Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Luthcrspiele in Erfurt und I""a.

Häuser nicht gelungen scheint, die Aufführungen auch mir vorübergehend i" den
Mittelpunkt des Interesses zu rücken, wie verloren und zufällig würden sie sich
in der Reichshauptstadt ausnehmen!

Doch vor allen Betrachtungen sind wir den Bericht über die Eindrücke des
Erfurter Lutherspiels selbst schuldig. Die Bühne, auf welcher Herrigs Dichtung
in Szene geht, erinnert in gewisser Weise an das, was uns über die altenglische
Bühne berichtet wird. Ein Podium von großer Breite und geringer Tiefe ist
mit dem Zuschauerraum durch eine herabführende Treppe verbunden. Als
einzige Dekoration oder vielmehr als Hintergrund zu den Bildern des Spiels
selbst dient ein mächtiger dunkler Vorhang, der sich in solchen Szenen, welche
in geschlossenem Raum vorgehe", zu einer geschickt angeordneten Nische faltet.
Ehrensold und Rnthsherr, deren Unterredung uns eingangs über die Besonder¬
heit des Spiels ins Klare setzen, bilden eine Art idealer Zuschauerschaft, nehmen
auf Sitzen am Fuße der obenerwähnten Treppe Platz und treten von Zeit zu
Zeit wieder auf das Podium, "in durch ihr Gespräch die Pausen zwischen den
einzelnen Teilen des Gedichts zu füllen und, ganz in der Weise des alten Pro-
logus, zu berichten, was nicht dargestellt werden kaun und soll. Denn das
"kirchliche Festspiel," wie Hans Herrig seine Dichtung bezeichnet, verzichtet nicht
nur auf den dramatischen Aufbau, die dramatische Spannung und Steigerung
im engern Sinne, sondern auch auf eine große Anzahl von Momenten aus
Luthers Leben, welche sehr wohl dargestellt werden könnten, aber das Spiel in
eine dramatische Biographie verwandeln würden. Herrig greift ganz folgerichtig
alle diejenigen Momente von Luthers Wesen und Entwicklung heraus, welche
vorzugsweise im protestantischen Volksbewußtsein leben, er fuhrt die grimmen
innern Kämpfe des jungen Mönches, den Anschlag der Thesen, die Verbrennung
der Bannbulle, den Reichstag zu Worms, die Bibelübersetzung auf der Wart¬
burg, das unerschrockene Auftreten des Reformators gegen Bilderstürmer und
aufrührerische Bauern, das Hausleben Luthers an der Seite seiner Käthe, im
Kreise seiner Kinder, seiner Freunde vor; das sind in der That die Hauptzüge,
mit denen Luthers Gestalt im Gedächtnis von Tausenden steht, und das Be¬
streben Herrigs ging dahin, diese Hauptzüge in schlichter Treue, mit Kraft und
Innigkeit zu erfassen, sie durch eine liebevolle Ausführung ganz lebendig und
wirksam zu machen. Ans diesem Wege ist freilich kein Drama, kein Schauspiel
im engern Sinne entstanden, immerhin aber eine Dichtung, deren einzelne Bilder
doch wie dramatische Szenen wirken und die vor allein dadurch ausgezeichnet ist,
daß sie sich nicht auf die Wirksamkeit der gangbare" Phrase verläßt, sondern
in die Seele ihres Helden hinabzusteigen sucht und die innern Kämpfe, die
Überzeugungen Luthers oft in glücklichster, kernig bildlicher Weise zum Ausdruck
bringt. In diesem Betracht sind die minder bewegten Szenen des Spiels: die
Unterredungen Luthers mit Stanpitz im Augustinerkloster, die Szenen auf
der Wartburg vielleicht die ergreifendsten und wirksamsten. Natürlich verläuft


Luthcrspiele in Erfurt und I«"a.

