Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kampf der deutschon Nationalität mit fremden Aulturen.

aus den Abhandlungen, Predigten und Homilien der Kirchenväter ein Erbauungs¬
buch zusammenstellen, welches bei den Nachmittagsgottesdiensten benutzt werden
sollte. Die Synoden der fränkischen Kirche durften unter seinem Schutze sogar
den Lehrbegriff festsetze" und wahrten ans diese Weise bei aller Anerkennung
des päpstlichen Primates ihre volle Selbständigkeit.

Unwandelbar blieb Karl trotz seiner Schulgerechtem Bewunderung des
römischen Stils der echte Germane in seinem Denken und Fühlen. Soweit
er es bei dem Völkergemische seines großen Reiches vermochte, schützte er die
germanische Nationalität in Sprache, Recht und Sitte. Immer von neuem
empfiehlt er deutsche Predigt und deutschen Unterricht, läßt die deutscheu Volks¬
rechte aufschreiben, läßt Paul Warnefricds Homiliarium ins Deutsche übersetzen,
trägt sich mit dem Plane zu einer deutschen Grammatik, sammelt alte deutsche
Heldenlieder und besetzt die hohen Ämter, wenn es irgend angeht, mit Deutschen.
Wäre Karl der Große nicht so fest und sicher in seinem germanischen Volks¬
bewußtsein gewesen, es fragt sich, ob Ostfranken, unser heutiges Deutschland,
vor der Romanisirung hätte bewahrt werden können. Während seiner langen
Regierung erstarkte das Germanentum von dem Zentrum Mitteleuropas aus
bis an die Sprachscheidc jenseits des Rheines und der Donau so, daß die römische
Kultur nie wieder mit dauerndem Erfolge über ihre Grenzen hinüberfinden
konnte. Der Wurzelstock des karolingischen Herrscherhauses aber teilte sich im
Vertrage zu Verdun (843) nach den Nationalitäten. Drei Stämme wuchsen
empor, zwei romanische und ein germanischer, ein breiter Streifen am linken
Rheinufer, Lothringen genannt, sollte ein Übergangsgebiet zwischen germanischem
und romanischem Wesen bilden, wurde aber der Anlaß zu einem tausendjährigen
Kampfe, denn beide, das Ostreich und das Westreich, rangen um den Besitz
desselben. Hoffentlich hat, was der Vertrag zu Mersen (370) nicht vermochte,
der Friede zu Versailles (1871) den Streit für immer geschlichtet.

Trotz der Trennung Deutschlands von dem romanischen Westen und Süden
gaben die Römer ihre geistigen Eroberungszüge diesseit des Rheines nicht auf.
In der kirchlichen Liturgie, in den Klöstern und in der gesamten, ganz und
gar von den Geistlichen abhängigen Literatur herrschten sie nach wie vor, und
das ward ihnen leicht, denn die deutsche Kirche war unauflöslich an Rom ge¬
knüpft. Im sächsischen Königshause fanden sie einen wertvollen Bundesgenossen.

Es war nicht die Schuld Heinrichs I., daß seine Nachkommen, die Ottonen,
den Kampf der Nationalitäten, welchen die Karolinger mehr unbewußt als bewußt
geführt hatten, aufgaben und dem römischen Wesen freiwillig das Übergewicht
einräumten. Heinrich war ein grunddeutscher Mann. Mit Rom wollte er
nichts zu thun haben, und die halbromanisirte Geistlichkeit durfte ihm die Krone
nicht anrühren, er setzte sie sich selbst aufs Haupt. Da fing auch das Deutschtum
an, sich geistig zu regen. Der Baum der politischen Sage stand bald in voller
Blüte; Lieder aller Art, mit köstlichem Humor gewürzt, lebten im Volke. Sie


Der Kampf der deutschon Nationalität mit fremden Aulturen.

aus den Abhandlungen, Predigten und Homilien der Kirchenväter ein Erbauungs¬
buch zusammenstellen, welches bei den Nachmittagsgottesdiensten benutzt werden
sollte. Die Synoden der fränkischen Kirche durften unter seinem Schutze sogar
den Lehrbegriff festsetze» und wahrten ans diese Weise bei aller Anerkennung
des päpstlichen Primates ihre volle Selbständigkeit.

