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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

der deutschen Wirte trotz der Nachbarschaft einer geschlossenen deutschen Bevölke¬
rung nicht zu, vermindert sich vielmehr stetig; ebenso kommt es kaum vor, daß
sich aus der deutschen Grenzprvvinz bäuerliche Wirte "im Polnischen" ansiedeln.
Die einfache Ursache dieser Erscheinungen liegt in dem Maugel einer evangelischen
Kirche und Schule, weil der deutsche Bauer sich weder hält noch hingeht, wo er
beides nicht findet; ohne gleichzeitige kräftigere Förderung der evangelischen Kirche
und Schule wäre deshalb auch jeder Kvlvnisirnngsversuch eine Danaidenarbeit.

Von der innern Kolonisirung lassen sich nur Erfolge erwarten, wenn sie
wirklich sachverständig geleitet wird. Hierzu gehört aber die genaueste Bekannt¬
schaft mit Land und Leuten, namentlich in den polnischen Gegenden der Provinz,
bis in die untersten Kreise, sowie eingehende Kenntnis der Verwaltnngsverhältnisfc
auf dem platten Lande. Die innere Kolonisirung läßt sich nach drei Richtungen
hin bewirken: 1. durch Erwerb großer polnischer Güter und Ausnutzung derselben
im Wege der Gesamtverpachtuug oder-Verwaltung; 2. durch Erwerb polnischer
Güter un> deren Parzelliruug in bäuerliche Wirtschaften; 3. durch Erhaltung
des gefährdeten deutschen Grundbesitzes, indem man demselben Staatsdarlehen
zu niedrigstem Prozentsatz giebt.

Was zunächst den Erlverb polnischer Güter und deren Gesamtverpachtung
betrifft, so verspricht diese Maßregel für die Germanisirung nur Erfolg, wenn
Männer als Pächter auftreten, die bemittelt genug sind, um die Auswahl ihrer
Arbeiter mit Sorgfalt treffen, möglichst nur deutsche Arbeiter hereinziehen und
sich auch den Anforderungen des öffentlichen Lebens in Kreis und Gemeinde
widmen zu können.

Will man solche Kräfte gewinnen, so wird man auf das Lizitativnsverfahrcn
verzichten oder Negieverwaltuug einführen müssen. Außerdem werden in geeigneten
Füllen, statt der großen Gutskomplexe von 2--6000 Morgen, kleinere Guts¬
schlüssel von etwa 1200--1500 Morgen zu bilden sein, für die sich leichter
zahlungsfähige Pächter zu finden Pflegen.

Will man dagegen die angekauften Besitzungen durch Bildung bäuerlicher
Wirtschaften verwerten, so wähle man nur deu besten Boden mit ertragreichen,
die Wirtschaftsführung erleichternden Wiesen, mit den günstigsten Verkehrsver¬
hältnissen, teile ihn in Loose ein von 30--50 Morgen und lasse das Kaufgeld zu
niedrigstem Prozentsatz und mit der Verpflichtung allmählicher Tilgung uuter
der Bedingung eintragen, daß sowohl beim Verkauf wie bei der Verpachtung
nicht nur der Rückstand sofort fällig wird, sondern auch eine entsprechende Quote
nachträglicher Zinsen gemäß der Differenz zwischen dem gewährten und dem
landesüblichen Zinsfuß zu erstatten bleibt; für Erfüllung der letztem Bedingung
ist eine Kantionshypvthek einzutragen. Der Staat kaun indes beim Wieder¬
verkauf auf die Zahlung des Restkaufgeldes verzichten, die Kautionshypothet
löschen und durch eine solche ersetze" lassen, welche den Zinsnachlässcn für den
neuen Besitzer entspricht.


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

der deutschen Wirte trotz der Nachbarschaft einer geschlossenen deutschen Bevölke¬
rung nicht zu, vermindert sich vielmehr stetig; ebenso kommt es kaum vor, daß
sich aus der deutschen Grenzprvvinz bäuerliche Wirte „im Polnischen" ansiedeln.
Die einfache Ursache dieser Erscheinungen liegt in dem Maugel einer evangelischen
Kirche und Schule, weil der deutsche Bauer sich weder hält noch hingeht, wo er
beides nicht findet; ohne gleichzeitige kräftigere Förderung der evangelischen Kirche
und Schule wäre deshalb auch jeder Kvlvnisirnngsversuch eine Danaidenarbeit.

Von der innern Kolonisirung lassen sich nur Erfolge erwarten, wenn sie
wirklich sachverständig geleitet wird. Hierzu gehört aber die genaueste Bekannt¬
schaft mit Land und Leuten, namentlich in den polnischen Gegenden der Provinz,
bis in die untersten Kreise, sowie eingehende Kenntnis der Verwaltnngsverhältnisfc
auf dem platten Lande. Die innere Kolonisirung läßt sich nach drei Richtungen
hin bewirken: 1. durch Erwerb großer polnischer Güter und Ausnutzung derselben
im Wege der Gesamtverpachtuug oder-Verwaltung; 2. durch Erwerb polnischer
Güter un> deren Parzelliruug in bäuerliche Wirtschaften; 3. durch Erhaltung
des gefährdeten deutschen Grundbesitzes, indem man demselben Staatsdarlehen
zu niedrigstem Prozentsatz giebt.

