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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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als zum Wesen des modernen Staates gehörig betrachten, was der aufgeklärte
Despotismus in den größern Staaten des sechzehnten bis achtzehnten Jahr¬
hunderts durchgeführt hat, das sehen wir hier im fünfzehnten Jahrhundert zum
ersten male thpisch, vorbildlich vor uns und in einer bewundernswerter Weise
durchgeführt,"

Freilich kam auch für dieses merkwürdige, vielbewunderte Staateugebilde
die Zeit des Verfalls, und was früher lebenskräftig arbeitende Formen gewesen
waren, wurde zum verknöcherten Formelwesen. Vielleicht aber würde sich die
freie Stadt wieder erholt haben und noch heute wie andre alte freie Reichs-
städte unabhängig dastehen, wäre uicht in der Zeit der tiefsten Ohnmacht des
Reiches die Nähe der französischen Grenze verhängnisvoll geworden. Ans der
einen Seite Ohnmacht, auf der andern Seite Übermacht; zwischen diesen beiden
Steinen mußte die Freiheit Straßburgs zermalmt werden. Dabei ist es eine
besondre Tragik der Geschichte, daß es gerade eine zur Fratze verzerrte Demo¬
kratie, die große französische Revolution war, welche diese ideal-schöne demo¬
kratische Staatsverfassung erwürgen mußte.

An eine Wiederherstellung der alten Freiheiten ist selbstverständlich nicht
zu denken; dank den Gewaltthätigkeiten Frankreichs hat Straßburg mit seiner
Freiheit auch seinen alten Besitzstand verloren, und es müßten zu gewaltsame
Änderungen vorgenommen werden, um etwas auch nur annähernd ähnliches
wieder zu schaffen. Aber der Stadt Straßburg ist ja durch die neue Ordnung
der Dinge ein nicht minder ehrenvolles Loos zu teil geworden: sie ist die Landes¬
hauptstadt des einigen Neichslcmdes Elsaß-Lothringen. In llvo ÄMo vinoss!
In dieser Bezeichnung liegt eine schöne, stolze Zukunft, deren Glanz wir in den
Nebeln der Gegenwart nicht aus den Augen verlieren sollten. Es ist wie ein
ehernes Naturgesetz, daß unsre Stadt sich selbst wieder zurückgegeben wird. Zur
baldigen Bethätigung dieses Gesetzes können die Straßburger selbst helfen,
indem sie sich der stolzen Bürgertugenden ihrer freien Vorfahren erinnern und
alles das beiseite lassen, was sie von jenen trennt; namentlich das Gedächtnis
an die Zeit, deren Hereinbrechen die alten Straßburger vor zweihundert Jahren
mit so tiefem Schmerze ertragen mußten.

Kommen sie auch nicht wieder, die alten Ammeister und Städtemeister, die
Dreizehner, die Fünfzehner und die Ehrfurcht gebietenden "alten Herren," die
Einnndzwanziger, so kommt doch eine Selbstverwaltung wieder, muß wieder¬
kommen, und zwar bald wiederkommen, welche dem freien Sinne der Söhne
des alten Straßbnrg im Hinblick ans den Schutz des mächtigen deutschen Reiches
mit der Zeit Befriedigung gewähren wird. Möchte bei der kommenden Ent¬
scheidung der Blick auf die alte Straßburger Verfassung, welche Jahrhunderte
hindurch Frieden und Ruhe verbürgte, die Geister auf beiden Seiten lehren,
wo das Rechte zu suchen sei. Was auch die nächste Zukunft bringen wird,
möchte es Frieden dieser Stadt bedeuten!




als zum Wesen des modernen Staates gehörig betrachten, was der aufgeklärte
Despotismus in den größern Staaten des sechzehnten bis achtzehnten Jahr¬
hunderts durchgeführt hat, das sehen wir hier im fünfzehnten Jahrhundert zum
ersten male thpisch, vorbildlich vor uns und in einer bewundernswerter Weise
durchgeführt,"

Freilich kam auch für dieses merkwürdige, vielbewunderte Staateugebilde
die Zeit des Verfalls, und was früher lebenskräftig arbeitende Formen gewesen
waren, wurde zum verknöcherten Formelwesen. Vielleicht aber würde sich die
freie Stadt wieder erholt haben und noch heute wie andre alte freie Reichs-
städte unabhängig dastehen, wäre uicht in der Zeit der tiefsten Ohnmacht des
Reiches die Nähe der französischen Grenze verhängnisvoll geworden. Ans der
einen Seite Ohnmacht, auf der andern Seite Übermacht; zwischen diesen beiden
Steinen mußte die Freiheit Straßburgs zermalmt werden. Dabei ist es eine
besondre Tragik der Geschichte, daß es gerade eine zur Fratze verzerrte Demo¬
kratie, die große französische Revolution war, welche diese ideal-schöne demo¬
kratische Staatsverfassung erwürgen mußte.

An eine Wiederherstellung der alten Freiheiten ist selbstverständlich nicht
zu denken; dank den Gewaltthätigkeiten Frankreichs hat Straßburg mit seiner
Freiheit auch seinen alten Besitzstand verloren, und es müßten zu gewaltsame
Änderungen vorgenommen werden, um etwas auch nur annähernd ähnliches
wieder zu schaffen. Aber der Stadt Straßburg ist ja durch die neue Ordnung
der Dinge ein nicht minder ehrenvolles Loos zu teil geworden: sie ist die Landes¬
hauptstadt des einigen Neichslcmdes Elsaß-Lothringen. In llvo ÄMo vinoss!
In dieser Bezeichnung liegt eine schöne, stolze Zukunft, deren Glanz wir in den
Nebeln der Gegenwart nicht aus den Augen verlieren sollten. Es ist wie ein
ehernes Naturgesetz, daß unsre Stadt sich selbst wieder zurückgegeben wird. Zur
baldigen Bethätigung dieses Gesetzes können die Straßburger selbst helfen,
indem sie sich der stolzen Bürgertugenden ihrer freien Vorfahren erinnern und
alles das beiseite lassen, was sie von jenen trennt; namentlich das Gedächtnis
an die Zeit, deren Hereinbrechen die alten Straßburger vor zweihundert Jahren
mit so tiefem Schmerze ertragen mußten.

Kommen sie auch nicht wieder, die alten Ammeister und Städtemeister, die
Dreizehner, die Fünfzehner und die Ehrfurcht gebietenden „alten Herren," die
Einnndzwanziger, so kommt doch eine Selbstverwaltung wieder, muß wieder¬
kommen, und zwar bald wiederkommen, welche dem freien Sinne der Söhne
des alten Straßbnrg im Hinblick ans den Schutz des mächtigen deutschen Reiches
mit der Zeit Befriedigung gewähren wird. Möchte bei der kommenden Ent¬
scheidung der Blick auf die alte Straßburger Verfassung, welche Jahrhunderte
hindurch Frieden und Ruhe verbürgte, die Geister auf beiden Seiten lehren,
wo das Rechte zu suchen sei. Was auch die nächste Zukunft bringen wird,
möchte es Frieden dieser Stadt bedeuten!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/366>, abgerufen am 28.12.2024.