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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutscheu Nationalität mit fremden Kulturen.

deutschen Erbfehler, das Fremde dem Einheimischen vorzuziehen, allein wenn
man näher zusieht, bemerkt man eine wichtige Unterscheidung. Nicht die aus
freier Wahl hervorgegcmgne zeitweilige Hinneigung zu fremden Kulturen fordert
den Widerstand der Nationalität heraus, sondern das aufgedrängte Fremde.
So sind zu verschiednen Zeiten das Griechische, das Englische, das Italienische,
ja selbst das Arabische und das Spanische Gegenstände der Nachahmung und
des Studiums für die Deutschen geworden, aber zu der Besorgnis, daß durch
sie das nationale Leben zerstört werden könnte, haben sie nicht Anlaß gegeben,
man müßte denn eine vorübergehende Abwehr des Einflusses gewisser fremder
Literaturen hierher rechnen. Nur gegen das Lateinische und Französische wehrte
sich das Deutschtum immer von neuem aus dem innersten Kerne seines Wesens
heraus, offenbar weil beides sich aufdrängte. Man könnte weiter mit demselben
Rechte sagen, auch gegen das slawische, allein dies würde eine selbständige und
weitführende Untersuchung nötig machen; darum müßte es sür sich behandelt
werden und mag hier unerörtert bleiben. Es wird interessant genug sein, zu
beobachten, wie sich das deutsche Volk und seine wissenschaftlichen oder ans andre
Weise einflußreichen Vertreter gegen die Romanisirung zu schützen gesucht haben.

Man kann Wohl kein Volk nennen, auch die Engländer einbegriffen, welches
soviel Kolonisationsgeschick besäße oder besessen hätte wie die Römer. Jedes
Land, das sie mit den Waffen erobern oder durch eine schlaue Politik ihrem
Einflüsse osfenlegen konnten, machten sie in kurzer Zeit mit unerbittlicher
Zähigkeit römisch. Überall fühlten sie sich daheim, wohin nur immer ihre Straßen
führten, im rauhen Norden am Unterrhein, im heißen Süden bis zum Rande
der Sahara, im überkultivirten Kleinasien und Syrien, im unwirtlichen, bar¬
barischen Spanien. Mit einer Energie des Körpers und Geistes, die man in
dem Lande der Myrten, Orangen und Granaten kaum erwartet, legten sie unter
den widerspenstige" Völkern ihre Standlager an, und während die Soldaten Straßen
mit Gußmauerwerk und Wasserleitungen herstellten, schlugen die Kaufleute ihre
Waarenftände, die Handwerker ihre Werkstätten, die Prätvren und Quästoren ihre
Gerichts- und Steuerstellen, die Präzeptoren ihre Schulen auf, und wehe dem Ein-
gebornen, der sich nicht ohne weiteres in die neuen Gegenstände, die neuen Begriffe
und die römische Sprache einlebte! Wenige Jahrzehnte gingen darüber hin,
dann war das Land romanisirt wie Italien. Selbst als die Römer durch die
sich häufende" Reichtümer und Genüsse so verweichlicht waren, daß sie nicht
mehr im Heere dienen konnten, dauerte die zähe Lebensfähigkeit des alles über¬
wuchernden Römertnms fort. Die Despotie, welche mit dieser unerbittlichen
Kvlonisatioustaktik verbunden war, drückte furchtbar auf die gesamte damalige
Kulturwelt. Die römische Politik war der unverhüllte Egoismus einer Stadt
und der darin herrschenden wenigen Geschlechter. Die Provinzen sowie die ab¬
hängigen Staaten mußten den Willen der Machthaber vollziehen, sonst griffen
die Ruten und Beile ein. Und nicht genug, daß ein Provinziale oder Schutz-


Der Kampf der deutscheu Nationalität mit fremden Kulturen.

deutschen Erbfehler, das Fremde dem Einheimischen vorzuziehen, allein wenn
man näher zusieht, bemerkt man eine wichtige Unterscheidung. Nicht die aus
freier Wahl hervorgegcmgne zeitweilige Hinneigung zu fremden Kulturen fordert
den Widerstand der Nationalität heraus, sondern das aufgedrängte Fremde.
So sind zu verschiednen Zeiten das Griechische, das Englische, das Italienische,
ja selbst das Arabische und das Spanische Gegenstände der Nachahmung und
des Studiums für die Deutschen geworden, aber zu der Besorgnis, daß durch
sie das nationale Leben zerstört werden könnte, haben sie nicht Anlaß gegeben,
man müßte denn eine vorübergehende Abwehr des Einflusses gewisser fremder
Literaturen hierher rechnen. Nur gegen das Lateinische und Französische wehrte
sich das Deutschtum immer von neuem aus dem innersten Kerne seines Wesens
heraus, offenbar weil beides sich aufdrängte. Man könnte weiter mit demselben
Rechte sagen, auch gegen das slawische, allein dies würde eine selbständige und
weitführende Untersuchung nötig machen; darum müßte es sür sich behandelt
werden und mag hier unerörtert bleiben. Es wird interessant genug sein, zu
beobachten, wie sich das deutsche Volk und seine wissenschaftlichen oder ans andre
Weise einflußreichen Vertreter gegen die Romanisirung zu schützen gesucht haben.