Häuser nicht gelungen scheint, die Aufführungen auch mir vorübergehend i» den
Mittelpunkt des Interesses zu rücken, wie verloren und zufällig würden sie sich
in der Reichshauptstadt ausnehmen!

Doch vor allen Betrachtungen sind wir den Bericht über die Eindrücke des
Erfurter Lutherspiels selbst schuldig. Die Bühne, auf welcher Herrigs Dichtung
in Szene geht, erinnert in gewisser Weise an das, was uns über die altenglische
Bühne berichtet wird. Ein Podium von großer Breite und geringer Tiefe ist
mit dem Zuschauerraum durch eine herabführende Treppe verbunden. Als
einzige Dekoration oder vielmehr als Hintergrund zu den Bildern des Spiels
selbst dient ein mächtiger dunkler Vorhang, der sich in solchen Szenen, welche
in geschlossenem Raum vorgehe», zu einer geschickt angeordneten Nische faltet.
Ehrensold und Rnthsherr, deren Unterredung uns eingangs über die Besonder¬
heit des Spiels ins Klare setzen, bilden eine Art idealer Zuschauerschaft, nehmen
auf Sitzen am Fuße der obenerwähnten Treppe Platz und treten von Zeit zu
Zeit wieder auf das Podium, »in durch ihr Gespräch die Pausen zwischen den
einzelnen Teilen des Gedichts zu füllen und, ganz in der Weise des alten Pro-
logus, zu berichten, was nicht dargestellt werden kaun und soll. Denn das
„kirchliche Festspiel," wie Hans Herrig seine Dichtung bezeichnet, verzichtet nicht
nur auf den dramatischen Aufbau, die dramatische Spannung und Steigerung
im engern Sinne, sondern auch auf eine große Anzahl von Momenten aus
Luthers Leben, welche sehr wohl dargestellt werden könnten, aber das Spiel in
eine dramatische Biographie verwandeln würden. Herrig greift ganz folgerichtig
alle diejenigen Momente von Luthers Wesen und Entwicklung heraus, welche
vorzugsweise im protestantischen Volksbewußtsein leben, er fuhrt die grimmen
innern Kämpfe des jungen Mönches, den Anschlag der Thesen, die Verbrennung
der Bannbulle, den Reichstag zu Worms, die Bibelübersetzung auf der Wart¬
burg, das unerschrockene Auftreten des Reformators gegen Bilderstürmer und
aufrührerische Bauern, das Hausleben Luthers an der Seite seiner Käthe, im
Kreise seiner Kinder, seiner Freunde vor; das sind in der That die Hauptzüge,
mit denen Luthers Gestalt im Gedächtnis von Tausenden steht, und das Be¬
streben Herrigs ging dahin, diese Hauptzüge in schlichter Treue, mit Kraft und
Innigkeit zu erfassen, sie durch eine liebevolle Ausführung ganz lebendig und
wirksam zu machen. Ans diesem Wege ist freilich kein Drama, kein Schauspiel
im engern Sinne entstanden, immerhin aber eine Dichtung, deren einzelne Bilder
doch wie dramatische Szenen wirken und die vor allein dadurch ausgezeichnet ist,
daß sie sich nicht auf die Wirksamkeit der gangbare» Phrase verläßt, sondern
in die Seele ihres Helden hinabzusteigen sucht und die innern Kämpfe, die
Überzeugungen Luthers oft in glücklichster, kernig bildlicher Weise zum Ausdruck
bringt. In diesem Betracht sind die minder bewegten Szenen des Spiels: die
Unterredungen Luthers mit Stanpitz im Augustinerkloster, die Szenen auf
der Wartburg vielleicht die ergreifendsten und wirksamsten. Natürlich verläuft


