Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

führung der Gesetze, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hängen wesent¬
lich davon ab, ob jene Beamten die rechten Männer an der rechten Stelle sind.

Die Aufgaben für den Landrat sind indes in der Provinz Posen so viel¬
seitig und infolge der Verschiedenartigkeit der Sprache und Nationalität so
schwierig, daß er dieselben nur erfüllen kann, wenn er seinen Kreis auch räumlich
zu beherrschen vermag und ihm die Zeit zu einer intensiven Verwaltung des¬
selben zur Verfügung steht. Die räumliche Größe der Kreise und der Umfang
der Geschäfte in allen Zweigen der Staatsverwaltung, die sich in seinen Händen
vereinigen, lassen den Landrat leider häufig zu wirklich produktiver Arbeit und
zur Lösung selbständiger Aufgaben nicht kommen.

Die Zeit, in der deutsche Landwirte massenhaft aus den alten Provinzen,
und namentlich aus Pommern, der Mark und Schlesien, nach der Provinz
Posen einströmten, scheint abgelaufen zu sein, einerseits weil so günstige Käufe,
wie sie bis in die sechziger Jahre in der Provinz Posen möglich waren und
thatsächlich abgeschlossen worden sind, sich jetzt nicht mehr abschließen lassen,
anderseits weil infolge des Rückganges des landwirtschaftlichen Gewerbes über¬
haupt geringe Neigung für den Kauf ländlichen Grundbesitzes vorhanden ist.
Ein erheblicher Teil des Großgrundbesitzes der Provinz Posen befindet sich in
forensischen Händen. Deutsche Fürsten und Magnaten, großstädtische Kapitalisten
und Fabrikanten haben bedeutende Besitzungen in der Provinz erworben. Der
gcrmanisircnde Einfluß, welchen diese Großgrundbesitzer üben, ist ein sehr Ver¬
schicdenartiger, der überwiegende Teil derselben verwertet seinen Grundbesitz
durch Verpachtung, und zwar an deutsche Pächter, und hält darauf, daß letztere
nur mit deutschem Aufsichtspersonal wirtschaften, andre dagegen stehen derartigen
Gesichtspunkten völlig fern, behandeln ihren Besitz lediglich als Geldanlage,
treiben Selbstwirtschaft und zeigen das deutliche Bestreben, es nicht mit dem
Ortsprobst und den hinter ihm stehenden polnischen Arbeitern zu verderben.
Versuche, deutsche Arbeiter heranzuziehen, deutsche Schul- und Kirchensystcme zu
begründen, und so die polnische Scholle nicht nur zu deutschem Besitze, sondern
auch zu deutschem Lande zu machen, kommen leider nur vereinzelt vor, verdienen
aber desto mehr die öffentliche Anerkennung; die großgrnndbesitzcndcn regierenden
deutschen Fürsten sind in dieser Richtung ausnahmslos mit gutem Beispiele
vorangegangen.

Die in der Provinz seßhaften deutschen Großgrundbesitzer setzen sich aus
den verschiedensten sozialen Sphären zusammen, von dem sächsischen Häusler,
der mit dem Erlös seiner Stelle in der Magdeburger Böhrde ein Rittergut in
der Provinz Posen erkauft hat, bis zu den Edelleuten der andern Provinzen,
die sich hier ansiedelten, weil sie ihren heimischen Besitz nicht halten konnten,
oder deren Erbteil nicht zureichte, um in der Heimat einen Großgrundbesitz zu
erstehen. Ein erbaugesessener deutscher Großgrundbesitz bildet die Ausnahme,
und ebenso zählt die Provinz verhältnismäßig wenig selbstwirtschaftende lcmd-


Grenztwtcn II. 1886. 51
Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

führung der Gesetze, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hängen wesent¬
lich davon ab, ob jene Beamten die rechten Männer an der rechten Stelle sind.

Die Aufgaben für den Landrat sind indes in der Provinz Posen so viel¬
seitig und infolge der Verschiedenartigkeit der Sprache und Nationalität so
schwierig, daß er dieselben nur erfüllen kann, wenn er seinen Kreis auch räumlich
zu beherrschen vermag und ihm die Zeit zu einer intensiven Verwaltung des¬
selben zur Verfügung steht. Die räumliche Größe der Kreise und der Umfang
der Geschäfte in allen Zweigen der Staatsverwaltung, die sich in seinen Händen
vereinigen, lassen den Landrat leider häufig zu wirklich produktiver Arbeit und
zur Lösung selbständiger Aufgaben nicht kommen.

