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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

man derartigen deutschen Besitzern helfen, soweit sie wirtschaftlich dessen würdig
sind, so würe es einfacher, ihnen billige Staawdarlehen zu gewähren. Mancher
tüchtige deutsche Landwirt, der sieben Prozent Bankzinsen zu zahlen hat, könnte
hierdurch gerettet werden.

Man hat auch daran gedacht, etwas für die geistige Förderung des
Deutschtums in der Provinz Posen zu thun, und zu diesem Zwecke in derselben
eine Universität zu errichten, ein Provinzialmuseum zu begründen, sowie das
deutsche Theater in Posen und einige Theater in den Mittelstädten der Provinz
mit Geld zu unterstützen. Zunächst wird man allen diesen Aufwendungen
gegenüber das Sprichwort anwenden können, daß "jedem das Hemd näher ist
als der Rock." So lange es noch an evangelischen Parochien mangelt, da wo
sie im Interesse des Deutschtums dringend notwendig sind, so lange ein Teil der
vorhandnen Pfarren fortdauernd unbesetzt ist, weil bei den vorhandnen Gehalts¬
festsetzungen sich kein Bewerber findet, so lange noch die evangelischen Schul-
gemeinden unter erdrückenden Schullasten leiden, sich teilweise mit lichtlosen,
ungenügenden, feuchten Schnlhäusern begnügen müssen und eine große Anzahl
evangelischer Kinder in polnisch-katholischen Schulen der sichern Polonisirnng
entgegengehen, so lange würden Aufwendungen für Hochschulen und Kunstinstitute
den Charakter von Luxusausgabe" tragen, während es an des Lebeus Nahrung
und Notdurft fehlt. Den Gedanken der Errichtung einer Universität für die
Provinz Posen, selbst wenn sie ihren Sitz in der sichern deutschen Stadt
Bromberg erhalten sollte, halten wir für einen politisch unglücklichen, wenn¬
gleich anch jener durch veränderte Verkehrsverhältnisse angeblich geschädigten
Stadt eine neue Lebensader zu gönnen wäre.

Ganz Deutschland leidet bereits an einer Überfülle studirter Leute, und
der Staat hat wenig Veranlassung, dem unglücklichen Drängen nach den
literarischen Berufszweigen weiter" Vorschub zu leisten. Durch Begründung
einer Universität für die Provinz Posen würde man gleichzeitig das Streben
der polnischen Bewegung materiell erleichtern, durch Heranbildung von Rechts-
auwülten, Ärzten und Technikern aus dem polnischen Kleinbürger- und Bauern¬
stande die Schacir ihrer geistigen Führer zu verstärken. Trotz des Besuches
deutscher Gymnasien und Hochschulen, trotz Erfüllung der Dienstpflicht in
der Armee und trotz des selbstgewcihlten Berufes in der Zivilverwciltnng
bleibt innerhalb, der Provinz Posen der Pole Pole, lebt als solcher
und ist wie durch ein Naturgesetz mit seiner Phantasie und seinem Herzen an
alles gekettet, was mit den nationalen Hoffnungen zusammenhängt. Nur Poli¬
tiker, die möglicherweise die Provinz Posen nie betreten haben oder trotz ihres
Aufenthalts in der Provinz die Zähigkeit und das Geschick der polnischen
Propaganda nicht zu übersehen vermögen, können sich der Täuschung hingeben,
daß die geistigen Ausstrahlungen eines Professorenkollegiums gegenüber dem
Polonismus etwas für die deutsche Sache wirken könnten. Nicht die Universität


Grmzbvwi II. 1386. 57
polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

man derartigen deutschen Besitzern helfen, soweit sie wirtschaftlich dessen würdig
sind, so würe es einfacher, ihnen billige Staawdarlehen zu gewähren. Mancher
tüchtige deutsche Landwirt, der sieben Prozent Bankzinsen zu zahlen hat, könnte
hierdurch gerettet werden.

Man hat auch daran gedacht, etwas für die geistige Förderung des
Deutschtums in der Provinz Posen zu thun, und zu diesem Zwecke in derselben
eine Universität zu errichten, ein Provinzialmuseum zu begründen, sowie das
deutsche Theater in Posen und einige Theater in den Mittelstädten der Provinz
mit Geld zu unterstützen. Zunächst wird man allen diesen Aufwendungen
gegenüber das Sprichwort anwenden können, daß „jedem das Hemd näher ist
als der Rock." So lange es noch an evangelischen Parochien mangelt, da wo
sie im Interesse des Deutschtums dringend notwendig sind, so lange ein Teil der
vorhandnen Pfarren fortdauernd unbesetzt ist, weil bei den vorhandnen Gehalts¬
festsetzungen sich kein Bewerber findet, so lange noch die evangelischen Schul-
gemeinden unter erdrückenden Schullasten leiden, sich teilweise mit lichtlosen,
ungenügenden, feuchten Schnlhäusern begnügen müssen und eine große Anzahl
evangelischer Kinder in polnisch-katholischen Schulen der sichern Polonisirnng
entgegengehen, so lange würden Aufwendungen für Hochschulen und Kunstinstitute
den Charakter von Luxusausgabe» tragen, während es an des Lebeus Nahrung
und Notdurft fehlt. Den Gedanken der Errichtung einer Universität für die
Provinz Posen, selbst wenn sie ihren Sitz in der sichern deutschen Stadt
Bromberg erhalten sollte, halten wir für einen politisch unglücklichen, wenn¬
gleich anch jener durch veränderte Verkehrsverhältnisse angeblich geschädigten
Stadt eine neue Lebensader zu gönnen wäre.

