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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Es mag Euch schmerzen, kann Euch indes nicht überrasche" nach allem,
was Ihr schon wußtet. Gute Nacht, Freund! Das beste Labsal in Trauer
wie in bangen Zweifeln ist eine Stunde festen Schlummers -- ich wünsche ihn
Euch und mir.

Damit zog sich Barreto in sein kleines Gemach zurück, er wollte offenbar
Camoens den Anlaß nehmen, sich über das Schicksal der jungen Gräfin in
Klagen zu ergehen. Camoens atmete auf, daß er, ohne dem Freunde ein un¬
wahres Wort berichten zu müssen, die tiefe Erschütterung, in der er den Abend
verlebt hatte, in der eignen Seele verschließen konnte. Seine Hoffnung auf das
Heilmittel des Schlafes war gering, doch Barreto sollte es nicht gewahr werden,
wenn die Nacht eine schlummerlose blieb. Nach wenigen Minute" war es ihm,
als ob er die ruhigen Atemzüge Barretos höre -- er lauschte noch einmal und
streckte sich still aus, um durch nichts den Schlummer des Nachbars zu stören.
Fast gemahnte es ihn wie an den Vorabend einer Schlacht, wenn er sein
Haupt auf den zusammengerollte" Mantel gelegt und mit Fassung die Mög¬
lichkeiten des kommenden Tages überdacht hatte. Und wie vor Zeiten, geschah
es wider sein Erwarten auch heute: die Erregungen des Tages, der dreifache
Ritt, hatten ihn tief ermüdet, und wenn Barreto jetzt noch wach gewesen wäre,
hätte er bald merken können, daß Camoens rasch entschlummert war.

Tief, aber uicht ruhig war sein Schlaf. Er zuckte im Tram" heftig zu¬
sammen, eben noch hatte er sich selbst erblickt unter dein riesigen Mangobaum,
am AbHange vor Dharwar, wo er sich mit Barreto und andern KriegSgcuvssen
in der Nacht vor dem Sturm der indischen Feste gelagert hatte. Das Haupt
ruhte auf einem Stein, die Mantcldecke darüber gebreitet, er fuhr plötzlich auf,
neben ihm und Barreto raschelte es, glitt kühl an seiner Hand hin, erwacht sah
er im Mondlicht die Cobra, welche zwischen den schlummernden Kriegern hindurch
geschlüpft war, pfeilschnell den Abhang hinabschießcn. Und wie er jetzt, der
Schlange nachstarrend, in die grüne Wildnis hineinblickte, die sich zum Thale
senkte, schwand mit einemmale das milde, silberne Licht, n"d die sanften Welle"
der Mangowaldung wandelten sich in ein brausendes Meer, über dem die dunkeln
Stnrmwolkeu dahin jagten. Der Träumende kämpfte in den Wogen, nach der
Küste schwimmend trug er die Handschrift seiner Lusiaden am Buse". Dau"
war es ihm, als donnere das empörte Meer die kriegerischen Oktaven des eignen
Gedichts, und dann stand er am Land und vernahm von andern Stimmen die
Verse, welche Ines de Castro und ihr Liebcsgcschick feierten und beklagten. Die
opfermutige Heldin kniete vor dem zürnenden König und ihren Henkern und bot
den Schwertern ihren Nacken. Mit einemmale wandelten sich die Züge des
Traumbildes deutlich in diejenigen Katarinas, statt König Alfonsos stand Dom
Sebastian vor der Schönen, und stieß ihr, die flehend die Hände gegen ihn erhob,
das eigne Schwert in den Busen, es war ihm, als sei er in eine Säule durch¬
sichtigen Krhstalls gebannt, ans der ohne eine Regung alles schauen müsse. Dann


Grenzboten II. 40

Es mag Euch schmerzen, kann Euch indes nicht überrasche» nach allem,
was Ihr schon wußtet. Gute Nacht, Freund! Das beste Labsal in Trauer
wie in bangen Zweifeln ist eine Stunde festen Schlummers — ich wünsche ihn
Euch und mir.

Damit zog sich Barreto in sein kleines Gemach zurück, er wollte offenbar
Camoens den Anlaß nehmen, sich über das Schicksal der jungen Gräfin in
Klagen zu ergehen. Camoens atmete auf, daß er, ohne dem Freunde ein un¬
wahres Wort berichten zu müssen, die tiefe Erschütterung, in der er den Abend
verlebt hatte, in der eignen Seele verschließen konnte. Seine Hoffnung auf das
Heilmittel des Schlafes war gering, doch Barreto sollte es nicht gewahr werden,
wenn die Nacht eine schlummerlose blieb. Nach wenigen Minute» war es ihm,
als ob er die ruhigen Atemzüge Barretos höre — er lauschte noch einmal und
streckte sich still aus, um durch nichts den Schlummer des Nachbars zu stören.
Fast gemahnte es ihn wie an den Vorabend einer Schlacht, wenn er sein
Haupt auf den zusammengerollte» Mantel gelegt und mit Fassung die Mög¬
lichkeiten des kommenden Tages überdacht hatte. Und wie vor Zeiten, geschah
es wider sein Erwarten auch heute: die Erregungen des Tages, der dreifache
Ritt, hatten ihn tief ermüdet, und wenn Barreto jetzt noch wach gewesen wäre,
hätte er bald merken können, daß Camoens rasch entschlummert war.

