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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Gladstone in Not.

irischen Gesetzentwürfe ist die volle Unabhängigkeit seines Dubliner Parlaments
in allen Dingen, die nicht ausdrücklich als verboten aufgeführt sind, und dar¬
unter befinden sich die Rechte Ulsters nicht. Das Reichsparlament würde auf
nichts fußen können, wenn es sich als Vermittler oder Richter in einen Streit
zwischen Parnell und seinen Unterthanen in Andria, Armagh, Derry und Door
mischen wollte. Deshalb würde der Widerstand von ihrer Seite sich nicht gegen
die Königin Viktoria, sondern gegen die Machte richten, welche ihre Herrschaft
aus Irland verdrängt hätte. Wenn man aber sagt, daß jeder Ungehorsam gegen
eine gesetzlich bestehende Behörde moralisch unrecht ist, so gehört das mehr in
die Theologie als in die Politik, und keine englische Partei hat bisher nach
diesem Grundsätze gehandelt. Alle italienischen Herrscher vor dem Jahre 1859
waren gesetzlich auf ihre Throne gelangt, und trotzdem sympathisirte Gladstone
von ganzen: Herzen mit den Versuchen der italienischen Patrioten, sie zu stürzen,
und ein andres Mitglied des gegenwärtigen Ministeriums war der vertraute
Freund Mazzinis, der sein ganzes Leben darauf verwendete, Aufstände gegen
diese Könige und Herzoge zu organisiren. Die Regierung der Vereinigten
Staaten war gewiß so legitim als irgend eine andre auf Erden, und welcher
Engländer hätte jemals einen Tadel über Stvnewall Jackson und Robert Lee,
ja über Jefferson Davis ausgesprochen? Die englischen Radikalen, welche es
ganz in der Ordnung finden, daß irische Katholiken sich gegen die englische
Herrschaft auflehnen, halten es für etwas schreckliches, wenn die Protestanten
Ulsters von Widerstand gegen den Süden sprechen. Die Königin darf gelästert
werden, aber es ist fast ein Sakrilegium, nicht hochachtungsvoll von Herrn
Parnell zu reden. Die vier Millionen Katholiken, die in Irland leben, sollen
befugt sein, nicht nur sich selbst zu regieren, sondern auch die 1^ Millionen
Protestanten zu beherrschen, welche ans vielen guten Gründen ihr Regiment
verabscheuen und an dem englischen Mutterlande festhalten. Warum sollte
Gladstone in dem Hasse gegen die englische Krone, dein er bei den irischen
Namem begegnet, etwas Natürliches, ja etwas Heiliges und Shmpathie bean¬
spruchendes erblicken, vor der Opposition der Männer von Ulster aber das
Gegenteil von Achtung empfinden dürfen? Wenn die Weigerung derselben,
Parnell als Gebieter anzuerkennen, schließlich zu bewaffneter Widersetzlichkeit
würde, so wäre das eine Rebellion, die sich jedenfalls schwerer verurteilen ließe
als irgend eine, von der die Geschichte berichtet. Erstens hat die Mehrheit des
Reichsparlaments, obwohl es dem Gesetze nach die oberste Entscheidung hat,
kein moralisches Recht, die Untcrthanenpflicht so vieler Unterthanen der britischen
Krone auf andre Personen zu übertragen: es kann sie von ihren Verbindlich-
keiten lossprechen, sie aber nicht unter "fremde" Herrschaft stellen -- wir sagen
"fremde," denn Gladstone hat uns erklärt, daß Irland und England gegen
einander Ausland sein sollen. Als eine Parlamentsakte die Regierung Indiens
der Ostindischen Gesellschaft entzog und der Königin übertrug, erklärten die eng'
lischen Soldaten der Gesellschaft, sie wären zum Dienste für die letztere arge-


Gladstone in Not.

