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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Ramxf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

NUN freilich auf andre Weise verwenden mußten. Statt des Schwertes und des
Nutenbündels nahmen sie das Kreuz und das Evangelienbuch, im geistlichen
Gewände traten sie an die heidnischen Barbaren heran, die sich in den alten
Grenzen des Römerreiches niedergelassen hatten, und wenn diese sich beugten vor
der Majestät des christlichen Glaubens, dann beugten sie sich auch vor der
römischen Kultur, denn ihre neuen geistlichen Herren nötigten ihnen die römische
Sprache auf. Dann überschritten die geistlichen Eroberer die alten Grenzen,
und wenn sie auch die Völker nicht mehr wie früher ohne weiteres romanisiren
konnten, in der Kirche und in der Literatur setzte sich das Nömertum trotz der
Bibelübersetzung des Ulfilas fest. In Rom aber erhob sich auf den Trümmern
des gestürzten weltlichen Kaisertums ein geistliches. Der christliche Pontifex
Maximus, der Papst, beanspruchte die geistige Gewalt über die kultivirte Welt
Bei diesen kirchlichen Eroberungen fanden die Römer treue Gehilfen in den
Kelten und den Mischvölkern auf keltischem Grund und Boden. Die Iren,
Angelsachsen und Gallier sandten eifrige, Rom unbedingt ergebene Missionare
in die germanischen Länder, und von den Germanen erwartete Rom dieselbe
Dienstbeflissenheit. So erhielt auch das Heiligste, was wir von den Römern
bekamen, ein besonderes, römisches Gepräge.

Karl der Große war aufrichtig kirchlich gesinnt. Auch dies gehörte zu
seinem echt germanischen Wesen. Überdies fühlte er sich in einer gewissen
Abhängigkeit von Rom, denn sein Vater Pippin hatte sich auf einen Päpst¬
lichen Machtspruch gestützt, als er Childerich, den letzten Merovingcr, in
das Kloster schickte und sich zum Könige machte. Die karolingische Dynastie
leitete ihr Thronrecht von der kirchlichen Sanktion ab. Karl war auch jeder¬
zeit bereit, dem Papste alle möglichen Gefälligkeiten zu erweisen. Er half
ihm gegen die Langobarden, er sicherte seine Stellung in Rom, er unter¬
warf alle Kirchen und Klöster des fränkischen Reiches seiner geistlichen Auto¬
rität. Aber er war weit davon entfernt, sich selbst und seiue kaiserliche Macht
dem römischen Papste unterzuordnen. Indem er auf den Knieen liegend sich
von Leo HI. in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone aufs Haupt setzen
ließ, wollte er nicht als ein Geschöpf der päpstlichen Gnade wieder auf¬
stehen, sondern als der wahre Herr des Abendlandes, an den der geistliche Ver¬
weser der heiligen Kaisermacht nur die verblichene Krone ausgeliefert hatte;
nur ans seinem eignen Haupte, das wußte er, konnte der Glanz der impera¬
torischen Herrlichkeit wieder aufleben. Demgemäß betrachtete er sich als den
Grundherrn Italiens, unter dessen Schutze auch das römische Gebiet und die
ganze Pippinsche Schenkung stand. Kraft seiner königlichen und kaiserlichen
Würde vergab er die höchsten Kirchenämter, selbst der Papst mußte sich seiner
Oberhoheit unterordnen, kraft seiner Würde erließ er kirchliche Edikte und gab
den Geistlichen Gesetze. So untersagte er den Bischöfen und Adler das Halten
von Jagdvögeln, Jagdhunden und Possenreißern, so mußte Paul Warnefried


Der Ramxf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

NUN freilich auf andre Weise verwenden mußten. Statt des Schwertes und des
Nutenbündels nahmen sie das Kreuz und das Evangelienbuch, im geistlichen
Gewände traten sie an die heidnischen Barbaren heran, die sich in den alten
Grenzen des Römerreiches niedergelassen hatten, und wenn diese sich beugten vor
der Majestät des christlichen Glaubens, dann beugten sie sich auch vor der
römischen Kultur, denn ihre neuen geistlichen Herren nötigten ihnen die römische
Sprache auf. Dann überschritten die geistlichen Eroberer die alten Grenzen,
und wenn sie auch die Völker nicht mehr wie früher ohne weiteres romanisiren
konnten, in der Kirche und in der Literatur setzte sich das Nömertum trotz der
Bibelübersetzung des Ulfilas fest. In Rom aber erhob sich auf den Trümmern
des gestürzten weltlichen Kaisertums ein geistliches. Der christliche Pontifex
Maximus, der Papst, beanspruchte die geistige Gewalt über die kultivirte Welt
Bei diesen kirchlichen Eroberungen fanden die Römer treue Gehilfen in den
Kelten und den Mischvölkern auf keltischem Grund und Boden. Die Iren,
Angelsachsen und Gallier sandten eifrige, Rom unbedingt ergebene Missionare
in die germanischen Länder, und von den Germanen erwartete Rom dieselbe
Dienstbeflissenheit. So erhielt auch das Heiligste, was wir von den Römern
bekamen, ein besonderes, römisches Gepräge.

