Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

reiche, scheinbar nebensächliche Eiuzclbestrebuugeu dem einen Ziele, der "nationale"
Stärkung" zustrebt; der tägliche Geschäftsverkehr bietet hierzu fortgesetzte Ge¬
legenheit. Vor allem würde es durch ein derartiges selbstthätiges, mit der
Presse in Fühlung stehendes Vorgehen des Deutschtums gelingen, zu verhin¬
dern, daß fortgesetzt urdeutsche Handwerker und Geschäftsleute mit Rücksicht
auf ihre polnische Kundschaft ins polnische Lager übergehen und fanatischere,
rücksichtslosere Vorkämpfer des Polentums werden als die National-Polen
selbst, denen die geschichtliche Vergangenheit ihres Volkes entschuldigend zur
Seite steht und die selbst im politischen Kampfe die persönlich liebenswürdigen
Eigenschaften ihres Charakters nicht imnier ganz zu verleugnen pflegen.

Möchten endlich alle gebildeten Deutschen der Provinz statt der persön¬
lichen und finanziellen Zersplitterung in zahllose, meist dahinsiechende Vereine
einen großen Verein gründen: "zur Förderung vaterländischer Kultur." Man
erweist dem Deutschtum keinen Dienst, wenn man das für seine Nationalität
kämpfende Polentum schmäht; nur wer selber allezeit auf der Bresche steht,
wer es für schimpflich hält, seine politischen und kommunalen Pflichten bei
Wahlen und allen öffentlichen Angelegenheiten aus Bequemlichkeit zu versäumen,
der hat wirklich das Recht, in dem tiefgehenden Kampfe der beiden Nationali¬
täten mit gutem Gewissen mitzusprechen. Lächerlich, wenn nicht verächtlich ist
es, den Gegner fortgesetzt zu schmähen, weil er für seine Nationalität kämpft,
während man die eignen nationalen Pflichten aufs schwerste verletzt. Schließt
sich das Deutschtum allmählich so zusammen -- und an hervorragenden gei¬
stigen Leitern einer derartigen Bewegung ist in der Provinz kein Mangel --,
dann werden auch die Opfer, welche die Staatsregierung im Interesse der
deutschen Sache zu bringen bereit ist, dauernde Frucht tragen können.

Eine pessimistische, innerlich unzufriedene, stets mit einem Auge nach der
angeblich glücklicheren Heimat schauende Bevölkerung kann durch kein Opfer
der Staatsregierung auf die Dauer gerettet werden. Die Provinz Posen ist
ein Land, so dankbar für ernste Arbeit, wie irgend eine andre Provinz des
Staates, Die deutsche Bevölkerung ist zum größten Teil freiwillig dahin ge¬
gangen, um dort ihren Herd zu bauen. Zahlreiche deutsche Familien haben
Existenz und Wohlstand hier gefunden, und es ist endlich Zeit, daß dies die
deutschen Einfassen dankbar anerkennen und in der Provinz Posen ihre dauernde
Heimat erblicken. Eine ernste Aufgabe der preußischen Beamten ist es, das
Bewußtsein für diese Aufgaben in der Bevölkerung wachzurufen und dnrch
eignes Beispiel ihr dauerndes Interesse für den Landesteil zu bekunden, in
den sie durch ihres Königs Vertrauen berufen sind.

. Für die Staatsregierung und die Bevölkerung gilt aber in der Provinz
Posen ganz besonders die alte politische Wahrheit, daß mau deu Gegner am wirk¬
samsten bekämpft, wenn man den Freund stärkt. Man erschöpfe deshalb seine
Kraft nicht länger in wirkungslosen Repressivmaßregeln, sondern gehe mit klar


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

reiche, scheinbar nebensächliche Eiuzclbestrebuugeu dem einen Ziele, der „nationale»
Stärkung" zustrebt; der tägliche Geschäftsverkehr bietet hierzu fortgesetzte Ge¬
legenheit. Vor allem würde es durch ein derartiges selbstthätiges, mit der
Presse in Fühlung stehendes Vorgehen des Deutschtums gelingen, zu verhin¬
dern, daß fortgesetzt urdeutsche Handwerker und Geschäftsleute mit Rücksicht
auf ihre polnische Kundschaft ins polnische Lager übergehen und fanatischere,
rücksichtslosere Vorkämpfer des Polentums werden als die National-Polen
selbst, denen die geschichtliche Vergangenheit ihres Volkes entschuldigend zur
Seite steht und die selbst im politischen Kampfe die persönlich liebenswürdigen
Eigenschaften ihres Charakters nicht imnier ganz zu verleugnen pflegen.