Unwandelbar blieb Karl trotz seiner Schulgerechtem Bewunderung des
römischen Stils der echte Germane in seinem Denken und Fühlen. Soweit
er es bei dem Völkergemische seines großen Reiches vermochte, schützte er die
germanische Nationalität in Sprache, Recht und Sitte. Immer von neuem
empfiehlt er deutsche Predigt und deutschen Unterricht, läßt die deutscheu Volks¬
rechte aufschreiben, läßt Paul Warnefricds Homiliarium ins Deutsche übersetzen,
trägt sich mit dem Plane zu einer deutschen Grammatik, sammelt alte deutsche
Heldenlieder und besetzt die hohen Ämter, wenn es irgend angeht, mit Deutschen.
Wäre Karl der Große nicht so fest und sicher in seinem germanischen Volks¬
bewußtsein gewesen, es fragt sich, ob Ostfranken, unser heutiges Deutschland,
vor der Romanisirung hätte bewahrt werden können. Während seiner langen
Regierung erstarkte das Germanentum von dem Zentrum Mitteleuropas aus
bis an die Sprachscheidc jenseits des Rheines und der Donau so, daß die römische
Kultur nie wieder mit dauerndem Erfolge über ihre Grenzen hinüberfinden
konnte. Der Wurzelstock des karolingischen Herrscherhauses aber teilte sich im
Vertrage zu Verdun (843) nach den Nationalitäten. Drei Stämme wuchsen
empor, zwei romanische und ein germanischer, ein breiter Streifen am linken
Rheinufer, Lothringen genannt, sollte ein Übergangsgebiet zwischen germanischem
und romanischem Wesen bilden, wurde aber der Anlaß zu einem tausendjährigen
Kampfe, denn beide, das Ostreich und das Westreich, rangen um den Besitz
desselben. Hoffentlich hat, was der Vertrag zu Mersen (370) nicht vermochte,
der Friede zu Versailles (1871) den Streit für immer geschlichtet.

Trotz der Trennung Deutschlands von dem romanischen Westen und Süden
gaben die Römer ihre geistigen Eroberungszüge diesseit des Rheines nicht auf.
In der kirchlichen Liturgie, in den Klöstern und in der gesamten, ganz und
gar von den Geistlichen abhängigen Literatur herrschten sie nach wie vor, und
das ward ihnen leicht, denn die deutsche Kirche war unauflöslich an Rom ge¬
knüpft. Im sächsischen Königshause fanden sie einen wertvollen Bundesgenossen.

