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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Indem Eduard von Gebhardt von ihnen den äußern Habitus seiner Gestalten
entlehnte, zwängte er seine moderne Anschauungsweise in einen gekünstelter
altertümlichen Stil zurück, der schließlich in archäologische Spielerei ausartete.
Mit gleichem Recht hätte er sich Paul Veronese zum Muster nehmen können,
der die vornehmen Venezianer seiner Zeit zur Hochzeit von Cana und zum Gast¬
mahl bei Levi und Simon einlud. Indessen zog er aus dem Anschlusse an die
alten Meister einen positiven Gewinn, welcher durch ihn zum Gemeingut der
reformirten religiösen Malerei der Gegenwart geworden ist. Während die
Italiener ihrem Naturell gemäß die Gestalten der christlichen Legende um liebsten
von ihrer heitern und anmutigen Seite auffaßten und demnach gern die Ma¬
donna und die heilige Familie in einer lieblichen Landschaft darstellten, wurden
die nordischen Maler durch die tiefere Innerlichkeit ihres Gefühls auf eine
ernstere Auffassung der biblischen Erzählung hingewiesen. Das Leiden Christi
und insbesondre die Kreuzigung wurde der bevorzugte Gegenstand ihrer künst¬
lerischen Darstellung. Die Malerei wurde ihnen Glaubenssache. Alle Figuren
wurden zu Trägern seelischer Stimmungen, die sich in ihren Angesichtern aus¬
prägten. Das Leiden des Herrn spiegelte sich in seiner Gemeinde wieder, als
deren Mitglieder alle gläubigen Christen aus der Umgebung des Malers heran¬
gezogen wurden. Durch diese Art der Behandlung kam in die religiösen Ge¬
mälde der Niederländer ein Zug von Wahrheit und unmittelbarem Leben hinein,
der so ergreifend wirkt, daß man über die Unzulänglichkeit der äußern Mittel,
über die Naivität der Darstellung hinwegsieht. Nur diesen einen Zug hätte
Eduard von Gebhardt von den Niederländern annehmen und im übrigen nach
voller Unabhängigkeit von ihren beschränkten Typen, ihrer unbeholfenen Aus-
drucksweise streben sollen. Anfangs schien es, als wäre seine Absicht wirklich
auf dieses Ziel gerichtet gewesen. Sein "Abendmahl" in der Berliner National¬
galerie zeigt eine völlige Freiheit und Selbständigkeit, von welcher man eine
gesunde Weiterentwicklung der religiösen Malerei im Einklang mit den ver¬
änderten Glaubenssätzen und Neligivusanschciuungcn der Gegenwart erwarten
durfte. Es ist nicht recht verständlich, weshalb Eduard von Gebhardt diese
Erwartung nicht erfüllt hat, sondern in seine frühere Abhängigkeit, in seine
archaisirenden Launen zurückgefallen ist. Immerhin ist eines der Samenkörner,
die er gestreut hat, aufgegangen: Natur, Wahrheit und Charakter sind an die
Stelle der Konvention und der gehaltloser Jdealisirung getreten.

Mit dem Worte "Wahrheit" fiel aber auch sogleich der Zankapfel unter
diejenigen, welche dem neuen Banner zu folgen entschlossen waren. Was ist
Wahrheit? so fragte ein jeder mit Pilatus, und jeder suchte die Wahrheit
auf eigne Hand. In erster Linie kommen hier zwei Versuche in Betracht
welche auf der Münchner Ausstellung von 1879 an die Öffentlichkeit traten und
die entgegengesetzten Pole der neuen Richtung bezeichneten. Max Liebermann,
ein unter dem Einfluß Munkcicsys und der französischen Naturalisten gebildeter,


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Indem Eduard von Gebhardt von ihnen den äußern Habitus seiner Gestalten
entlehnte, zwängte er seine moderne Anschauungsweise in einen gekünstelter
altertümlichen Stil zurück, der schließlich in archäologische Spielerei ausartete.
Mit gleichem Recht hätte er sich Paul Veronese zum Muster nehmen können,
der die vornehmen Venezianer seiner Zeit zur Hochzeit von Cana und zum Gast¬
mahl bei Levi und Simon einlud. Indessen zog er aus dem Anschlusse an die
alten Meister einen positiven Gewinn, welcher durch ihn zum Gemeingut der
reformirten religiösen Malerei der Gegenwart geworden ist. Während die
Italiener ihrem Naturell gemäß die Gestalten der christlichen Legende um liebsten
von ihrer heitern und anmutigen Seite auffaßten und demnach gern die Ma¬
donna und die heilige Familie in einer lieblichen Landschaft darstellten, wurden
die nordischen Maler durch die tiefere Innerlichkeit ihres Gefühls auf eine
ernstere Auffassung der biblischen Erzählung hingewiesen. Das Leiden Christi
und insbesondre die Kreuzigung wurde der bevorzugte Gegenstand ihrer künst¬
lerischen Darstellung. Die Malerei wurde ihnen Glaubenssache. Alle Figuren
wurden zu Trägern seelischer Stimmungen, die sich in ihren Angesichtern aus¬
prägten. Das Leiden des Herrn spiegelte sich in seiner Gemeinde wieder, als
deren Mitglieder alle gläubigen Christen aus der Umgebung des Malers heran¬
gezogen wurden. Durch diese Art der Behandlung kam in die religiösen Ge¬
mälde der Niederländer ein Zug von Wahrheit und unmittelbarem Leben hinein,
der so ergreifend wirkt, daß man über die Unzulänglichkeit der äußern Mittel,
über die Naivität der Darstellung hinwegsieht. Nur diesen einen Zug hätte
Eduard von Gebhardt von den Niederländern annehmen und im übrigen nach
voller Unabhängigkeit von ihren beschränkten Typen, ihrer unbeholfenen Aus-
drucksweise streben sollen. Anfangs schien es, als wäre seine Absicht wirklich
auf dieses Ziel gerichtet gewesen. Sein „Abendmahl" in der Berliner National¬
galerie zeigt eine völlige Freiheit und Selbständigkeit, von welcher man eine
gesunde Weiterentwicklung der religiösen Malerei im Einklang mit den ver¬
änderten Glaubenssätzen und Neligivusanschciuungcn der Gegenwart erwarten
durfte. Es ist nicht recht verständlich, weshalb Eduard von Gebhardt diese
Erwartung nicht erfüllt hat, sondern in seine frühere Abhängigkeit, in seine
archaisirenden Launen zurückgefallen ist. Immerhin ist eines der Samenkörner,
die er gestreut hat, aufgegangen: Natur, Wahrheit und Charakter sind an die
Stelle der Konvention und der gehaltloser Jdealisirung getreten.