Man kann Wohl kein Volk nennen, auch die Engländer einbegriffen, welches
soviel Kolonisationsgeschick besäße oder besessen hätte wie die Römer. Jedes
Land, das sie mit den Waffen erobern oder durch eine schlaue Politik ihrem
Einflüsse osfenlegen konnten, machten sie in kurzer Zeit mit unerbittlicher
Zähigkeit römisch. Überall fühlten sie sich daheim, wohin nur immer ihre Straßen
führten, im rauhen Norden am Unterrhein, im heißen Süden bis zum Rande
der Sahara, im überkultivirten Kleinasien und Syrien, im unwirtlichen, bar¬
barischen Spanien. Mit einer Energie des Körpers und Geistes, die man in
dem Lande der Myrten, Orangen und Granaten kaum erwartet, legten sie unter
den widerspenstige» Völkern ihre Standlager an, und während die Soldaten Straßen
mit Gußmauerwerk und Wasserleitungen herstellten, schlugen die Kaufleute ihre
Waarenftände, die Handwerker ihre Werkstätten, die Prätvren und Quästoren ihre
Gerichts- und Steuerstellen, die Präzeptoren ihre Schulen auf, und wehe dem Ein-
gebornen, der sich nicht ohne weiteres in die neuen Gegenstände, die neuen Begriffe
und die römische Sprache einlebte! Wenige Jahrzehnte gingen darüber hin,
dann war das Land romanisirt wie Italien. Selbst als die Römer durch die
sich häufende» Reichtümer und Genüsse so verweichlicht waren, daß sie nicht
mehr im Heere dienen konnten, dauerte die zähe Lebensfähigkeit des alles über¬
wuchernden Römertnms fort. Die Despotie, welche mit dieser unerbittlichen
Kvlonisatioustaktik verbunden war, drückte furchtbar auf die gesamte damalige
Kulturwelt. Die römische Politik war der unverhüllte Egoismus einer Stadt
und der darin herrschenden wenigen Geschlechter. Die Provinzen sowie die ab¬
hängigen Staaten mußten den Willen der Machthaber vollziehen, sonst griffen
die Ruten und Beile ein. Und nicht genug, daß ein Provinziale oder Schutz-


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[0414] Der Kampf der deutscheu Nationalität mit fremden Kulturen. deutschen Erbfehler, das Fremde dem Einheimischen vorzuziehen, allein wenn man näher zusieht, bemerkt man eine wichtige Unterscheidung. Nicht die aus freier Wahl hervorgegcmgne zeitweilige Hinneigung zu fremden Kulturen fordert den Widerstand der Nationalität heraus, sondern das aufgedrängte Fremde. So sind zu verschiednen Zeiten das Griechische, das Englische, das Italienische, ja selbst das Arabische und das Spanische Gegenstände der Nachahmung und des Studiums für die Deutschen geworden, aber zu der Besorgnis, daß durch sie das nationale Leben zerstört werden könnte, haben sie nicht Anlaß gegeben, man müßte denn eine vorübergehende Abwehr des Einflusses gewisser fremder Literaturen hierher rechnen. Nur gegen das Lateinische und Französische wehrte sich das Deutschtum immer von neuem aus dem innersten Kerne seines Wesens heraus, offenbar weil beides sich aufdrängte. Man könnte weiter mit demselben Rechte sagen, auch gegen das slawische, allein dies würde eine selbständige und weitführende Untersuchung nötig machen; darum müßte es sür sich behandelt werden und mag hier unerörtert bleiben. Es wird interessant genug sein, zu beobachten, wie sich das deutsche Volk und seine wissenschaftlichen oder ans andre Weise einflußreichen Vertreter gegen die Romanisirung zu schützen gesucht haben. Man kann Wohl kein Volk nennen, auch die Engländer einbegriffen, welches soviel Kolonisationsgeschick besäße oder besessen hätte wie die Römer. Jedes Land, das sie mit den Waffen erobern oder durch eine schlaue Politik ihrem Einflüsse osfenlegen konnten, machten sie in kurzer Zeit mit unerbittlicher Zähigkeit römisch. Überall fühlten sie sich daheim, wohin nur immer ihre Straßen führten, im rauhen Norden am Unterrhein, im heißen Süden bis zum Rande der Sahara, im überkultivirten Kleinasien und Syrien, im unwirtlichen, bar¬ barischen Spanien. Mit einer Energie des Körpers und Geistes, die man in dem Lande der Myrten, Orangen und Granaten kaum erwartet, legten sie unter den widerspenstige» Völkern ihre Standlager an, und während die Soldaten Straßen mit Gußmauerwerk und Wasserleitungen herstellten, schlugen die Kaufleute ihre Waarenftände, die Handwerker ihre Werkstätten, die Prätvren und Quästoren ihre Gerichts- und Steuerstellen, die Präzeptoren ihre Schulen auf, und wehe dem Ein- gebornen, der sich nicht ohne weiteres in die neuen Gegenstände, die neuen Begriffe und die römische Sprache einlebte! Wenige Jahrzehnte gingen darüber hin, dann war das Land romanisirt wie Italien. Selbst als die Römer durch die sich häufende» Reichtümer und Genüsse so verweichlicht waren, daß sie nicht mehr im Heere dienen konnten, dauerte die zähe Lebensfähigkeit des alles über¬ wuchernden Römertnms fort. Die Despotie, welche mit dieser unerbittlichen Kvlonisatioustaktik verbunden war, drückte furchtbar auf die gesamte damalige Kulturwelt. Die römische Politik war der unverhüllte Egoismus einer Stadt und der darin herrschenden wenigen Geschlechter. Die Provinzen sowie die ab¬ hängigen Staaten mußten den Willen der Machthaber vollziehen, sonst griffen die Ruten und Beile ein. Und nicht genug, daß ein Provinziale oder Schutz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/414>, abgerufen am 28.12.2024.