Tief, aber uicht ruhig war sein Schlaf. Er zuckte im Tram» heftig zu¬
sammen, eben noch hatte er sich selbst erblickt unter dein riesigen Mangobaum,
am AbHange vor Dharwar, wo er sich mit Barreto und andern KriegSgcuvssen
in der Nacht vor dem Sturm der indischen Feste gelagert hatte. Das Haupt
ruhte auf einem Stein, die Mantcldecke darüber gebreitet, er fuhr plötzlich auf,
neben ihm und Barreto raschelte es, glitt kühl an seiner Hand hin, erwacht sah
er im Mondlicht die Cobra, welche zwischen den schlummernden Kriegern hindurch
geschlüpft war, pfeilschnell den Abhang hinabschießcn. Und wie er jetzt, der
Schlange nachstarrend, in die grüne Wildnis hineinblickte, die sich zum Thale
senkte, schwand mit einemmale das milde, silberne Licht, n»d die sanften Welle»
der Mangowaldung wandelten sich in ein brausendes Meer, über dem die dunkeln
Stnrmwolkeu dahin jagten. Der Träumende kämpfte in den Wogen, nach der
Küste schwimmend trug er die Handschrift seiner Lusiaden am Buse». Dau»
war es ihm, als donnere das empörte Meer die kriegerischen Oktaven des eignen
Gedichts, und dann stand er am Land und vernahm von andern Stimmen die
Verse, welche Ines de Castro und ihr Liebcsgcschick feierten und beklagten. Die
opfermutige Heldin kniete vor dem zürnenden König und ihren Henkern und bot
den Schwertern ihren Nacken. Mit einemmale wandelten sich die Züge des
Traumbildes deutlich in diejenigen Katarinas, statt König Alfonsos stand Dom
Sebastian vor der Schönen, und stieß ihr, die flehend die Hände gegen ihn erhob,
das eigne Schwert in den Busen, es war ihm, als sei er in eine Säule durch¬
sichtigen Krhstalls gebannt, ans der ohne eine Regung alles schauen müsse. Dann


Grenzboten II. 40
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[0393] Es mag Euch schmerzen, kann Euch indes nicht überrasche» nach allem, was Ihr schon wußtet. Gute Nacht, Freund! Das beste Labsal in Trauer wie in bangen Zweifeln ist eine Stunde festen Schlummers — ich wünsche ihn Euch und mir. Damit zog sich Barreto in sein kleines Gemach zurück, er wollte offenbar Camoens den Anlaß nehmen, sich über das Schicksal der jungen Gräfin in Klagen zu ergehen. Camoens atmete auf, daß er, ohne dem Freunde ein un¬ wahres Wort berichten zu müssen, die tiefe Erschütterung, in der er den Abend verlebt hatte, in der eignen Seele verschließen konnte. Seine Hoffnung auf das Heilmittel des Schlafes war gering, doch Barreto sollte es nicht gewahr werden, wenn die Nacht eine schlummerlose blieb. Nach wenigen Minute» war es ihm, als ob er die ruhigen Atemzüge Barretos höre — er lauschte noch einmal und streckte sich still aus, um durch nichts den Schlummer des Nachbars zu stören. Fast gemahnte es ihn wie an den Vorabend einer Schlacht, wenn er sein Haupt auf den zusammengerollte» Mantel gelegt und mit Fassung die Mög¬ lichkeiten des kommenden Tages überdacht hatte. Und wie vor Zeiten, geschah es wider sein Erwarten auch heute: die Erregungen des Tages, der dreifache Ritt, hatten ihn tief ermüdet, und wenn Barreto jetzt noch wach gewesen wäre, hätte er bald merken können, daß Camoens rasch entschlummert war. Tief, aber uicht ruhig war sein Schlaf. Er zuckte im Tram» heftig zu¬ sammen, eben noch hatte er sich selbst erblickt unter dein riesigen Mangobaum, am AbHange vor Dharwar, wo er sich mit Barreto und andern KriegSgcuvssen in der Nacht vor dem Sturm der indischen Feste gelagert hatte. Das Haupt ruhte auf einem Stein, die Mantcldecke darüber gebreitet, er fuhr plötzlich auf, neben ihm und Barreto raschelte es, glitt kühl an seiner Hand hin, erwacht sah er im Mondlicht die Cobra, welche zwischen den schlummernden Kriegern hindurch geschlüpft war, pfeilschnell den Abhang hinabschießcn. Und wie er jetzt, der Schlange nachstarrend, in die grüne Wildnis hineinblickte, die sich zum Thale senkte, schwand mit einemmale das milde, silberne Licht, n»d die sanften Welle» der Mangowaldung wandelten sich in ein brausendes Meer, über dem die dunkeln Stnrmwolkeu dahin jagten. Der Träumende kämpfte in den Wogen, nach der Küste schwimmend trug er die Handschrift seiner Lusiaden am Buse». Dau» war es ihm, als donnere das empörte Meer die kriegerischen Oktaven des eignen Gedichts, und dann stand er am Land und vernahm von andern Stimmen die Verse, welche Ines de Castro und ihr Liebcsgcschick feierten und beklagten. Die opfermutige Heldin kniete vor dem zürnenden König und ihren Henkern und bot den Schwertern ihren Nacken. Mit einemmale wandelten sich die Züge des Traumbildes deutlich in diejenigen Katarinas, statt König Alfonsos stand Dom Sebastian vor der Schönen, und stieß ihr, die flehend die Hände gegen ihn erhob, das eigne Schwert in den Busen, es war ihm, als sei er in eine Säule durch¬ sichtigen Krhstalls gebannt, ans der ohne eine Regung alles schauen müsse. Dann Grenzboten II. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/393>, abgerufen am 29.12.2024.