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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Es läßt sich nicht leugnen, daß die ersten großen deutschen Humanisten,
Reuchlin, Agricola, Erasmus, den Anstoß zu der nationalen Vefreiuugsthat
gegeben haben, die man mit dem Namen der deutschen Reformation bezeichnet,
Sie war nicht eine Auflehnung gegen Religion, im Gegenteil eine Vertiefung
des religiösen Sinnes, so recht dem Grundzüge des deutscheu Wesens gemäß,
auch nicht eine Auflehnung gegen den Zwang der Kirche, denn alle Formen
der kirchliche" Gemeinschaft wurden sofort wiederhergestellt, sondern recht eigent¬
lich eine Auflehnung gegen die geistige Fremdherrschaft, und damit reiht
sie sich als dritter großer Sieg an die Schlachten im Teutoburger Walde
und bei Tours und Poitiers. Luther war sich wohl bewußt, daß die Huma¬
nisten ihm den Boden bereitet hatten, darum empfahl er auch den künftigen
Theologen, wie deu regierenden Ständen überhaupt, das Studium der Sprachen,
besonders des Griechischen und Hebräischen. Er hatte dabei in erster Linie
das Lesen der heiligen Schrift in den Ursprachen vor Augen, die humanistischen
Studien sollten in den Dienst der religiösen Forschung treten. Darum haupt¬
sächlich nannte er die Sprachen "das Schwert des Geistes." An das Volk
im großen und ganzen, an ein Aufnötigen fremder Kulturen, an eine Er-
tötung des nationalen Geistes dachte er nicht im entferntesten. Seine Bibel-
übersetzung ist dafür der sprechendste Beweis. Er wollte dnrch und durch
Deutscher sein: die Sprache des Volkes zu reden war sein Stolz, sein lebens¬
langes Studium, und die deutsche Predigt wurde der Mittelpunkt des Gottes¬
dienstes, welchen er einrichtete. In der That ist es der Aufschwung des Volks¬
tümlichen, was die Reformationszeit auszeichnet, die Sprache des Volkes ist
die herrschende. Geistliche, Dichter, Staatsmänner müssen bürgerlich reden,
sonst werden sie nicht verstanden. Selbst ein Mann wie Herzog Heinrich von
Braunschweig, der gelehrte, strenge Jurist, der fürstliche Selbstherrscher, redet
in seineu Dramen mit dem Volke in dessen Sprache.

Soweit hatte sich die Herbeiziehung der griechischen Hilfe vortrefflich be¬
währt. Hätten die Gelehrten die Schätze der antiken Kultur, die lateinischen
ebenso wie die griechischen, in ihre Verwahrung genommen und sie durch gute
Übersetzungen nach dem Muster der lutherischen Bibel mich weiteren Kreisen
zugänglich gemacht, wie segensreich hätte es auf die gesamte Volksbildung
wirken müssen! Melanchthon hatte ja schon angefangen, Äschines, Lucian,
Plutarch zu übersetzen.

Allein es war, als ob ein feindliches Verhängnis auf der nationalen Ent¬
wicklung der Deutschen läge, mit der lutherischen Lehre zugleich erstarrten die
humanistischen Studien schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu
dogmatischen Formen und Formeln. Die Gymnasien wurden ganz andre, als
die ersten Humanisten, als die Reformatoren sie sich gedacht haben mögen.
Sie wurde" Pflanzschulen des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen, we¬
niger um des Inhaltes der Klassiker als um der sprachlichen Form willen,


Es läßt sich nicht leugnen, daß die ersten großen deutschen Humanisten,
Reuchlin, Agricola, Erasmus, den Anstoß zu der nationalen Vefreiuugsthat
gegeben haben, die man mit dem Namen der deutschen Reformation bezeichnet,
Sie war nicht eine Auflehnung gegen Religion, im Gegenteil eine Vertiefung
des religiösen Sinnes, so recht dem Grundzüge des deutscheu Wesens gemäß,
auch nicht eine Auflehnung gegen den Zwang der Kirche, denn alle Formen
der kirchliche» Gemeinschaft wurden sofort wiederhergestellt, sondern recht eigent¬
lich eine Auflehnung gegen die geistige Fremdherrschaft, und damit reiht
sie sich als dritter großer Sieg an die Schlachten im Teutoburger Walde
und bei Tours und Poitiers. Luther war sich wohl bewußt, daß die Huma¬
nisten ihm den Boden bereitet hatten, darum empfahl er auch den künftigen
Theologen, wie deu regierenden Ständen überhaupt, das Studium der Sprachen,
besonders des Griechischen und Hebräischen. Er hatte dabei in erster Linie
das Lesen der heiligen Schrift in den Ursprachen vor Augen, die humanistischen
Studien sollten in den Dienst der religiösen Forschung treten. Darum haupt¬
sächlich nannte er die Sprachen „das Schwert des Geistes." An das Volk
im großen und ganzen, an ein Aufnötigen fremder Kulturen, an eine Er-
tötung des nationalen Geistes dachte er nicht im entferntesten. Seine Bibel-
übersetzung ist dafür der sprechendste Beweis. Er wollte dnrch und durch
Deutscher sein: die Sprache des Volkes zu reden war sein Stolz, sein lebens¬
langes Studium, und die deutsche Predigt wurde der Mittelpunkt des Gottes¬
dienstes, welchen er einrichtete. In der That ist es der Aufschwung des Volks¬
tümlichen, was die Reformationszeit auszeichnet, die Sprache des Volkes ist
die herrschende. Geistliche, Dichter, Staatsmänner müssen bürgerlich reden,
sonst werden sie nicht verstanden. Selbst ein Mann wie Herzog Heinrich von
Braunschweig, der gelehrte, strenge Jurist, der fürstliche Selbstherrscher, redet
in seineu Dramen mit dem Volke in dessen Sprache.

