maßregel freie Hand zu behalten und möglichst maßvoll verfahren zu
können. Eine sofortige Ausweisung wird nicht stattfinden. Freycinet meint
im Einvernehmen mit seinen Amtsgenossen, die Bahn der Gesetzgebung sei hier
dem Vorgehen mit einem Dekrete vorzuziehen, welches letztere sich ans das Recht
der Negierung, die Staatspolizei zu üben, stützen könnte. Man wird also in
der Kammer einen Gesetzentwurf einbringen, der wahrscheinlich im wesentlichen
eine Wiederholung der Bestimmungen des Nivetschen Amendements zu dem
Duchescheu Antrage sein wird, welcher im März d. I. verworfen wurde.
Duche wollte obligatorische und unverzügliche Ausweisung, Nivet dagegen er¬
kannte die Befugnis der Regierung, die Staatspolizei zu üben, ausdrücklich an
und stellte es ihrem Ermessen anheim, die Mitglieder der ehemaligen fran¬
zösischen Herrscherfamilien auszuweisen, wenn deren Anwesenheit die öffentliche
Ruhe gefährden sollte. Eine Strafbestimmung vervollständigte diese Anordnung.
Dieselbe lautete dahin, die Ausgewiesene» könnten, wenn sie ohne Erlaubnis
der Regierung nach Frankreich zurückkehren sollten, von dem Zuchtpolizeigerichtc
zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Einen ähnlichen Gesetzentwurf wird die
Regierung jetzt der Kammer zur Genehmigung vorlegen und wahrscheinlich
dessen Dringlichkeit betonen, um die parlamentarische Behandlung abzukürzen
und rascher das Votum des Senats verlangen zu können. —

Diese Erwartungen sind nach den neuesten Nachrichten aus Paris in allen
wesentlichen Punkten eingetroffen, nur ist die Regierung etwas energischer auf¬
getreten, als anfangs angenommen wurde. Der Ministerrat hat in Betreff der
Prinzen einen Gesetzentwurf festgestellt, der aus zwei Artikeln besteht. Der
erste ermächtigt den Minister des Innern, den Mitgliedern der Familien, welche
früher in Frankreich geherrscht haben, den Aufenthalt auf dem Gebiete des
letztern zu untersagen; der zweite bestimmt die Strafen, auf welche das Zncht-
Pvlizeigericht zu erkennen hat, wenn das Verbot des Verweilens in Frankreich


Grenzboten II. 1886. 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198555"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreich und die Orleans.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1401" prev="#ID_1400"> Simon glauben, der mit seinem Erscheinen bei der Cour im Hotel Galliern<lb/>
soviel Aufsehen erregte und der die Sache jetzt zu entschuldigen versucht. Er<lb/>
berichtet: &#x201E;Es waren dort gewiß mehr Bonapartisten als Orlcanisteu. Übrigen?<lb/>
habe ich zwar bisweilen mit dem Grafen von Paris, nie dagegen mit dem<lb/>
Herzoge von Anmale über Politik gesprochen. Aber ich glaube nicht, daß die<lb/>
Orleauistcn auch nur entfernt Aussicht habe«, zur Macht zu gelangen. Sollte<lb/>
eine Revolution die gegenwärtige Regierung stürzen, so werden jene nach meiner<lb/>
Ansicht keinen Vorteil davon haben. Als ich diese Meinung einmal gegen den<lb/>
Grafen von Paris aussprach, fragte er mich, warum die Bonapartisten bessere<lb/>
Aussichten haben sollten als er, und ich antwortete: Weil sie weniger gutmütig<lb/>
sind." Gleichviel, was daran ist, die Flut der Entrüstung des republikanischen<lb/>
Frankreichs über den großen Sonnabend des monarchischen ist im Rückgänge<lb/>
begriffen, und der Ausweisungsgedanke ist erheblich verblaßt. Freycinet und<lb/>
Grevy werden allen ihren Einfluß aufbieten, um hinsichtlich der Ausführung<lb/>
der Maßregel freie Hand zu behalten und möglichst maßvoll verfahren zu<lb/>
können. Eine sofortige Ausweisung wird nicht stattfinden. Freycinet meint<lb/>
im Einvernehmen mit seinen Amtsgenossen, die Bahn der Gesetzgebung sei hier<lb/>
dem Vorgehen mit einem Dekrete vorzuziehen, welches letztere sich ans das Recht<lb/>
der Negierung, die Staatspolizei zu üben, stützen könnte. Man wird also in<lb/>
der Kammer einen Gesetzentwurf einbringen, der wahrscheinlich im wesentlichen<lb/>
eine Wiederholung der Bestimmungen des Nivetschen Amendements zu dem<lb/>
Duchescheu Antrage sein wird, welcher im März d. I. verworfen wurde.<lb/>
Duche wollte obligatorische und unverzügliche Ausweisung, Nivet dagegen er¬<lb/>
kannte die Befugnis der Regierung, die Staatspolizei zu üben, ausdrücklich an<lb/>
und stellte es ihrem Ermessen anheim, die Mitglieder der ehemaligen fran¬<lb/>
zösischen Herrscherfamilien auszuweisen, wenn deren Anwesenheit die öffentliche<lb/>
Ruhe gefährden sollte. Eine Strafbestimmung vervollständigte diese Anordnung.<lb/>
Dieselbe lautete dahin, die Ausgewiesene» könnten, wenn sie ohne Erlaubnis<lb/>