Ganz Deutschland leidet bereits an einer Überfülle studirter Leute, und
der Staat hat wenig Veranlassung, dem unglücklichen Drängen nach den
literarischen Berufszweigen weiter» Vorschub zu leisten. Durch Begründung
einer Universität für die Provinz Posen würde man gleichzeitig das Streben
der polnischen Bewegung materiell erleichtern, durch Heranbildung von Rechts-
auwülten, Ärzten und Technikern aus dem polnischen Kleinbürger- und Bauern¬
stande die Schacir ihrer geistigen Führer zu verstärken. Trotz des Besuches
deutscher Gymnasien und Hochschulen, trotz Erfüllung der Dienstpflicht in
der Armee und trotz des selbstgewcihlten Berufes in der Zivilverwciltnng
bleibt innerhalb, der Provinz Posen der Pole Pole, lebt als solcher
und ist wie durch ein Naturgesetz mit seiner Phantasie und seinem Herzen an
alles gekettet, was mit den nationalen Hoffnungen zusammenhängt. Nur Poli¬
tiker, die möglicherweise die Provinz Posen nie betreten haben oder trotz ihres
Aufenthalts in der Provinz die Zähigkeit und das Geschick der polnischen
Propaganda nicht zu übersehen vermögen, können sich der Täuschung hingeben,
daß die geistigen Ausstrahlungen eines Professorenkollegiums gegenüber dem
Polonismus etwas für die deutsche Sache wirken könnten. Nicht die Universität


Grmzbvwi II. 1386. 57
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[0457] polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. man derartigen deutschen Besitzern helfen, soweit sie wirtschaftlich dessen würdig sind, so würe es einfacher, ihnen billige Staawdarlehen zu gewähren. Mancher tüchtige deutsche Landwirt, der sieben Prozent Bankzinsen zu zahlen hat, könnte hierdurch gerettet werden. Man hat auch daran gedacht, etwas für die geistige Förderung des Deutschtums in der Provinz Posen zu thun, und zu diesem Zwecke in derselben eine Universität zu errichten, ein Provinzialmuseum zu begründen, sowie das deutsche Theater in Posen und einige Theater in den Mittelstädten der Provinz mit Geld zu unterstützen. Zunächst wird man allen diesen Aufwendungen gegenüber das Sprichwort anwenden können, daß „jedem das Hemd näher ist als der Rock." So lange es noch an evangelischen Parochien mangelt, da wo sie im Interesse des Deutschtums dringend notwendig sind, so lange ein Teil der vorhandnen Pfarren fortdauernd unbesetzt ist, weil bei den vorhandnen Gehalts¬ festsetzungen sich kein Bewerber findet, so lange noch die evangelischen Schul- gemeinden unter erdrückenden Schullasten leiden, sich teilweise mit lichtlosen, ungenügenden, feuchten Schnlhäusern begnügen müssen und eine große Anzahl evangelischer Kinder in polnisch-katholischen Schulen der sichern Polonisirnng entgegengehen, so lange würden Aufwendungen für Hochschulen und Kunstinstitute den Charakter von Luxusausgabe» tragen, während es an des Lebeus Nahrung und Notdurft fehlt. Den Gedanken der Errichtung einer Universität für die Provinz Posen, selbst wenn sie ihren Sitz in der sichern deutschen Stadt Bromberg erhalten sollte, halten wir für einen politisch unglücklichen, wenn¬ gleich anch jener durch veränderte Verkehrsverhältnisse angeblich geschädigten Stadt eine neue Lebensader zu gönnen wäre. Ganz Deutschland leidet bereits an einer Überfülle studirter Leute, und der Staat hat wenig Veranlassung, dem unglücklichen Drängen nach den literarischen Berufszweigen weiter» Vorschub zu leisten. Durch Begründung einer Universität für die Provinz Posen würde man gleichzeitig das Streben der polnischen Bewegung materiell erleichtern, durch Heranbildung von Rechts- auwülten, Ärzten und Technikern aus dem polnischen Kleinbürger- und Bauern¬ stande die Schacir ihrer geistigen Führer zu verstärken. Trotz des Besuches deutscher Gymnasien und Hochschulen, trotz Erfüllung der Dienstpflicht in der Armee und trotz des selbstgewcihlten Berufes in der Zivilverwciltnng bleibt innerhalb, der Provinz Posen der Pole Pole, lebt als solcher und ist wie durch ein Naturgesetz mit seiner Phantasie und seinem Herzen an alles gekettet, was mit den nationalen Hoffnungen zusammenhängt. Nur Poli¬ tiker, die möglicherweise die Provinz Posen nie betreten haben oder trotz ihres Aufenthalts in der Provinz die Zähigkeit und das Geschick der polnischen Propaganda nicht zu übersehen vermögen, können sich der Täuschung hingeben, daß die geistigen Ausstrahlungen eines Professorenkollegiums gegenüber dem Polonismus etwas für die deutsche Sache wirken könnten. Nicht die Universität Grmzbvwi II. 1386. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/457>, abgerufen am 28.09.2024.