Soweit hatte sich die Herbeiziehung der griechischen Hilfe vortrefflich be¬
währt. Hätten die Gelehrten die Schätze der antiken Kultur, die lateinischen
ebenso wie die griechischen, in ihre Verwahrung genommen und sie durch gute
Übersetzungen nach dem Muster der lutherischen Bibel mich weiteren Kreisen
zugänglich gemacht, wie segensreich hätte es auf die gesamte Volksbildung
wirken müssen! Melanchthon hatte ja schon angefangen, Äschines, Lucian,
Plutarch zu übersetzen.

Allein es war, als ob ein feindliches Verhängnis auf der nationalen Ent¬
wicklung der Deutschen läge, mit der lutherischen Lehre zugleich erstarrten die
humanistischen Studien schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu
dogmatischen Formen und Formeln. Die Gymnasien wurden ganz andre, als
die ersten Humanisten, als die Reformatoren sie sich gedacht haben mögen.
Sie wurde» Pflanzschulen des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen, we¬
niger um des Inhaltes der Klassiker als um der sprachlichen Form willen,


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[0462] Es läßt sich nicht leugnen, daß die ersten großen deutschen Humanisten, Reuchlin, Agricola, Erasmus, den Anstoß zu der nationalen Vefreiuugsthat gegeben haben, die man mit dem Namen der deutschen Reformation bezeichnet, Sie war nicht eine Auflehnung gegen Religion, im Gegenteil eine Vertiefung des religiösen Sinnes, so recht dem Grundzüge des deutscheu Wesens gemäß, auch nicht eine Auflehnung gegen den Zwang der Kirche, denn alle Formen der kirchliche» Gemeinschaft wurden sofort wiederhergestellt, sondern recht eigent¬ lich eine Auflehnung gegen die geistige Fremdherrschaft, und damit reiht sie sich als dritter großer Sieg an die Schlachten im Teutoburger Walde und bei Tours und Poitiers. Luther war sich wohl bewußt, daß die Huma¬ nisten ihm den Boden bereitet hatten, darum empfahl er auch den künftigen Theologen, wie deu regierenden Ständen überhaupt, das Studium der Sprachen, besonders des Griechischen und Hebräischen. Er hatte dabei in erster Linie das Lesen der heiligen Schrift in den Ursprachen vor Augen, die humanistischen Studien sollten in den Dienst der religiösen Forschung treten. Darum haupt¬ sächlich nannte er die Sprachen „das Schwert des Geistes." An das Volk im großen und ganzen, an ein Aufnötigen fremder Kulturen, an eine Er- tötung des nationalen Geistes dachte er nicht im entferntesten. Seine Bibel- übersetzung ist dafür der sprechendste Beweis. Er wollte dnrch und durch Deutscher sein: die Sprache des Volkes zu reden war sein Stolz, sein lebens¬ langes Studium, und die deutsche Predigt wurde der Mittelpunkt des Gottes¬ dienstes, welchen er einrichtete. In der That ist es der Aufschwung des Volks¬ tümlichen, was die Reformationszeit auszeichnet, die Sprache des Volkes ist die herrschende. Geistliche, Dichter, Staatsmänner müssen bürgerlich reden, sonst werden sie nicht verstanden. Selbst ein Mann wie Herzog Heinrich von Braunschweig, der gelehrte, strenge Jurist, der fürstliche Selbstherrscher, redet in seineu Dramen mit dem Volke in dessen Sprache. Soweit hatte sich die Herbeiziehung der griechischen Hilfe vortrefflich be¬ währt. Hätten die Gelehrten die Schätze der antiken Kultur, die lateinischen ebenso wie die griechischen, in ihre Verwahrung genommen und sie durch gute Übersetzungen nach dem Muster der lutherischen Bibel mich weiteren Kreisen zugänglich gemacht, wie segensreich hätte es auf die gesamte Volksbildung wirken müssen! Melanchthon hatte ja schon angefangen, Äschines, Lucian, Plutarch zu übersetzen. Allein es war, als ob ein feindliches Verhängnis auf der nationalen Ent¬ wicklung der Deutschen läge, mit der lutherischen Lehre zugleich erstarrten die humanistischen Studien schon um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts zu dogmatischen Formen und Formeln. Die Gymnasien wurden ganz andre, als die ersten Humanisten, als die Reformatoren sie sich gedacht haben mögen. Sie wurde» Pflanzschulen des Lateinischen, Griechischen und Hebräischen, we¬ niger um des Inhaltes der Klassiker als um der sprachlichen Form willen,

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/462>, abgerufen am 28.09.2024.