Möchten endlich alle gebildeten Deutschen der Provinz statt der persön¬
lichen und finanziellen Zersplitterung in zahllose, meist dahinsiechende Vereine
einen großen Verein gründen: „zur Förderung vaterländischer Kultur." Man
erweist dem Deutschtum keinen Dienst, wenn man das für seine Nationalität
kämpfende Polentum schmäht; nur wer selber allezeit auf der Bresche steht,
wer es für schimpflich hält, seine politischen und kommunalen Pflichten bei
Wahlen und allen öffentlichen Angelegenheiten aus Bequemlichkeit zu versäumen,
der hat wirklich das Recht, in dem tiefgehenden Kampfe der beiden Nationali¬
täten mit gutem Gewissen mitzusprechen. Lächerlich, wenn nicht verächtlich ist
es, den Gegner fortgesetzt zu schmähen, weil er für seine Nationalität kämpft,
während man die eignen nationalen Pflichten aufs schwerste verletzt. Schließt
sich das Deutschtum allmählich so zusammen — und an hervorragenden gei¬
stigen Leitern einer derartigen Bewegung ist in der Provinz kein Mangel —,
dann werden auch die Opfer, welche die Staatsregierung im Interesse der
deutschen Sache zu bringen bereit ist, dauernde Frucht tragen können.

Eine pessimistische, innerlich unzufriedene, stets mit einem Auge nach der
angeblich glücklicheren Heimat schauende Bevölkerung kann durch kein Opfer
der Staatsregierung auf die Dauer gerettet werden. Die Provinz Posen ist
ein Land, so dankbar für ernste Arbeit, wie irgend eine andre Provinz des
Staates, Die deutsche Bevölkerung ist zum größten Teil freiwillig dahin ge¬
gangen, um dort ihren Herd zu bauen. Zahlreiche deutsche Familien haben
Existenz und Wohlstand hier gefunden, und es ist endlich Zeit, daß dies die
deutschen Einfassen dankbar anerkennen und in der Provinz Posen ihre dauernde
Heimat erblicken. Eine ernste Aufgabe der preußischen Beamten ist es, das
Bewußtsein für diese Aufgaben in der Bevölkerung wachzurufen und dnrch
eignes Beispiel ihr dauerndes Interesse für den Landesteil zu bekunden, in
den sie durch ihres Königs Vertrauen berufen sind.

. Für die Staatsregierung und die Bevölkerung gilt aber in der Provinz
Posen ganz besonders die alte politische Wahrheit, daß mau deu Gegner am wirk¬
samsten bekämpft, wenn man den Freund stärkt. Man erschöpfe deshalb seine
Kraft nicht länger in wirkungslosen Repressivmaßregeln, sondern gehe mit klar


