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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

ratur, die schönen Kunstwerke als Beutestücke, mit denen er sich schmückt; zu
einer achtungsvollen Hingebung aber, zu einem ernsten Studium gelaugt er wohl
in den seltensten Fallen, denn als Sieger glaubt er den Besiegten übersehen zu
können.

Man hat auch gesagt, daß das Christentum in dem großen Nömerreiche
das passendste Wirluugsgcbiet gefunden habe, und hat die Vorsehung gepriesen,
welche der letzten großen Offenbarung seit Jahrhunderten eine weltgeschichtliche
Stätte bereitete. Aber was hindert uns dagegen einzuwenden, daß die schweren
Christenverfolgungen im einheitlichen römischen Weltreiche stattfanden? Oder,
wenn man uns belehrt, wie notwendig diese Verfolgungen zur Stärkung des
Glaubens gewesen seien: daß die Erstarrung des Christentums durch endlose
Wortstreitigkeiten und Begriffsspaltungen gerade aus dein Wesen der juristisch
zugespitzten römischen Denkart hervorging, jene Erstarrung, welche dem Muha-
medanismus den Acker bereitete, den Untergang des Christentums in Asien,
Afrika, Spanien nach sich zog und vielleicht das ganze Abendland dem Islam
preisgegeben Hütte, wenn nicht der germanische Karl Martel bei Tours und
Poitiers mit einer weltgeschichtlichen Ncttungsthat dazwischengetreten wäre?
Die Vorsehung würde auch ohne das Nömerreich Mittel gefunden haben, dem
Christentum" zum Siege zu verhelfe". Alles, was geschieht, geschieht aus der
innersten Notwendigkeit der Dinge und Verhältnisse, aber es möchte schwer zu
beweisen sein, daß alles Notwendige auch sittlich gut und heilsam sei. Das
Überwuchern des Nömertnms war eine Notwendigkeit, aber mehr ein not¬
wendiges Übel als eul notwendiges Gut.

Als die Germanen mit den Römern in nähere Berührung kamen, em¬
pfanden sie eine bestimmte Abneigung, die fast an Ekel grenzte. Ihre unver¬
fälschte Natur, der angeborne sittliche Instinkt eines begabten, sich aus sich
selbst entwickelnden Volkes prallte zurück vor der schleichenden Hinterlist, der
harten Selbstsucht, der weichlichen Sittenlosigkeit der Kulturmenschen. Barbarische
Grausamkeit, Hader, Eifersucht und Nachsucht waren ihnen zwar nicht fremd,
und gewiß giebt es nichts Verkehrteres als eine sittliche Verherrlichung der
alten Germanen. Wer sich vorstellt, wie die Westgoten in Griechenland, die
Wandalen in Afrika ganze Herden von Menschen, Männer, Weiber, Kinder,
wie das Vieh zusammengekoppelt vor sich hertrieben, wer sich erinnert, daß die
Sachsen noch zu Karls des Großen Zeit die Gefangnen ihren Göttern schlachteten,
der wird keinen allzu großen Unterschied machen zwischen dem damaligen Kultur-
zustande der Germanen und dem der Hunnen, mit denen sie oft genug in denselben
Reihen kämpften, und bei deren König Attila die deutschen Fürstensöhne eine
Zeit laug die Kriegskunst erlernten. Aber Thatsache ist es, daß diese wilden
und ungeschlachten Germanen vor der römischen Kultur, die sie seit Marius'
Zeit zu beobachte" Gelegenheit hatten, wie vor etwas Schlechtem zurückschreckten.
Auch die Besonnensten unter ihnen mochten fühlen, daß sich aus ihren rohen


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

ratur, die schönen Kunstwerke als Beutestücke, mit denen er sich schmückt; zu
einer achtungsvollen Hingebung aber, zu einem ernsten Studium gelaugt er wohl
in den seltensten Fallen, denn als Sieger glaubt er den Besiegten übersehen zu
können.

Man hat auch gesagt, daß das Christentum in dem großen Nömerreiche
das passendste Wirluugsgcbiet gefunden habe, und hat die Vorsehung gepriesen,
welche der letzten großen Offenbarung seit Jahrhunderten eine weltgeschichtliche
Stätte bereitete. Aber was hindert uns dagegen einzuwenden, daß die schweren
Christenverfolgungen im einheitlichen römischen Weltreiche stattfanden? Oder,
wenn man uns belehrt, wie notwendig diese Verfolgungen zur Stärkung des
Glaubens gewesen seien: daß die Erstarrung des Christentums durch endlose
Wortstreitigkeiten und Begriffsspaltungen gerade aus dein Wesen der juristisch
zugespitzten römischen Denkart hervorging, jene Erstarrung, welche dem Muha-
medanismus den Acker bereitete, den Untergang des Christentums in Asien,
Afrika, Spanien nach sich zog und vielleicht das ganze Abendland dem Islam
preisgegeben Hütte, wenn nicht der germanische Karl Martel bei Tours und
Poitiers mit einer weltgeschichtlichen Ncttungsthat dazwischengetreten wäre?
Die Vorsehung würde auch ohne das Nömerreich Mittel gefunden haben, dem
Christentum« zum Siege zu verhelfe». Alles, was geschieht, geschieht aus der
innersten Notwendigkeit der Dinge und Verhältnisse, aber es möchte schwer zu
beweisen sein, daß alles Notwendige auch sittlich gut und heilsam sei. Das
Überwuchern des Nömertnms war eine Notwendigkeit, aber mehr ein not¬
wendiges Übel als eul notwendiges Gut.