Mit dem Worte „Wahrheit" fiel aber auch sogleich der Zankapfel unter
diejenigen, welche dem neuen Banner zu folgen entschlossen waren. Was ist
Wahrheit? so fragte ein jeder mit Pilatus, und jeder suchte die Wahrheit
auf eigne Hand. In erster Linie kommen hier zwei Versuche in Betracht
welche auf der Münchner Ausstellung von 1879 an die Öffentlichkeit traten und
die entgegengesetzten Pole der neuen Richtung bezeichneten. Max Liebermann,
ein unter dem Einfluß Munkcicsys und der französischen Naturalisten gebildeter,


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[0474] Die religiöse Malerei der Gegenwart. Indem Eduard von Gebhardt von ihnen den äußern Habitus seiner Gestalten entlehnte, zwängte er seine moderne Anschauungsweise in einen gekünstelter altertümlichen Stil zurück, der schließlich in archäologische Spielerei ausartete. Mit gleichem Recht hätte er sich Paul Veronese zum Muster nehmen können, der die vornehmen Venezianer seiner Zeit zur Hochzeit von Cana und zum Gast¬ mahl bei Levi und Simon einlud. Indessen zog er aus dem Anschlusse an die alten Meister einen positiven Gewinn, welcher durch ihn zum Gemeingut der reformirten religiösen Malerei der Gegenwart geworden ist. Während die Italiener ihrem Naturell gemäß die Gestalten der christlichen Legende um liebsten von ihrer heitern und anmutigen Seite auffaßten und demnach gern die Ma¬ donna und die heilige Familie in einer lieblichen Landschaft darstellten, wurden die nordischen Maler durch die tiefere Innerlichkeit ihres Gefühls auf eine ernstere Auffassung der biblischen Erzählung hingewiesen. Das Leiden Christi und insbesondre die Kreuzigung wurde der bevorzugte Gegenstand ihrer künst¬ lerischen Darstellung. Die Malerei wurde ihnen Glaubenssache. Alle Figuren wurden zu Trägern seelischer Stimmungen, die sich in ihren Angesichtern aus¬ prägten. Das Leiden des Herrn spiegelte sich in seiner Gemeinde wieder, als deren Mitglieder alle gläubigen Christen aus der Umgebung des Malers heran¬ gezogen wurden. Durch diese Art der Behandlung kam in die religiösen Ge¬ mälde der Niederländer ein Zug von Wahrheit und unmittelbarem Leben hinein, der so ergreifend wirkt, daß man über die Unzulänglichkeit der äußern Mittel, über die Naivität der Darstellung hinwegsieht. Nur diesen einen Zug hätte Eduard von Gebhardt von den Niederländern annehmen und im übrigen nach voller Unabhängigkeit von ihren beschränkten Typen, ihrer unbeholfenen Aus- drucksweise streben sollen. Anfangs schien es, als wäre seine Absicht wirklich auf dieses Ziel gerichtet gewesen. Sein „Abendmahl" in der Berliner National¬ galerie zeigt eine völlige Freiheit und Selbständigkeit, von welcher man eine gesunde Weiterentwicklung der religiösen Malerei im Einklang mit den ver¬ änderten Glaubenssätzen und Neligivusanschciuungcn der Gegenwart erwarten durfte. Es ist nicht recht verständlich, weshalb Eduard von Gebhardt diese Erwartung nicht erfüllt hat, sondern in seine frühere Abhängigkeit, in seine archaisirenden Launen zurückgefallen ist. Immerhin ist eines der Samenkörner, die er gestreut hat, aufgegangen: Natur, Wahrheit und Charakter sind an die Stelle der Konvention und der gehaltloser Jdealisirung getreten. Mit dem Worte „Wahrheit" fiel aber auch sogleich der Zankapfel unter diejenigen, welche dem neuen Banner zu folgen entschlossen waren. Was ist Wahrheit? so fragte ein jeder mit Pilatus, und jeder suchte die Wahrheit auf eigne Hand. In erster Linie kommen hier zwei Versuche in Betracht welche auf der Münchner Ausstellung von 1879 an die Öffentlichkeit traten und die entgegengesetzten Pole der neuen Richtung bezeichneten. Max Liebermann, ein unter dem Einfluß Munkcicsys und der französischen Naturalisten gebildeter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/474>, abgerufen am 24.07.2024.