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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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polentum und Deutschtum in der Provinz j)osen.

mäßig selten ein Mitglied dieser Berufsklassen findet, welches aus der Provinz
Posen selbst stammt, und deshalb an der Provinz hängt, sich in derselben
heimatlich fühlt und für dieselbe trotz treuester und musterhaftester Pflicht¬
erfüllung ein wahres Herzensinteresse hat. Offiziere und Beamte, die nach der
Provinz Posen versetzt werden, betrachten diese Versetzung fast ausnahmslos als
eine Ungunst des Schicksals, selbst wenn sie aus dem reizloseste" kleinsten Orte
Pommerns oder Schlesiens kommen, und leben während ihres Aufenthalts in
der Provinz der steten Hoffnung, von der nächsten günstigen Welle wieder fort¬
gespült zu werden. Nur diejenigen, die am Ende oder dem Gipfel ihrer Lauf¬
bahn angelangt sind, suchen sich mit den vorhandnen Zuständen zu versöhne"
oder schweigen vorsichtig. Man findet in der deutschen Gesellschaft keine Po-
sener, vielmehr rühmt sich jeder, Pommer, Märker, Schlesier u. s. w. zu sein,
gesteht offen ein, daß seine Interessen und seine Wünsche außerhalb der Provinz
liegen, und bezieht seine geistige Nahrung nach wie vor aus einer heimatlichen
Zeitung. Die wenigen Offiziere und Beamten dagegen, die aus der Provinz
Posen selbst stammen, Pflegen diese unabänderliche Thatsache fast als eine un¬
liebsame zu betrachten. Es liegt deshalb über der deutschen Gesellschaft der
Provinz Posen, soweit sie sich aus amtlichen Kreisen zusammensetzt, ein Gefühl
der Unruhe und der Unbehaglichkeit, welches selbst auf den niederdrückend wirken
muß, der innerhalb der Provinz entschlossen ist, sein Rhodus zu finden und in
der schwierigen Aufgabe, die hier jedem Vertreter der Staatsregierung gestellt
ist, ein nodilo otliviunr erblickt. Unabhängige, gesellschaftlich frei dastehende
Elemente, die ans eignem Antriebe ohne geschäftliche Zwecke ihren Aufenthalt
in der Provinz gewählt haben und sozusagen den neutralen Vereinigungs-
punkt sür die Gesellschaft bilden, fehlen vollständig, und so gewinnt die deutsche
Geselligkeit eiuen offiziellen, fast schematischen Charakter, der freilich wenig ge¬
eignet ist, dieselbe einem lebenslustigen Berliner oder Rheinländer in einem
besonders anziehenden Lichte erscheinen zu lassen. Weil aber die Faktoren der
offiziellen Gesellschaft der Provinz Posen Land und Leuten meist zu fernstehen
und sich ihr Leben in dem engsten Berufs- und Gesellschaftskreise abzuspielen
pflegt, geht ihnen vielfach auch die volle Kenntnis der Gestalt des Bodens
ub, ans dem sie im Dienste des preußischen Staates manövriren sollen. Der
erste Eindruck pflegt in der Regel der des Erstaunens zu sein, daß Vorgänger,
Kameraden und Kollegen es nicht verstehen, mit den liebenswürdigen, feinge-
bildeten, ritterlichen, mit herzgewinnenden Umgangsformen ausgestatteten Polen
einen bessern Verkehrsstandpunkt zu finden. Es erscheint den Nenankommenden
kaum glaublich, daß diese verbindlichen Männer, die ihnen als Vertreter
des Polentums entgegentreten, wirklich unversöhnliche, nicht zu gelviuueude
Geguer des preußischen Staats und der deutschen Bevölkerung sein sollten,
daß es nicht möglich wäre, durch taktvolles Verfahren, verbunden mit ernster,
sachlicher, gerechter Strenge, den angeblichen Widerstand zu überwinden.