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198549"/>
          <fw type="header" place="top"> Luthcrspiele in Erfurt und I«"a.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1390" prev="#ID_1389"> Häuser nicht gelungen scheint, die Aufführungen auch mir vorübergehend i» den<lb/>
Mittelpunkt des Interesses zu rücken, wie verloren und zufällig würden sie sich<lb/>
in der Reichshauptstadt ausnehmen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1391" next="#ID_1392"> Doch vor allen Betrachtungen sind wir den Bericht über die Eindrücke des<lb/>
Erfurter Lutherspiels selbst schuldig. Die Bühne, auf welcher Herrigs Dichtung<lb/>
in Szene geht, erinnert in gewisser Weise an das, was uns über die altenglische<lb/>
Bühne berichtet wird. Ein Podium von großer Breite und geringer Tiefe ist<lb/>
mit dem Zuschauerraum durch eine herabführende Treppe verbunden. Als<lb/>
einzige Dekoration oder vielmehr als Hintergrund zu den Bildern des Spiels<lb/>
selbst dient ein mächtiger dunkler Vorhang, der sich in solchen Szenen, welche<lb/>
in geschlossenem Raum vorgehe», zu einer geschickt angeordneten Nische faltet.<lb/>
Ehrensold und Rnthsherr, deren Unterredung uns eingangs über die Besonder¬<lb/>
heit des Spiels ins Klare setzen, bilden eine Art idealer Zuschauerschaft, nehmen<lb/>
auf Sitzen am Fuße der obenerwähnten Treppe Platz und treten von Zeit zu<lb/>
Zeit wieder auf das Podium, »in durch ihr Gespräch die Pausen zwischen den<lb/>
einzelnen Teilen des Gedichts zu füllen und, ganz in der Weise des alten Pro-<lb/>
logus, zu berichten, was nicht dargestellt werden kaun und soll. Denn das<lb/>
&#x201E;kirchliche Festspiel," wie Hans Herrig seine Dichtung bezeichnet, verzichtet nicht<lb/>
nur auf den dramatischen Aufbau, die dramatische Spannung und Steigerung<lb/>
im engern Sinne, sondern auch auf eine große Anzahl von Momenten aus<lb/>
Luthers Leben, welche sehr wohl dargestellt werden könnten, aber das Spiel in<lb/>
eine dramatische Biographie verwandeln würden. Herrig greift ganz folgerichtig<lb/>
alle diejenigen Momente von Luthers Wesen und Entwicklung heraus, welche<lb/>
vorzugsweise im protestantischen Volksbewußtsein leben, er fuhrt die grimmen<lb/>
innern Kämpfe des jungen Mönches, den Anschlag der Thesen, die Verbrennung<lb/>
der Bannbulle, den Reichstag zu Worms, die Bibelübersetzung auf der Wart¬<lb/>
burg, das unerschrockene Auftreten des Reformators gegen Bilderstürmer und<lb/>
aufrührerische Bauern, das Hausleben Luthers an der Seite seiner Käthe, im<lb/>
Kreise seiner Kinder, seiner Freunde vor; das sind in der That die Hauptzüge,<lb/>
mit denen Luthers Gestalt im Gedächtnis von Tausenden steht, und das Be¬<lb/>
streben Herrigs ging dahin, diese Hauptzüge in schlichter Treue, mit Kraft und<lb/>
Innigkeit zu erfassen, sie durch eine liebevolle Ausführung ganz lebendig und<lb/>
wirksam zu machen. Ans diesem Wege ist freilich kein Drama, kein Schauspiel<lb/>
im engern Sinne entstanden, immerhin aber eine Dichtung, deren einzelne Bilder<lb/>
doch wie dramatische Szenen wirken und die vor allein dadurch ausgezeichnet ist,<lb/>
daß sie sich nicht auf die Wirksamkeit der gangbare» Phrase verläßt, sondern<lb/>
in die Seele ihres Helden hinabzusteigen sucht und die innern Kämpfe, die<lb/>
Überzeugungen Luthers oft in glücklichster, kernig bildlicher Weise zum Ausdruck<lb/>
bringt. In diesem Betracht sind die minder bewegten Szenen des Spiels: die<lb/>