Die Zeit, in der deutsche Landwirte massenhaft aus den alten Provinzen,
und namentlich aus Pommern, der Mark und Schlesien, nach der Provinz
Posen einströmten, scheint abgelaufen zu sein, einerseits weil so günstige Käufe,
wie sie bis in die sechziger Jahre in der Provinz Posen möglich waren und
thatsächlich abgeschlossen worden sind, sich jetzt nicht mehr abschließen lassen,
anderseits weil infolge des Rückganges des landwirtschaftlichen Gewerbes über¬
haupt geringe Neigung für den Kauf ländlichen Grundbesitzes vorhanden ist.
Ein erheblicher Teil des Großgrundbesitzes der Provinz Posen befindet sich in
forensischen Händen. Deutsche Fürsten und Magnaten, großstädtische Kapitalisten
und Fabrikanten haben bedeutende Besitzungen in der Provinz erworben. Der
gcrmanisircnde Einfluß, welchen diese Großgrundbesitzer üben, ist ein sehr Ver¬
schicdenartiger, der überwiegende Teil derselben verwertet seinen Grundbesitz
durch Verpachtung, und zwar an deutsche Pächter, und hält darauf, daß letztere
nur mit deutschem Aufsichtspersonal wirtschaften, andre dagegen stehen derartigen
Gesichtspunkten völlig fern, behandeln ihren Besitz lediglich als Geldanlage,
treiben Selbstwirtschaft und zeigen das deutliche Bestreben, es nicht mit dem
Ortsprobst und den hinter ihm stehenden polnischen Arbeitern zu verderben.
Versuche, deutsche Arbeiter heranzuziehen, deutsche Schul- und Kirchensystcme zu
begründen, und so die polnische Scholle nicht nur zu deutschem Besitze, sondern
auch zu deutschem Lande zu machen, kommen leider nur vereinzelt vor, verdienen
aber desto mehr die öffentliche Anerkennung; die großgrnndbesitzcndcn regierenden
deutschen Fürsten sind in dieser Richtung ausnahmslos mit gutem Beispiele
vorangegangen.

Die in der Provinz seßhaften deutschen Großgrundbesitzer setzen sich aus
den verschiedensten sozialen Sphären zusammen, von dem sächsischen Häusler,
der mit dem Erlös seiner Stelle in der Magdeburger Böhrde ein Rittergut in
der Provinz Posen erkauft hat, bis zu den Edelleuten der andern Provinzen,
die sich hier ansiedelten, weil sie ihren heimischen Besitz nicht halten konnten,
oder deren Erbteil nicht zureichte, um in der Heimat einen Großgrundbesitz zu
erstehen. Ein erbaugesessener deutscher Großgrundbesitz bildet die Ausnahme,
und ebenso zählt die Provinz verhältnismäßig wenig selbstwirtschaftende lcmd-


