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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

Despotie der einen fremden Kultur rief man eine andre fremde Kultur zu Hilfe;
es war eben das alte Lied. Ernesti und Christ in Leipzig, Heyne in Göttingen
drangen darauf, die hohle Silbenstecherei durch das Eingehen auf den Inhalt
und den Geist der alten Schriftsteller zu beschränken. F. A. Wolf in Halle
regenerirte gegen Ende des Jahrhunderts das Gymnasium nach denselben
Grundsätzen, indem er besondres Gewicht auf das Griechische legte. Durch die
französische Revolution erhielt der Neuhumauismus den rechten Schwung, war
er doch auch gegen die frivole Nützlichkeitsphilosophie der französischen Adelst
bildung gerichtet. Zug um Zug ließ er sich von den revolutionären Prinzipien
treiben, ohne es einzugestehen. Die Revolution hatte die Menschenrechte auf
ihre Fahne geschrieben, die Humanisten priesen das glückselige Griechenland, in
dem Schönheit und Weisheit ein Leben im Stande der Natur verklärten, die
Revolution schob das Christentum beiseite, weil es durch die äußere Werk¬
heiligkeit und die Heuchelei der lasterhaften Hofleute entweiht worden war, die
Neuhumanisten setzten ihren Stolz darein, ächte alte Heiden zu sein, beglück¬
wünschten einander in ihren Briefe!?, daß sie nichts mit kirchlichen Dingen zu
thun hätten, und meinten, vor dem theologischen Studium müßte eigentlich
Polizeilich gewarnt werden.*) Die jetzigen Altphilologen hören es nicht gern,
wenn man sie daran erinnert, sie sind geheilt von der jugendlichen Schwärmerei
ihrer geistigen Altvordern, ja man konnte sagen, wenn es nicht paradox klänge:
je kirchlicher und konservativer die Zeitrichtung ist, desto mehr ist der gymnasiale
Bildungsgang bevorzugt. Diese Bekehrung hat das preußische Ministerium
Altenstein unter spezieller Bethätigung des Justizministers Muster und des
Geheimen Rates Johannes Schulze zustande gebracht, nicht zu vergessen
unter dem stillen Segen der Hegelschen Philosophie. Wenn man Varnhagen
von Ense glauben darf, so ging es im letzten Jahrzehnte der Regierung Friedrich
Wilhelms III. streng bttreaukratisch in Preußen zu. Damals nahm das Mi¬
nisterium Altenstein, ohne die ausgesprochene Absicht wohl, aber seiner ganzen
Richtung gemäß, den etwas kecken Neuhumanismns unter Schloß und Riegel.
Zuerst wurde die schon früher angebahnte staatliche Kontrole der Lehrpläne
muss strengste durchgeführt. Nicht die Lehrziele überhaupt, auch die Ziele der
einzelnen Klaffen erhielten eine ganz bestimmte, von der höchsten Schulbehörde
vorgeschriebene Gestalt, selbst die Methode und die Lehrbücher bedurften der
Bestätigung. Die staatliche Kontrole verkörperte sich in strengen Jahres- und
Reifeprüfungen, die von Mitgliedern der Aufsichtsbehörde geleitet wurden. Die
auf solche Weise verstaatlichter Gymnasien erhielten dafür die ausschließliche
Berechtigung, daß ihren in der Schlußprüfung für reif erklärten Schülern der
Zugang zum Universitätsstudium offenstehen sollte. 1834 war das große
Werk vollendet, und seitdem geht der Neuhumauismus in dem sichern Gleise



*) S. Paulsen, Geschichte des gelehrten NntcrriäMs, S. S93.
Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

Despotie der einen fremden Kultur rief man eine andre fremde Kultur zu Hilfe;
es war eben das alte Lied. Ernesti und Christ in Leipzig, Heyne in Göttingen
drangen darauf, die hohle Silbenstecherei durch das Eingehen auf den Inhalt
und den Geist der alten Schriftsteller zu beschränken. F. A. Wolf in Halle
regenerirte gegen Ende des Jahrhunderts das Gymnasium nach denselben
Grundsätzen, indem er besondres Gewicht auf das Griechische legte. Durch die
französische Revolution erhielt der Neuhumauismus den rechten Schwung, war
er doch auch gegen die frivole Nützlichkeitsphilosophie der französischen Adelst
bildung gerichtet. Zug um Zug ließ er sich von den revolutionären Prinzipien
treiben, ohne es einzugestehen. Die Revolution hatte die Menschenrechte auf
ihre Fahne geschrieben, die Humanisten priesen das glückselige Griechenland, in
dem Schönheit und Weisheit ein Leben im Stande der Natur verklärten, die
Revolution schob das Christentum beiseite, weil es durch die äußere Werk¬
heiligkeit und die Heuchelei der lasterhaften Hofleute entweiht worden war, die
Neuhumanisten setzten ihren Stolz darein, ächte alte Heiden zu sein, beglück¬
wünschten einander in ihren Briefe!?, daß sie nichts mit kirchlichen Dingen zu
thun hätten, und meinten, vor dem theologischen Studium müßte eigentlich
Polizeilich gewarnt werden.*) Die jetzigen Altphilologen hören es nicht gern,
wenn man sie daran erinnert, sie sind geheilt von der jugendlichen Schwärmerei
ihrer geistigen Altvordern, ja man konnte sagen, wenn es nicht paradox klänge:
je kirchlicher und konservativer die Zeitrichtung ist, desto mehr ist der gymnasiale
Bildungsgang bevorzugt. Diese Bekehrung hat das preußische Ministerium
Altenstein unter spezieller Bethätigung des Justizministers Muster und des
Geheimen Rates Johannes Schulze zustande gebracht, nicht zu vergessen
unter dem stillen Segen der Hegelschen Philosophie. Wenn man Varnhagen
von Ense glauben darf, so ging es im letzten Jahrzehnte der Regierung Friedrich
Wilhelms III. streng bttreaukratisch in Preußen zu. Damals nahm das Mi¬
nisterium Altenstein, ohne die ausgesprochene Absicht wohl, aber seiner ganzen
Richtung gemäß, den etwas kecken Neuhumanismns unter Schloß und Riegel.
Zuerst wurde die schon früher angebahnte staatliche Kontrole der Lehrpläne
muss strengste durchgeführt. Nicht die Lehrziele überhaupt, auch die Ziele der
einzelnen Klaffen erhielten eine ganz bestimmte, von der höchsten Schulbehörde
vorgeschriebene Gestalt, selbst die Methode und die Lehrbücher bedurften der
Bestätigung. Die staatliche Kontrole verkörperte sich in strengen Jahres- und
Reifeprüfungen, die von Mitgliedern der Aufsichtsbehörde geleitet wurden. Die
auf solche Weise verstaatlichter Gymnasien erhielten dafür die ausschließliche
Berechtigung, daß ihren in der Schlußprüfung für reif erklärten Schülern der
Zugang zum Universitätsstudium offenstehen sollte. 1834 war das große
Werk vollendet, und seitdem geht der Neuhumauismus in dem sichern Gleise