polentum und Deutschtum in der Provinz j)osen.

mäßig selten ein Mitglied dieser Berufsklassen findet, welches aus der Provinz
Posen selbst stammt, und deshalb an der Provinz hängt, sich in derselben
heimatlich fühlt und für dieselbe trotz treuester und musterhaftester Pflicht¬
erfüllung ein wahres Herzensinteresse hat. Offiziere und Beamte, die nach der
Provinz Posen versetzt werden, betrachten diese Versetzung fast ausnahmslos als
eine Ungunst des Schicksals, selbst wenn sie aus dem reizloseste» kleinsten Orte
Pommerns oder Schlesiens kommen, und leben während ihres Aufenthalts in
der Provinz der steten Hoffnung, von der nächsten günstigen Welle wieder fort¬
gespült zu werden. Nur diejenigen, die am Ende oder dem Gipfel ihrer Lauf¬
bahn angelangt sind, suchen sich mit den vorhandnen Zuständen zu versöhne»
oder schweigen vorsichtig. Man findet in der deutschen Gesellschaft keine Po-
sener, vielmehr rühmt sich jeder, Pommer, Märker, Schlesier u. s. w. zu sein,
gesteht offen ein, daß seine Interessen und seine Wünsche außerhalb der Provinz
liegen, und bezieht seine geistige Nahrung nach wie vor aus einer heimatlichen
Zeitung. Die wenigen Offiziere und Beamten dagegen, die aus der Provinz
Posen selbst stammen, Pflegen diese unabänderliche Thatsache fast als eine un¬
liebsame zu betrachten. Es liegt deshalb über der deutschen Gesellschaft der
Provinz Posen, soweit sie sich aus amtlichen Kreisen zusammensetzt, ein Gefühl
der Unruhe und der Unbehaglichkeit, welches selbst auf den niederdrückend wirken
muß, der innerhalb der Provinz entschlossen ist, sein Rhodus zu finden und in
der schwierigen Aufgabe, die hier jedem Vertreter der Staatsregierung gestellt
ist, ein nodilo otliviunr erblickt. Unabhängige, gesellschaftlich frei dastehende
Elemente, die ans eignem Antriebe ohne geschäftliche Zwecke ihren Aufenthalt
in der Provinz gewählt haben und sozusagen den neutralen Vereinigungs-
punkt sür die Gesellschaft bilden, fehlen vollständig, und so gewinnt die deutsche
Geselligkeit eiuen offiziellen, fast schematischen Charakter, der freilich wenig ge¬
eignet ist, dieselbe einem lebenslustigen Berliner oder Rheinländer in einem
besonders anziehenden Lichte erscheinen zu lassen. Weil aber die Faktoren der
offiziellen Gesellschaft der Provinz Posen Land und Leuten meist zu fernstehen
und sich ihr Leben in dem engsten Berufs- und Gesellschaftskreise abzuspielen
pflegt, geht ihnen vielfach auch die volle Kenntnis der Gestalt des Bodens
ub, ans dem sie im Dienste des preußischen Staates manövriren sollen. Der
erste Eindruck pflegt in der Regel der des Erstaunens zu sein, daß Vorgänger,
Kameraden und Kollegen es nicht verstehen, mit den liebenswürdigen, feinge-
bildeten, ritterlichen, mit herzgewinnenden Umgangsformen ausgestatteten Polen
einen bessern Verkehrsstandpunkt zu finden. Es erscheint den Nenankommenden
kaum glaublich, daß diese verbindlichen Männer, die ihnen als Vertreter
des Polentums entgegentreten, wirklich unversöhnliche, nicht zu gelviuueude
Geguer des preußischen Staats und der deutschen Bevölkerung sein sollten,
daß es nicht möglich wäre, durch taktvolles Verfahren, verbunden mit ernster,
sachlicher, gerechter Strenge, den angeblichen Widerstand zu überwinden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/407>, abgerufen am 24.07.2024.