Was zunächst den Erlverb polnischer Güter und deren Gesamtverpachtung
betrifft, so verspricht diese Maßregel für die Germanisirung nur Erfolg, wenn
Männer als Pächter auftreten, die bemittelt genug sind, um die Auswahl ihrer
Arbeiter mit Sorgfalt treffen, möglichst nur deutsche Arbeiter hereinziehen und
sich auch den Anforderungen des öffentlichen Lebens in Kreis und Gemeinde
widmen zu können.

Will man solche Kräfte gewinnen, so wird man auf das Lizitativnsverfahrcn
verzichten oder Negieverwaltuug einführen müssen. Außerdem werden in geeigneten
Füllen, statt der großen Gutskomplexe von 2—6000 Morgen, kleinere Guts¬
schlüssel von etwa 1200—1500 Morgen zu bilden sein, für die sich leichter
zahlungsfähige Pächter zu finden Pflegen.

Will man dagegen die angekauften Besitzungen durch Bildung bäuerlicher
Wirtschaften verwerten, so wähle man nur deu besten Boden mit ertragreichen,
die Wirtschaftsführung erleichternden Wiesen, mit den günstigsten Verkehrsver¬
hältnissen, teile ihn in Loose ein von 30—50 Morgen und lasse das Kaufgeld zu
niedrigstem Prozentsatz und mit der Verpflichtung allmählicher Tilgung uuter
der Bedingung eintragen, daß sowohl beim Verkauf wie bei der Verpachtung
nicht nur der Rückstand sofort fällig wird, sondern auch eine entsprechende Quote
nachträglicher Zinsen gemäß der Differenz zwischen dem gewährten und dem
landesüblichen Zinsfuß zu erstatten bleibt; für Erfüllung der letztem Bedingung
ist eine Kantionshypvthek einzutragen. Der Staat kaun indes beim Wieder¬
verkauf auf die Zahlung des Restkaufgeldes verzichten, die Kautionshypothet
löschen und durch eine solche ersetze» lassen, welche den Zinsnachlässcn für den
neuen Besitzer entspricht.


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[0455] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. der deutschen Wirte trotz der Nachbarschaft einer geschlossenen deutschen Bevölke¬ rung nicht zu, vermindert sich vielmehr stetig; ebenso kommt es kaum vor, daß sich aus der deutschen Grenzprvvinz bäuerliche Wirte „im Polnischen" ansiedeln. Die einfache Ursache dieser Erscheinungen liegt in dem Maugel einer evangelischen Kirche und Schule, weil der deutsche Bauer sich weder hält noch hingeht, wo er beides nicht findet; ohne gleichzeitige kräftigere Förderung der evangelischen Kirche und Schule wäre deshalb auch jeder Kvlvnisirnngsversuch eine Danaidenarbeit. Von der innern Kolonisirung lassen sich nur Erfolge erwarten, wenn sie wirklich sachverständig geleitet wird. Hierzu gehört aber die genaueste Bekannt¬ schaft mit Land und Leuten, namentlich in den polnischen Gegenden der Provinz, bis in die untersten Kreise, sowie eingehende Kenntnis der Verwaltnngsverhältnisfc auf dem platten Lande. Die innere Kolonisirung läßt sich nach drei Richtungen hin bewirken: 1. durch Erwerb großer polnischer Güter und Ausnutzung derselben im Wege der Gesamtverpachtuug oder-Verwaltung; 2. durch Erwerb polnischer Güter un> deren Parzelliruug in bäuerliche Wirtschaften; 3. durch Erhaltung des gefährdeten deutschen Grundbesitzes, indem man demselben Staatsdarlehen zu niedrigstem Prozentsatz giebt. Was zunächst den Erlverb polnischer Güter und deren Gesamtverpachtung betrifft, so verspricht diese Maßregel für die Germanisirung nur Erfolg, wenn Männer als Pächter auftreten, die bemittelt genug sind, um die Auswahl ihrer Arbeiter mit Sorgfalt treffen, möglichst nur deutsche Arbeiter hereinziehen und sich auch den Anforderungen des öffentlichen Lebens in Kreis und Gemeinde widmen zu können. Will man solche Kräfte gewinnen, so wird man auf das Lizitativnsverfahrcn verzichten oder Negieverwaltuug einführen müssen. Außerdem werden in geeigneten Füllen, statt der großen Gutskomplexe von 2—6000 Morgen, kleinere Guts¬ schlüssel von etwa 1200—1500 Morgen zu bilden sein, für die sich leichter zahlungsfähige Pächter zu finden Pflegen. Will man dagegen die angekauften Besitzungen durch Bildung bäuerlicher Wirtschaften verwerten, so wähle man nur deu besten Boden mit ertragreichen, die Wirtschaftsführung erleichternden Wiesen, mit den günstigsten Verkehrsver¬ hältnissen, teile ihn in Loose ein von 30—50 Morgen und lasse das Kaufgeld zu niedrigstem Prozentsatz und mit der Verpflichtung allmählicher Tilgung uuter der Bedingung eintragen, daß sowohl beim Verkauf wie bei der Verpachtung nicht nur der Rückstand sofort fällig wird, sondern auch eine entsprechende Quote nachträglicher Zinsen gemäß der Differenz zwischen dem gewährten und dem landesüblichen Zinsfuß zu erstatten bleibt; für Erfüllung der letztem Bedingung ist eine Kantionshypvthek einzutragen. Der Staat kaun indes beim Wieder¬ verkauf auf die Zahlung des Restkaufgeldes verzichten, die Kautionshypothet löschen und durch eine solche ersetze» lassen, welche den Zinsnachlässcn für den neuen Besitzer entspricht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/455>, abgerufen am 28.09.2024.