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0459" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198525"/>
          <fw type="header" place="top"> Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1333" prev="#ID_1332"> reiche, scheinbar nebensächliche Eiuzclbestrebuugeu dem einen Ziele, der &#x201E;nationale»<lb/>
Stärkung" zustrebt; der tägliche Geschäftsverkehr bietet hierzu fortgesetzte Ge¬<lb/>
legenheit. Vor allem würde es durch ein derartiges selbstthätiges, mit der<lb/>
Presse in Fühlung stehendes Vorgehen des Deutschtums gelingen, zu verhin¬<lb/>
dern, daß fortgesetzt urdeutsche Handwerker und Geschäftsleute mit Rücksicht<lb/>
auf ihre polnische Kundschaft ins polnische Lager übergehen und fanatischere,<lb/>
rücksichtslosere Vorkämpfer des Polentums werden als die National-Polen<lb/>
selbst, denen die geschichtliche Vergangenheit ihres Volkes entschuldigend zur<lb/>
Seite steht und die selbst im politischen Kampfe die persönlich liebenswürdigen<lb/>
Eigenschaften ihres Charakters nicht imnier ganz zu verleugnen pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1334"> Möchten endlich alle gebildeten Deutschen der Provinz statt der persön¬<lb/>
lichen und finanziellen Zersplitterung in zahllose, meist dahinsiechende Vereine<lb/>
einen großen Verein gründen: &#x201E;zur Förderung vaterländischer Kultur." Man<lb/>
erweist dem Deutschtum keinen Dienst, wenn man das für seine Nationalität<lb/>
kämpfende Polentum schmäht; nur wer selber allezeit auf der Bresche steht,<lb/>
wer es für schimpflich hält, seine politischen und kommunalen Pflichten bei<lb/>
Wahlen und allen öffentlichen Angelegenheiten aus Bequemlichkeit zu versäumen,<lb/>
der hat wirklich das Recht, in dem tiefgehenden Kampfe der beiden Nationali¬<lb/>
täten mit gutem Gewissen mitzusprechen. Lächerlich, wenn nicht verächtlich ist<lb/>
es, den Gegner fortgesetzt zu schmähen, weil er für seine Nationalität kämpft,<lb/>
während man die eignen nationalen Pflichten aufs schwerste verletzt. Schließt<lb/>
sich das Deutschtum allmählich so zusammen &#x2014; und an hervorragenden gei¬<lb/>
stigen Leitern einer derartigen Bewegung ist in der Provinz kein Mangel &#x2014;,<lb/>
dann werden auch die Opfer, welche die Staatsregierung im Interesse der<lb/>
deutschen Sache zu bringen bereit ist, dauernde Frucht tragen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1335"> Eine pessimistische, innerlich unzufriedene, stets mit einem Auge nach der<lb/>
angeblich glücklicheren Heimat schauende Bevölkerung kann durch kein Opfer<lb/>
der Staatsregierung auf die Dauer gerettet werden. Die Provinz Posen ist<lb/>
ein Land, so dankbar für ernste Arbeit, wie irgend eine andre Provinz des<lb/>
Staates, Die deutsche Bevölkerung ist zum größten Teil freiwillig dahin ge¬<lb/>
gangen, um dort ihren Herd zu bauen. Zahlreiche deutsche Familien haben<lb/>
Existenz und Wohlstand hier gefunden, und es ist endlich Zeit, daß dies die<lb/>
deutschen Einfassen dankbar anerkennen und in der Provinz Posen ihre dauernde<lb/>
Heimat erblicken. Eine ernste Aufgabe der preußischen Beamten ist es, das<lb/>
Bewußtsein für diese Aufgaben in der Bevölkerung wachzurufen und dnrch<lb/>
eignes Beispiel ihr dauerndes Interesse für den Landesteil zu bekunden, in<lb/>
den sie durch ihres Königs Vertrauen berufen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1336" next="#ID_1337"> . Für die Staatsregierung und die Bevölkerung gilt aber in der Provinz<lb/>
Posen ganz besonders die alte politische Wahrheit, daß mau deu Gegner am wirk¬<lb/>
samsten bekämpft, wenn man den Freund stärkt. Man erschöpfe deshalb seine<lb/>
Kraft nicht länger in wirkungslosen Repressivmaßregeln, sondern gehe mit klar</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0459] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. reiche, scheinbar nebensächliche Eiuzclbestrebuugeu dem einen Ziele, der „nationale» Stärkung" zustrebt; der tägliche Geschäftsverkehr bietet hierzu fortgesetzte Ge¬ legenheit. Vor allem würde es durch ein derartiges selbstthätiges, mit der Presse in Fühlung stehendes Vorgehen des Deutschtums gelingen, zu verhin¬ dern, daß fortgesetzt urdeutsche Handwerker und Geschäftsleute mit Rücksicht auf ihre polnische Kundschaft ins polnische Lager übergehen und fanatischere, rücksichtslosere Vorkämpfer des Polentums werden als die National-Polen selbst, denen die geschichtliche Vergangenheit ihres Volkes entschuldigend zur Seite steht und die selbst im politischen Kampfe die persönlich liebenswürdigen Eigenschaften ihres Charakters nicht imnier ganz zu verleugnen pflegen. Möchten endlich alle gebildeten Deutschen der Provinz statt der persön¬ lichen und finanziellen Zersplitterung in zahllose, meist dahinsiechende Vereine einen großen Verein gründen: „zur Förderung vaterländischer Kultur." Man erweist dem Deutschtum keinen Dienst, wenn man das für seine Nationalität kämpfende Polentum schmäht; nur wer selber allezeit auf der Bresche steht, wer es für schimpflich hält, seine politischen und kommunalen Pflichten bei Wahlen und allen öffentlichen Angelegenheiten aus Bequemlichkeit zu versäumen, der hat wirklich das Recht, in dem tiefgehenden Kampfe der beiden Nationali¬ täten mit gutem Gewissen mitzusprechen. Lächerlich, wenn nicht verächtlich ist es, den Gegner fortgesetzt zu schmähen, weil er für seine Nationalität kämpft, während man die eignen nationalen Pflichten aufs schwerste verletzt. Schließt sich das Deutschtum allmählich so zusammen — und an hervorragenden gei¬ stigen Leitern einer derartigen Bewegung ist in der Provinz kein Mangel —, dann werden auch die Opfer, welche die Staatsregierung im Interesse der deutschen Sache zu bringen bereit ist, dauernde Frucht tragen können. Eine pessimistische, innerlich unzufriedene, stets mit einem Auge nach der angeblich glücklicheren Heimat schauende Bevölkerung kann durch kein Opfer der Staatsregierung auf die Dauer gerettet werden. Die Provinz Posen ist ein Land, so dankbar für ernste Arbeit, wie irgend eine andre Provinz des Staates, Die deutsche Bevölkerung ist zum größten Teil freiwillig dahin ge¬ gangen, um dort ihren Herd zu bauen. Zahlreiche deutsche Familien haben Existenz und Wohlstand hier gefunden, und es ist endlich Zeit, daß dies die deutschen Einfassen dankbar anerkennen und in der Provinz Posen ihre dauernde Heimat erblicken. Eine ernste Aufgabe der preußischen Beamten ist es, das Bewußtsein für diese Aufgaben in der Bevölkerung wachzurufen und dnrch eignes Beispiel ihr dauerndes Interesse für den Landesteil zu bekunden, in den sie durch ihres Königs Vertrauen berufen sind. . Für die Staatsregierung und die Bevölkerung gilt aber in der Provinz Posen ganz besonders die alte politische Wahrheit, daß mau deu Gegner am wirk¬ samsten bekämpft, wenn man den Freund stärkt. Man erschöpfe deshalb seine Kraft nicht länger in wirkungslosen Repressivmaßregeln, sondern gehe mit klar

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/459
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/459>, abgerufen am 28.09.2024.