Es war nicht die Schuld Heinrichs I., daß seine Nachkommen, die Ottonen,
den Kampf der Nationalitäten, welchen die Karolinger mehr unbewußt als bewußt
geführt hatten, aufgaben und dem römischen Wesen freiwillig das Übergewicht
einräumten. Heinrich war ein grunddeutscher Mann. Mit Rom wollte er
nichts zu thun haben, und die halbromanisirte Geistlichkeit durfte ihm die Krone
nicht anrühren, er setzte sie sich selbst aufs Haupt. Da fing auch das Deutschtum
an, sich geistig zu regen. Der Baum der politischen Sage stand bald in voller
Blüte; Lieder aller Art, mit köstlichem Humor gewürzt, lebten im Volke. Sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198486"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kampf der deutschon Nationalität mit fremden Aulturen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1229" prev="#ID_1228"> aus den Abhandlungen, Predigten und Homilien der Kirchenväter ein Erbauungs¬<lb/>
buch zusammenstellen, welches bei den Nachmittagsgottesdiensten benutzt werden<lb/>
sollte. Die Synoden der fränkischen Kirche durften unter seinem Schutze sogar<lb/>
den Lehrbegriff festsetze» und wahrten ans diese Weise bei aller Anerkennung<lb/>
des päpstlichen Primates ihre volle Selbständigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1230"> Unwandelbar blieb Karl trotz seiner Schulgerechtem Bewunderung des<lb/>
römischen Stils der echte Germane in seinem Denken und Fühlen. Soweit<lb/>
er es bei dem Völkergemische seines großen Reiches vermochte, schützte er die<lb/>
germanische Nationalität in Sprache, Recht und Sitte. Immer von neuem<lb/>
empfiehlt er deutsche Predigt und deutschen Unterricht, läßt die deutscheu Volks¬<lb/>
rechte aufschreiben, läßt Paul Warnefricds Homiliarium ins Deutsche übersetzen,<lb/>
trägt sich mit dem Plane zu einer deutschen Grammatik, sammelt alte deutsche<lb/>
Heldenlieder und besetzt die hohen Ämter, wenn es irgend angeht, mit Deutschen.<lb/>
Wäre Karl der Große nicht so fest und sicher in seinem germanischen Volks¬<lb/>
bewußtsein gewesen, es fragt sich, ob Ostfranken, unser heutiges Deutschland,<lb/>
vor der Romanisirung hätte bewahrt werden können. Während seiner langen<lb/>
Regierung erstarkte das Germanentum von dem Zentrum Mitteleuropas aus<lb/>
bis an die Sprachscheidc jenseits des Rheines und der Donau so, daß die römische<lb/>
Kultur nie wieder mit dauerndem Erfolge über ihre Grenzen hinüberfinden<lb/>
konnte. Der Wurzelstock des karolingischen Herrscherhauses aber teilte sich im<lb/>
Vertrage zu Verdun (843) nach den Nationalitäten. Drei Stämme wuchsen<lb/>
empor, zwei romanische und ein germanischer, ein breiter Streifen am linken<lb/>
Rheinufer, Lothringen genannt, sollte ein Übergangsgebiet zwischen germanischem<lb/>
und romanischem Wesen bilden, wurde aber der Anlaß zu einem tausendjährigen<lb/>
Kampfe, denn beide, das Ostreich und das Westreich, rangen um den Besitz<lb/>
desselben. Hoffentlich hat, was der Vertrag zu Mersen (370) nicht vermochte,<lb/>
der Friede zu Versailles (1871) den Streit für immer geschlichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1231"> Trotz der Trennung Deutschlands von dem romanischen Westen und Süden<lb/>
gaben die Römer ihre geistigen Eroberungszüge diesseit des Rheines nicht auf.<lb/>
In der kirchlichen Liturgie, in den Klöstern und in der gesamten, ganz und<lb/>
gar von den Geistlichen abhängigen Literatur herrschten sie nach wie vor, und<lb/>
das ward ihnen leicht, denn die deutsche Kirche war unauflöslich an Rom ge¬<lb/>
knüpft. Im sächsischen Königshause fanden sie einen wertvollen Bundesgenossen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1232" next="#ID_1233"> Es war nicht die Schuld Heinrichs I., daß seine Nachkommen, die Ottonen,<lb/>
den Kampf der Nationalitäten, welchen die Karolinger mehr unbewußt als bewußt<lb/>