Unterredungen Luthers mit Stanpitz im Augustinerkloster, die Szenen auf<lb/>
der Wartburg vielleicht die ergreifendsten und wirksamsten.  Natürlich verläuft</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] Luthcrspiele in Erfurt und I«"a. Häuser nicht gelungen scheint, die Aufführungen auch mir vorübergehend i» den Mittelpunkt des Interesses zu rücken, wie verloren und zufällig würden sie sich in der Reichshauptstadt ausnehmen! Doch vor allen Betrachtungen sind wir den Bericht über die Eindrücke des Erfurter Lutherspiels selbst schuldig. Die Bühne, auf welcher Herrigs Dichtung in Szene geht, erinnert in gewisser Weise an das, was uns über die altenglische Bühne berichtet wird. Ein Podium von großer Breite und geringer Tiefe ist mit dem Zuschauerraum durch eine herabführende Treppe verbunden. Als einzige Dekoration oder vielmehr als Hintergrund zu den Bildern des Spiels selbst dient ein mächtiger dunkler Vorhang, der sich in solchen Szenen, welche in geschlossenem Raum vorgehe», zu einer geschickt angeordneten Nische faltet. Ehrensold und Rnthsherr, deren Unterredung uns eingangs über die Besonder¬ heit des Spiels ins Klare setzen, bilden eine Art idealer Zuschauerschaft, nehmen auf Sitzen am Fuße der obenerwähnten Treppe Platz und treten von Zeit zu Zeit wieder auf das Podium, »in durch ihr Gespräch die Pausen zwischen den einzelnen Teilen des Gedichts zu füllen und, ganz in der Weise des alten Pro- logus, zu berichten, was nicht dargestellt werden kaun und soll. Denn das „kirchliche Festspiel," wie Hans Herrig seine Dichtung bezeichnet, verzichtet nicht nur auf den dramatischen Aufbau, die dramatische Spannung und Steigerung im engern Sinne, sondern auch auf eine große Anzahl von Momenten aus Luthers Leben, welche sehr wohl dargestellt werden könnten, aber das Spiel in eine dramatische Biographie verwandeln würden. Herrig greift ganz folgerichtig alle diejenigen Momente von Luthers Wesen und Entwicklung heraus, welche vorzugsweise im protestantischen Volksbewußtsein leben, er fuhrt die grimmen innern Kämpfe des jungen Mönches, den Anschlag der Thesen, die Verbrennung der Bannbulle, den Reichstag zu Worms, die Bibelübersetzung auf der Wart¬ burg, das unerschrockene Auftreten des Reformators gegen Bilderstürmer und aufrührerische Bauern, das Hausleben Luthers an der Seite seiner Käthe, im Kreise seiner Kinder, seiner Freunde vor; das sind in der That die Hauptzüge, mit denen Luthers Gestalt im Gedächtnis von Tausenden steht, und das Be¬ streben Herrigs ging dahin, diese Hauptzüge in schlichter Treue, mit Kraft und Innigkeit zu erfassen, sie durch eine liebevolle Ausführung ganz lebendig und wirksam zu machen. Ans diesem Wege ist freilich kein Drama, kein Schauspiel im engern Sinne entstanden, immerhin aber eine Dichtung, deren einzelne Bilder doch wie dramatische Szenen wirken und die vor allein dadurch ausgezeichnet ist, daß sie sich nicht auf die Wirksamkeit der gangbare» Phrase verläßt, sondern in die Seele ihres Helden hinabzusteigen sucht und die innern Kämpfe, die Überzeugungen Luthers oft in glücklichster, kernig bildlicher Weise zum Ausdruck bringt. In diesem Betracht sind die minder bewegten Szenen des Spiels: die Unterredungen Luthers mit Stanpitz im Augustinerkloster, die Szenen auf der Wartburg vielleicht die ergreifendsten und wirksamsten. Natürlich verläuft

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/483>, abgerufen am 24.07.2024.