Grenztwtcn II. 1886. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198475"/>
          <fw type="header" place="top"> Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1198" prev="#ID_1197"> führung der Gesetze, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hängen wesent¬<lb/>
lich davon ab, ob jene Beamten die rechten Männer an der rechten Stelle sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199"> Die Aufgaben für den Landrat sind indes in der Provinz Posen so viel¬<lb/>
seitig und infolge der Verschiedenartigkeit der Sprache und Nationalität so<lb/>
schwierig, daß er dieselben nur erfüllen kann, wenn er seinen Kreis auch räumlich<lb/>
zu beherrschen vermag und ihm die Zeit zu einer intensiven Verwaltung des¬<lb/>
selben zur Verfügung steht. Die räumliche Größe der Kreise und der Umfang<lb/>
der Geschäfte in allen Zweigen der Staatsverwaltung, die sich in seinen Händen<lb/>
vereinigen, lassen den Landrat leider häufig zu wirklich produktiver Arbeit und<lb/>
zur Lösung selbständiger Aufgaben nicht kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1200"> Die Zeit, in der deutsche Landwirte massenhaft aus den alten Provinzen,<lb/>
und namentlich aus Pommern, der Mark und Schlesien, nach der Provinz<lb/>
Posen einströmten, scheint abgelaufen zu sein, einerseits weil so günstige Käufe,<lb/>
wie sie bis in die sechziger Jahre in der Provinz Posen möglich waren und<lb/>
thatsächlich abgeschlossen worden sind, sich jetzt nicht mehr abschließen lassen,<lb/>
anderseits weil infolge des Rückganges des landwirtschaftlichen Gewerbes über¬<lb/>
haupt geringe Neigung für den Kauf ländlichen Grundbesitzes vorhanden ist.<lb/>
Ein erheblicher Teil des Großgrundbesitzes der Provinz Posen befindet sich in<lb/>
forensischen Händen. Deutsche Fürsten und Magnaten, großstädtische Kapitalisten<lb/>
und Fabrikanten haben bedeutende Besitzungen in der Provinz erworben. Der<lb/>
gcrmanisircnde Einfluß, welchen diese Großgrundbesitzer üben, ist ein sehr Ver¬<lb/>
schicdenartiger, der überwiegende Teil derselben verwertet seinen Grundbesitz<lb/>
durch Verpachtung, und zwar an deutsche Pächter, und hält darauf, daß letztere<lb/>
nur mit deutschem Aufsichtspersonal wirtschaften, andre dagegen stehen derartigen<lb/>
Gesichtspunkten völlig fern, behandeln ihren Besitz lediglich als Geldanlage,<lb/>
treiben Selbstwirtschaft und zeigen das deutliche Bestreben, es nicht mit dem<lb/>
Ortsprobst und den hinter ihm stehenden polnischen Arbeitern zu verderben.<lb/>
Versuche, deutsche Arbeiter heranzuziehen, deutsche Schul- und Kirchensystcme zu<lb/>
begründen, und so die polnische Scholle nicht nur zu deutschem Besitze, sondern<lb/>
auch zu deutschem Lande zu machen, kommen leider nur vereinzelt vor, verdienen<lb/>
aber desto mehr die öffentliche Anerkennung; die großgrnndbesitzcndcn regierenden<lb/>
deutschen Fürsten sind in dieser Richtung ausnahmslos mit gutem Beispiele<lb/>
vorangegangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> Die in der Provinz seßhaften deutschen Großgrundbesitzer setzen sich aus<lb/>
den verschiedensten sozialen Sphären zusammen, von dem sächsischen Häusler,<lb/>
der mit dem Erlös seiner Stelle in der Magdeburger Böhrde ein Rittergut in<lb/>
der Provinz Posen erkauft hat, bis zu den Edelleuten der andern Provinzen,<lb/>
die sich hier ansiedelten, weil sie ihren heimischen Besitz nicht halten konnten,<lb/>
oder deren Erbteil nicht zureichte, um in der Heimat einen Großgrundbesitz zu<lb/>
erstehen. Ein erbaugesessener deutscher Großgrundbesitz bildet die Ausnahme,<lb/>
und ebenso zählt die Provinz verhältnismäßig wenig selbstwirtschaftende lcmd-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenztwtcn II. 1886. 51</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. führung der Gesetze, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes hängen wesent¬ lich davon ab, ob jene Beamten die rechten Männer an der rechten Stelle sind. Die Aufgaben für den Landrat sind indes in der Provinz Posen so viel¬ seitig und infolge der Verschiedenartigkeit der Sprache und Nationalität so schwierig, daß er dieselben nur erfüllen kann, wenn er seinen Kreis auch räumlich zu beherrschen vermag und ihm die Zeit zu einer intensiven Verwaltung des¬ selben zur Verfügung steht. Die räumliche Größe der Kreise und der Umfang der Geschäfte in allen Zweigen der Staatsverwaltung, die sich in seinen Händen vereinigen, lassen den Landrat leider häufig zu wirklich produktiver Arbeit und zur Lösung selbständiger Aufgaben nicht kommen. Die Zeit, in der deutsche Landwirte massenhaft aus den alten Provinzen, und namentlich aus Pommern, der Mark und Schlesien, nach der Provinz Posen einströmten, scheint abgelaufen zu sein, einerseits weil so günstige Käufe, wie sie bis in die sechziger Jahre in der Provinz Posen möglich waren und thatsächlich abgeschlossen worden sind, sich jetzt nicht mehr abschließen lassen, anderseits weil infolge des Rückganges des landwirtschaftlichen Gewerbes über¬ haupt geringe Neigung für den Kauf ländlichen Grundbesitzes vorhanden ist. Ein erheblicher Teil des Großgrundbesitzes der Provinz Posen befindet sich in forensischen Händen. Deutsche Fürsten und Magnaten, großstädtische Kapitalisten und Fabrikanten haben bedeutende Besitzungen in der Provinz erworben. Der gcrmanisircnde Einfluß, welchen diese Großgrundbesitzer üben, ist ein sehr Ver¬ schicdenartiger, der überwiegende Teil derselben verwertet seinen Grundbesitz durch Verpachtung, und zwar an deutsche Pächter, und hält darauf, daß letztere nur mit deutschem Aufsichtspersonal wirtschaften, andre dagegen stehen derartigen Gesichtspunkten völlig fern, behandeln ihren Besitz lediglich als Geldanlage, treiben Selbstwirtschaft und zeigen das deutliche Bestreben, es nicht mit dem Ortsprobst und den hinter ihm stehenden polnischen Arbeitern zu verderben. Versuche, deutsche Arbeiter heranzuziehen, deutsche Schul- und Kirchensystcme zu begründen, und so die polnische Scholle nicht nur zu deutschem Besitze, sondern auch zu deutschem Lande zu machen, kommen leider nur vereinzelt vor, verdienen aber desto mehr die öffentliche Anerkennung; die großgrnndbesitzcndcn regierenden deutschen Fürsten sind in dieser Richtung ausnahmslos mit gutem Beispiele vorangegangen. Die in der Provinz seßhaften deutschen Großgrundbesitzer setzen sich aus den verschiedensten sozialen Sphären zusammen, von dem sächsischen Häusler, der mit dem Erlös seiner Stelle in der Magdeburger Böhrde ein Rittergut in der Provinz Posen erkauft hat, bis zu den Edelleuten der andern Provinzen, die sich hier ansiedelten, weil sie ihren heimischen Besitz nicht halten konnten, oder deren Erbteil nicht zureichte, um in der Heimat einen Großgrundbesitz zu erstehen. Ein erbaugesessener deutscher Großgrundbesitz bildet die Ausnahme, und ebenso zählt die Provinz verhältnismäßig wenig selbstwirtschaftende lcmd- Grenztwtcn II. 1886. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/409>, abgerufen am 24.07.2024.