geführt hatten, aufgaben und dem römischen Wesen freiwillig das Übergewicht<lb/>
einräumten. Heinrich war ein grunddeutscher Mann. Mit Rom wollte er<lb/>
nichts zu thun haben, und die halbromanisirte Geistlichkeit durfte ihm die Krone<lb/>
nicht anrühren, er setzte sie sich selbst aufs Haupt. Da fing auch das Deutschtum<lb/>
an, sich geistig zu regen. Der Baum der politischen Sage stand bald in voller<lb/>
Blüte; Lieder aller Art, mit köstlichem Humor gewürzt, lebten im Volke. Sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0420] Der Kampf der deutschon Nationalität mit fremden Aulturen. aus den Abhandlungen, Predigten und Homilien der Kirchenväter ein Erbauungs¬ buch zusammenstellen, welches bei den Nachmittagsgottesdiensten benutzt werden sollte. Die Synoden der fränkischen Kirche durften unter seinem Schutze sogar den Lehrbegriff festsetze» und wahrten ans diese Weise bei aller Anerkennung des päpstlichen Primates ihre volle Selbständigkeit. Unwandelbar blieb Karl trotz seiner Schulgerechtem Bewunderung des römischen Stils der echte Germane in seinem Denken und Fühlen. Soweit er es bei dem Völkergemische seines großen Reiches vermochte, schützte er die germanische Nationalität in Sprache, Recht und Sitte. Immer von neuem empfiehlt er deutsche Predigt und deutschen Unterricht, läßt die deutscheu Volks¬ rechte aufschreiben, läßt Paul Warnefricds Homiliarium ins Deutsche übersetzen, trägt sich mit dem Plane zu einer deutschen Grammatik, sammelt alte deutsche Heldenlieder und besetzt die hohen Ämter, wenn es irgend angeht, mit Deutschen. Wäre Karl der Große nicht so fest und sicher in seinem germanischen Volks¬ bewußtsein gewesen, es fragt sich, ob Ostfranken, unser heutiges Deutschland, vor der Romanisirung hätte bewahrt werden können. Während seiner langen Regierung erstarkte das Germanentum von dem Zentrum Mitteleuropas aus bis an die Sprachscheidc jenseits des Rheines und der Donau so, daß die römische Kultur nie wieder mit dauerndem Erfolge über ihre Grenzen hinüberfinden konnte. Der Wurzelstock des karolingischen Herrscherhauses aber teilte sich im Vertrage zu Verdun (843) nach den Nationalitäten. Drei Stämme wuchsen empor, zwei romanische und ein germanischer, ein breiter Streifen am linken Rheinufer, Lothringen genannt, sollte ein Übergangsgebiet zwischen germanischem und romanischem Wesen bilden, wurde aber der Anlaß zu einem tausendjährigen Kampfe, denn beide, das Ostreich und das Westreich, rangen um den Besitz desselben. Hoffentlich hat, was der Vertrag zu Mersen (370) nicht vermochte, der Friede zu Versailles (1871) den Streit für immer geschlichtet. Trotz der Trennung Deutschlands von dem romanischen Westen und Süden gaben die Römer ihre geistigen Eroberungszüge diesseit des Rheines nicht auf. In der kirchlichen Liturgie, in den Klöstern und in der gesamten, ganz und gar von den Geistlichen abhängigen Literatur herrschten sie nach wie vor, und das ward ihnen leicht, denn die deutsche Kirche war unauflöslich an Rom ge¬ knüpft. Im sächsischen Königshause fanden sie einen wertvollen Bundesgenossen. Es war nicht die Schuld Heinrichs I., daß seine Nachkommen, die Ottonen, den Kampf der Nationalitäten, welchen die Karolinger mehr unbewußt als bewußt geführt hatten, aufgaben und dem römischen Wesen freiwillig das Übergewicht einräumten. Heinrich war ein grunddeutscher Mann. Mit Rom wollte er nichts zu thun haben, und die halbromanisirte Geistlichkeit durfte ihm die Krone nicht anrühren, er setzte sie sich selbst aufs Haupt. Da fing auch das Deutschtum an, sich geistig zu regen. Der Baum der politischen Sage stand bald in voller Blüte; Lieder aller Art, mit köstlichem Humor gewürzt, lebten im Volke. Sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/420
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/420>, abgerufen am 24.07.2024.