irischen Gesetzentwürfe ist die volle Unabhängigkeit seines Dubliner Parlaments
in allen Dingen, die nicht ausdrücklich als verboten aufgeführt sind, und dar¬
unter befinden sich die Rechte Ulsters nicht. Das Reichsparlament würde auf
nichts fußen können, wenn es sich als Vermittler oder Richter in einen Streit
zwischen Parnell und seinen Unterthanen in Andria, Armagh, Derry und Door
mischen wollte. Deshalb würde der Widerstand von ihrer Seite sich nicht gegen
die Königin Viktoria, sondern gegen die Machte richten, welche ihre Herrschaft
aus Irland verdrängt hätte. Wenn man aber sagt, daß jeder Ungehorsam gegen
eine gesetzlich bestehende Behörde moralisch unrecht ist, so gehört das mehr in
die Theologie als in die Politik, und keine englische Partei hat bisher nach
diesem Grundsätze gehandelt. Alle italienischen Herrscher vor dem Jahre 1859
waren gesetzlich auf ihre Throne gelangt, und trotzdem sympathisirte Gladstone
von ganzen: Herzen mit den Versuchen der italienischen Patrioten, sie zu stürzen,
und ein andres Mitglied des gegenwärtigen Ministeriums war der vertraute
Freund Mazzinis, der sein ganzes Leben darauf verwendete, Aufstände gegen
diese Könige und Herzoge zu organisiren. Die Regierung der Vereinigten
Staaten war gewiß so legitim als irgend eine andre auf Erden, und welcher
Engländer hätte jemals einen Tadel über Stvnewall Jackson und Robert Lee,
ja über Jefferson Davis ausgesprochen? Die englischen Radikalen, welche es
ganz in der Ordnung finden, daß irische Katholiken sich gegen die englische
Herrschaft auflehnen, halten es für etwas schreckliches, wenn die Protestanten
Ulsters von Widerstand gegen den Süden sprechen. Die Königin darf gelästert
werden, aber es ist fast ein Sakrilegium, nicht hochachtungsvoll von Herrn
Parnell zu reden. Die vier Millionen Katholiken, die in Irland leben, sollen
befugt sein, nicht nur sich selbst zu regieren, sondern auch die 1^ Millionen
Protestanten zu beherrschen, welche ans vielen guten Gründen ihr Regiment
verabscheuen und an dem englischen Mutterlande festhalten. Warum sollte
Gladstone in dem Hasse gegen die englische Krone, dein er bei den irischen
Namem begegnet, etwas Natürliches, ja etwas Heiliges und Shmpathie bean¬
spruchendes erblicken, vor der Opposition der Männer von Ulster aber das
Gegenteil von Achtung empfinden dürfen? Wenn die Weigerung derselben,
Parnell als Gebieter anzuerkennen, schließlich zu bewaffneter Widersetzlichkeit
würde, so wäre das eine Rebellion, die sich jedenfalls schwerer verurteilen ließe
als irgend eine, von der die Geschichte berichtet. Erstens hat die Mehrheit des
Reichsparlaments, obwohl es dem Gesetze nach die oberste Entscheidung hat,
kein moralisches Recht, die Untcrthanenpflicht so vieler Unterthanen der britischen
Krone auf andre Personen zu übertragen: es kann sie von ihren Verbindlich-
keiten lossprechen, sie aber nicht unter „fremde" Herrschaft stellen — wir sagen
„fremde," denn Gladstone hat uns erklärt, daß Irland und England gegen
einander Ausland sein sollen. Als eine Parlamentsakte die Regierung Indiens
der Ostindischen Gesellschaft entzog und der Königin übertrug, erklärten die eng'
lischen Soldaten der Gesellschaft, sie wären zum Dienste für die letztere arge-


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[0438] Gladstone in Not. irischen Gesetzentwürfe ist die volle Unabhängigkeit seines Dubliner Parlaments in allen Dingen, die nicht ausdrücklich als verboten aufgeführt sind, und dar¬ unter befinden sich die Rechte Ulsters nicht. Das Reichsparlament würde auf nichts fußen können, wenn es sich als Vermittler oder Richter in einen Streit zwischen Parnell und seinen Unterthanen in Andria, Armagh, Derry und Door mischen wollte. Deshalb würde der Widerstand von ihrer Seite sich nicht gegen die Königin Viktoria, sondern gegen die Machte richten, welche ihre Herrschaft aus Irland verdrängt hätte. Wenn man aber sagt, daß jeder Ungehorsam gegen eine gesetzlich bestehende Behörde moralisch unrecht ist, so gehört das mehr in die Theologie als in die Politik, und keine englische Partei hat bisher nach diesem Grundsätze gehandelt. Alle italienischen Herrscher vor dem Jahre 1859 waren gesetzlich auf ihre Throne gelangt, und trotzdem sympathisirte Gladstone von ganzen: Herzen mit den Versuchen der italienischen Patrioten, sie zu stürzen, und ein andres Mitglied des gegenwärtigen Ministeriums war der vertraute Freund Mazzinis, der sein ganzes Leben darauf verwendete, Aufstände gegen diese Könige und Herzoge zu organisiren. Die Regierung der Vereinigten Staaten war gewiß so legitim als irgend eine andre auf Erden, und welcher Engländer hätte jemals einen Tadel über Stvnewall Jackson und Robert Lee, ja über Jefferson Davis ausgesprochen? Die englischen Radikalen, welche es ganz in der Ordnung finden, daß irische Katholiken sich gegen die englische Herrschaft auflehnen, halten es für etwas schreckliches, wenn die Protestanten Ulsters von Widerstand gegen den Süden sprechen. Die Königin darf gelästert werden, aber es ist fast ein Sakrilegium, nicht hochachtungsvoll von Herrn Parnell zu reden. Die vier Millionen Katholiken, die in Irland leben, sollen befugt sein, nicht nur sich selbst zu regieren, sondern auch die 1^ Millionen Protestanten zu beherrschen, welche ans vielen guten Gründen ihr Regiment verabscheuen und an dem englischen Mutterlande festhalten. Warum sollte Gladstone in dem Hasse gegen die englische Krone, dein er bei den irischen Namem begegnet, etwas Natürliches, ja etwas Heiliges und Shmpathie bean¬ spruchendes erblicken, vor der Opposition der Männer von Ulster aber das Gegenteil von Achtung empfinden dürfen? Wenn die Weigerung derselben, Parnell als Gebieter anzuerkennen, schließlich zu bewaffneter Widersetzlichkeit würde, so wäre das eine Rebellion, die sich jedenfalls schwerer verurteilen ließe als irgend eine, von der die Geschichte berichtet. Erstens hat die Mehrheit des Reichsparlaments, obwohl es dem Gesetze nach die oberste Entscheidung hat, kein moralisches Recht, die Untcrthanenpflicht so vieler Unterthanen der britischen Krone auf andre Personen zu übertragen: es kann sie von ihren Verbindlich- keiten lossprechen, sie aber nicht unter „fremde" Herrschaft stellen — wir sagen „fremde," denn Gladstone hat uns erklärt, daß Irland und England gegen einander Ausland sein sollen. Als eine Parlamentsakte die Regierung Indiens der Ostindischen Gesellschaft entzog und der Königin übertrug, erklärten die eng' lischen Soldaten der Gesellschaft, sie wären zum Dienste für die letztere arge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/438>, abgerufen am 29.12.2024.