Als die Germanen mit den Römern in nähere Berührung kamen, em¬
pfanden sie eine bestimmte Abneigung, die fast an Ekel grenzte. Ihre unver¬
fälschte Natur, der angeborne sittliche Instinkt eines begabten, sich aus sich
selbst entwickelnden Volkes prallte zurück vor der schleichenden Hinterlist, der
harten Selbstsucht, der weichlichen Sittenlosigkeit der Kulturmenschen. Barbarische
Grausamkeit, Hader, Eifersucht und Nachsucht waren ihnen zwar nicht fremd,
und gewiß giebt es nichts Verkehrteres als eine sittliche Verherrlichung der
alten Germanen. Wer sich vorstellt, wie die Westgoten in Griechenland, die
Wandalen in Afrika ganze Herden von Menschen, Männer, Weiber, Kinder,
wie das Vieh zusammengekoppelt vor sich hertrieben, wer sich erinnert, daß die
Sachsen noch zu Karls des Großen Zeit die Gefangnen ihren Göttern schlachteten,
der wird keinen allzu großen Unterschied machen zwischen dem damaligen Kultur-
zustande der Germanen und dem der Hunnen, mit denen sie oft genug in denselben
Reihen kämpften, und bei deren König Attila die deutschen Fürstensöhne eine
Zeit laug die Kriegskunst erlernten. Aber Thatsache ist es, daß diese wilden
und ungeschlachten Germanen vor der römischen Kultur, die sie seit Marius'
Zeit zu beobachte» Gelegenheit hatten, wie vor etwas Schlechtem zurückschreckten.
Auch die Besonnensten unter ihnen mochten fühlen, daß sich aus ihren rohen


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[0416] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. ratur, die schönen Kunstwerke als Beutestücke, mit denen er sich schmückt; zu einer achtungsvollen Hingebung aber, zu einem ernsten Studium gelaugt er wohl in den seltensten Fallen, denn als Sieger glaubt er den Besiegten übersehen zu können. Man hat auch gesagt, daß das Christentum in dem großen Nömerreiche das passendste Wirluugsgcbiet gefunden habe, und hat die Vorsehung gepriesen, welche der letzten großen Offenbarung seit Jahrhunderten eine weltgeschichtliche Stätte bereitete. Aber was hindert uns dagegen einzuwenden, daß die schweren Christenverfolgungen im einheitlichen römischen Weltreiche stattfanden? Oder, wenn man uns belehrt, wie notwendig diese Verfolgungen zur Stärkung des Glaubens gewesen seien: daß die Erstarrung des Christentums durch endlose Wortstreitigkeiten und Begriffsspaltungen gerade aus dein Wesen der juristisch zugespitzten römischen Denkart hervorging, jene Erstarrung, welche dem Muha- medanismus den Acker bereitete, den Untergang des Christentums in Asien, Afrika, Spanien nach sich zog und vielleicht das ganze Abendland dem Islam preisgegeben Hütte, wenn nicht der germanische Karl Martel bei Tours und Poitiers mit einer weltgeschichtlichen Ncttungsthat dazwischengetreten wäre? Die Vorsehung würde auch ohne das Nömerreich Mittel gefunden haben, dem Christentum« zum Siege zu verhelfe». Alles, was geschieht, geschieht aus der innersten Notwendigkeit der Dinge und Verhältnisse, aber es möchte schwer zu beweisen sein, daß alles Notwendige auch sittlich gut und heilsam sei. Das Überwuchern des Nömertnms war eine Notwendigkeit, aber mehr ein not¬ wendiges Übel als eul notwendiges Gut. Als die Germanen mit den Römern in nähere Berührung kamen, em¬ pfanden sie eine bestimmte Abneigung, die fast an Ekel grenzte. Ihre unver¬ fälschte Natur, der angeborne sittliche Instinkt eines begabten, sich aus sich selbst entwickelnden Volkes prallte zurück vor der schleichenden Hinterlist, der harten Selbstsucht, der weichlichen Sittenlosigkeit der Kulturmenschen. Barbarische Grausamkeit, Hader, Eifersucht und Nachsucht waren ihnen zwar nicht fremd, und gewiß giebt es nichts Verkehrteres als eine sittliche Verherrlichung der alten Germanen. Wer sich vorstellt, wie die Westgoten in Griechenland, die Wandalen in Afrika ganze Herden von Menschen, Männer, Weiber, Kinder, wie das Vieh zusammengekoppelt vor sich hertrieben, wer sich erinnert, daß die Sachsen noch zu Karls des Großen Zeit die Gefangnen ihren Göttern schlachteten, der wird keinen allzu großen Unterschied machen zwischen dem damaligen Kultur- zustande der Germanen und dem der Hunnen, mit denen sie oft genug in denselben Reihen kämpften, und bei deren König Attila die deutschen Fürstensöhne eine Zeit laug die Kriegskunst erlernten. Aber Thatsache ist es, daß diese wilden und ungeschlachten Germanen vor der römischen Kultur, die sie seit Marius' Zeit zu beobachte» Gelegenheit hatten, wie vor etwas Schlechtem zurückschreckten. Auch die Besonnensten unter ihnen mochten fühlen, daß sich aus ihren rohen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/416>, abgerufen am 25.07.2024.