Karl der Große war aufrichtig kirchlich gesinnt. Auch dies gehörte zu
seinem echt germanischen Wesen. Überdies fühlte er sich in einer gewissen
Abhängigkeit von Rom, denn sein Vater Pippin hatte sich auf einen Päpst¬
lichen Machtspruch gestützt, als er Childerich, den letzten Merovingcr, in
das Kloster schickte und sich zum Könige machte. Die karolingische Dynastie
leitete ihr Thronrecht von der kirchlichen Sanktion ab. Karl war auch jeder¬
zeit bereit, dem Papste alle möglichen Gefälligkeiten zu erweisen. Er half
ihm gegen die Langobarden, er sicherte seine Stellung in Rom, er unter¬
warf alle Kirchen und Klöster des fränkischen Reiches seiner geistlichen Auto¬
rität. Aber er war weit davon entfernt, sich selbst und seiue kaiserliche Macht
dem römischen Papste unterzuordnen. Indem er auf den Knieen liegend sich
von Leo HI. in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone aufs Haupt setzen
ließ, wollte er nicht als ein Geschöpf der päpstlichen Gnade wieder auf¬
stehen, sondern als der wahre Herr des Abendlandes, an den der geistliche Ver¬
weser der heiligen Kaisermacht nur die verblichene Krone ausgeliefert hatte;
nur ans seinem eignen Haupte, das wußte er, konnte der Glanz der impera¬
torischen Herrlichkeit wieder aufleben. Demgemäß betrachtete er sich als den
Grundherrn Italiens, unter dessen Schutze auch das römische Gebiet und die
ganze Pippinsche Schenkung stand. Kraft seiner königlichen und kaiserlichen
Würde vergab er die höchsten Kirchenämter, selbst der Papst mußte sich seiner
Oberhoheit unterordnen, kraft seiner Würde erließ er kirchliche Edikte und gab
den Geistlichen Gesetze. So untersagte er den Bischöfen und Adler das Halten
von Jagdvögeln, Jagdhunden und Possenreißern, so mußte Paul Warnefried


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[0419] Der Ramxf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. NUN freilich auf andre Weise verwenden mußten. Statt des Schwertes und des Nutenbündels nahmen sie das Kreuz und das Evangelienbuch, im geistlichen Gewände traten sie an die heidnischen Barbaren heran, die sich in den alten Grenzen des Römerreiches niedergelassen hatten, und wenn diese sich beugten vor der Majestät des christlichen Glaubens, dann beugten sie sich auch vor der römischen Kultur, denn ihre neuen geistlichen Herren nötigten ihnen die römische Sprache auf. Dann überschritten die geistlichen Eroberer die alten Grenzen, und wenn sie auch die Völker nicht mehr wie früher ohne weiteres romanisiren konnten, in der Kirche und in der Literatur setzte sich das Nömertum trotz der Bibelübersetzung des Ulfilas fest. In Rom aber erhob sich auf den Trümmern des gestürzten weltlichen Kaisertums ein geistliches. Der christliche Pontifex Maximus, der Papst, beanspruchte die geistige Gewalt über die kultivirte Welt Bei diesen kirchlichen Eroberungen fanden die Römer treue Gehilfen in den Kelten und den Mischvölkern auf keltischem Grund und Boden. Die Iren, Angelsachsen und Gallier sandten eifrige, Rom unbedingt ergebene Missionare in die germanischen Länder, und von den Germanen erwartete Rom dieselbe Dienstbeflissenheit. So erhielt auch das Heiligste, was wir von den Römern bekamen, ein besonderes, römisches Gepräge. Karl der Große war aufrichtig kirchlich gesinnt. Auch dies gehörte zu seinem echt germanischen Wesen. Überdies fühlte er sich in einer gewissen Abhängigkeit von Rom, denn sein Vater Pippin hatte sich auf einen Päpst¬ lichen Machtspruch gestützt, als er Childerich, den letzten Merovingcr, in das Kloster schickte und sich zum Könige machte. Die karolingische Dynastie leitete ihr Thronrecht von der kirchlichen Sanktion ab. Karl war auch jeder¬ zeit bereit, dem Papste alle möglichen Gefälligkeiten zu erweisen. Er half ihm gegen die Langobarden, er sicherte seine Stellung in Rom, er unter¬ warf alle Kirchen und Klöster des fränkischen Reiches seiner geistlichen Auto¬ rität. Aber er war weit davon entfernt, sich selbst und seiue kaiserliche Macht dem römischen Papste unterzuordnen. Indem er auf den Knieen liegend sich von Leo HI. in der Peterskirche zu Rom die Kaiserkrone aufs Haupt setzen ließ, wollte er nicht als ein Geschöpf der päpstlichen Gnade wieder auf¬ stehen, sondern als der wahre Herr des Abendlandes, an den der geistliche Ver¬ weser der heiligen Kaisermacht nur die verblichene Krone ausgeliefert hatte; nur ans seinem eignen Haupte, das wußte er, konnte der Glanz der impera¬ torischen Herrlichkeit wieder aufleben. Demgemäß betrachtete er sich als den Grundherrn Italiens, unter dessen Schutze auch das römische Gebiet und die ganze Pippinsche Schenkung stand. Kraft seiner königlichen und kaiserlichen Würde vergab er die höchsten Kirchenämter, selbst der Papst mußte sich seiner Oberhoheit unterordnen, kraft seiner Würde erließ er kirchliche Edikte und gab den Geistlichen Gesetze. So untersagte er den Bischöfen und Adler das Halten von Jagdvögeln, Jagdhunden und Possenreißern, so mußte Paul Warnefried

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/419>, abgerufen am 24.07.2024.