der Regierung nach Frankreich zurückkehren sollten, von dem Zuchtpolizeigerichtc<lb/>
zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Einen ähnlichen Gesetzentwurf wird die<lb/>
Regierung jetzt der Kammer zur Genehmigung vorlegen und wahrscheinlich<lb/>
dessen Dringlichkeit betonen, um die parlamentarische Behandlung abzukürzen<lb/>
und rascher das Votum des Senats verlangen zu können. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1402" next="#ID_1403"> Diese Erwartungen sind nach den neuesten Nachrichten aus Paris in allen<lb/>
wesentlichen Punkten eingetroffen, nur ist die Regierung etwas energischer auf¬<lb/>
getreten, als anfangs angenommen wurde. Der Ministerrat hat in Betreff der<lb/>
Prinzen einen Gesetzentwurf festgestellt, der aus zwei Artikeln besteht. Der<lb/>
erste ermächtigt den Minister des Innern, den Mitgliedern der Familien, welche<lb/>
früher in Frankreich geherrscht haben, den Aufenthalt auf dem Gebiete des<lb/>
letztern zu untersagen; der zweite bestimmt die Strafen, auf welche das Zncht-<lb/>
Pvlizeigericht zu erkennen hat, wenn das Verbot des Verweilens in Frankreich</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1886. 61</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] Frankreich und die Orleans. Simon glauben, der mit seinem Erscheinen bei der Cour im Hotel Galliern soviel Aufsehen erregte und der die Sache jetzt zu entschuldigen versucht. Er berichtet: „Es waren dort gewiß mehr Bonapartisten als Orlcanisteu. Übrigen? habe ich zwar bisweilen mit dem Grafen von Paris, nie dagegen mit dem Herzoge von Anmale über Politik gesprochen. Aber ich glaube nicht, daß die Orleauistcn auch nur entfernt Aussicht habe«, zur Macht zu gelangen. Sollte eine Revolution die gegenwärtige Regierung stürzen, so werden jene nach meiner Ansicht keinen Vorteil davon haben. Als ich diese Meinung einmal gegen den Grafen von Paris aussprach, fragte er mich, warum die Bonapartisten bessere Aussichten haben sollten als er, und ich antwortete: Weil sie weniger gutmütig sind." Gleichviel, was daran ist, die Flut der Entrüstung des republikanischen Frankreichs über den großen Sonnabend des monarchischen ist im Rückgänge begriffen, und der Ausweisungsgedanke ist erheblich verblaßt. Freycinet und Grevy werden allen ihren Einfluß aufbieten, um hinsichtlich der Ausführung der Maßregel freie Hand zu behalten und möglichst maßvoll verfahren zu können. Eine sofortige Ausweisung wird nicht stattfinden. Freycinet meint im Einvernehmen mit seinen Amtsgenossen, die Bahn der Gesetzgebung sei hier dem Vorgehen mit einem Dekrete vorzuziehen, welches letztere sich ans das Recht der Negierung, die Staatspolizei zu üben, stützen könnte. Man wird also in der Kammer einen Gesetzentwurf einbringen, der wahrscheinlich im wesentlichen eine Wiederholung der Bestimmungen des Nivetschen Amendements zu dem Duchescheu Antrage sein wird, welcher im März d. I. verworfen wurde. Duche wollte obligatorische und unverzügliche Ausweisung, Nivet dagegen er¬ kannte die Befugnis der Regierung, die Staatspolizei zu üben, ausdrücklich an und stellte es ihrem Ermessen anheim, die Mitglieder der ehemaligen fran¬ zösischen Herrscherfamilien auszuweisen, wenn deren Anwesenheit die öffentliche Ruhe gefährden sollte. Eine Strafbestimmung vervollständigte diese Anordnung. Dieselbe lautete dahin, die Ausgewiesene» könnten, wenn sie ohne Erlaubnis der Regierung nach Frankreich zurückkehren sollten, von dem Zuchtpolizeigerichtc zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Einen ähnlichen Gesetzentwurf wird die Regierung jetzt der Kammer zur Genehmigung vorlegen und wahrscheinlich dessen Dringlichkeit betonen, um die parlamentarische Behandlung abzukürzen und rascher das Votum des Senats verlangen zu können. — Diese Erwartungen sind nach den neuesten Nachrichten aus Paris in allen wesentlichen Punkten eingetroffen, nur ist die Regierung etwas energischer auf¬ getreten, als anfangs angenommen wurde. Der Ministerrat hat in Betreff der Prinzen einen Gesetzentwurf festgestellt, der aus zwei Artikeln besteht. Der erste ermächtigt den Minister des Innern, den Mitgliedern der Familien, welche früher in Frankreich geherrscht haben, den Aufenthalt auf dem Gebiete des letztern zu untersagen; der zweite bestimmt die Strafen, auf welche das Zncht- Pvlizeigericht zu erkennen hat, wenn das Verbot des Verweilens in Frankreich Grenzboten II. 1886. 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/489>, abgerufen am 24.07.2024.