*) S. Paulsen, Geschichte des gelehrten NntcrriäMs, S. S93.
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[0467] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. Despotie der einen fremden Kultur rief man eine andre fremde Kultur zu Hilfe; es war eben das alte Lied. Ernesti und Christ in Leipzig, Heyne in Göttingen drangen darauf, die hohle Silbenstecherei durch das Eingehen auf den Inhalt und den Geist der alten Schriftsteller zu beschränken. F. A. Wolf in Halle regenerirte gegen Ende des Jahrhunderts das Gymnasium nach denselben Grundsätzen, indem er besondres Gewicht auf das Griechische legte. Durch die französische Revolution erhielt der Neuhumauismus den rechten Schwung, war er doch auch gegen die frivole Nützlichkeitsphilosophie der französischen Adelst bildung gerichtet. Zug um Zug ließ er sich von den revolutionären Prinzipien treiben, ohne es einzugestehen. Die Revolution hatte die Menschenrechte auf ihre Fahne geschrieben, die Humanisten priesen das glückselige Griechenland, in dem Schönheit und Weisheit ein Leben im Stande der Natur verklärten, die Revolution schob das Christentum beiseite, weil es durch die äußere Werk¬ heiligkeit und die Heuchelei der lasterhaften Hofleute entweiht worden war, die Neuhumanisten setzten ihren Stolz darein, ächte alte Heiden zu sein, beglück¬ wünschten einander in ihren Briefe!?, daß sie nichts mit kirchlichen Dingen zu thun hätten, und meinten, vor dem theologischen Studium müßte eigentlich Polizeilich gewarnt werden.*) Die jetzigen Altphilologen hören es nicht gern, wenn man sie daran erinnert, sie sind geheilt von der jugendlichen Schwärmerei ihrer geistigen Altvordern, ja man konnte sagen, wenn es nicht paradox klänge: je kirchlicher und konservativer die Zeitrichtung ist, desto mehr ist der gymnasiale Bildungsgang bevorzugt. Diese Bekehrung hat das preußische Ministerium Altenstein unter spezieller Bethätigung des Justizministers Muster und des Geheimen Rates Johannes Schulze zustande gebracht, nicht zu vergessen unter dem stillen Segen der Hegelschen Philosophie. Wenn man Varnhagen von Ense glauben darf, so ging es im letzten Jahrzehnte der Regierung Friedrich Wilhelms III. streng bttreaukratisch in Preußen zu. Damals nahm das Mi¬ nisterium Altenstein, ohne die ausgesprochene Absicht wohl, aber seiner ganzen Richtung gemäß, den etwas kecken Neuhumanismns unter Schloß und Riegel. Zuerst wurde die schon früher angebahnte staatliche Kontrole der Lehrpläne muss strengste durchgeführt. Nicht die Lehrziele überhaupt, auch die Ziele der einzelnen Klaffen erhielten eine ganz bestimmte, von der höchsten Schulbehörde vorgeschriebene Gestalt, selbst die Methode und die Lehrbücher bedurften der Bestätigung. Die staatliche Kontrole verkörperte sich in strengen Jahres- und Reifeprüfungen, die von Mitgliedern der Aufsichtsbehörde geleitet wurden. Die auf solche Weise verstaatlichter Gymnasien erhielten dafür die ausschließliche Berechtigung, daß ihren in der Schlußprüfung für reif erklärten Schülern der Zugang zum Universitätsstudium offenstehen sollte. 1834 war das große Werk vollendet, und seitdem geht der Neuhumauismus in dem sichern Gleise *) S. Paulsen, Geschichte des gelehrten NntcrriäMs, S. S93.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/467>, abgerufen am 25.07.2024.