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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Spiel und wette.

kommen wird. Keiner kennt die natürliche Beschaffenheit der Schnecken in Bezug
auf ihre Kräfte oder auch nnr auf den Willen, gerade nach dem als Ziel an¬
genommenen Orte zu krieche". Juden? nun der eine sich für diese, der andre
sich für jene Schnecke erklärt und. für die Bewahrheitn"", seiner Behauptung
eine Summe Geldes einsetzt, giebt er sich dem Zufalle preis. Allein dieser
Zufall wird nicht durch ein Eingreifen von außen her veranlaßt, er erscheint
nnr als solcher infolge der den waltenden Subjekten innewohnenden Unkenntnis
des objektiven Thatbcstcmdes, der sich unabhängig von äußerer, vorher durch
Übereinkommen in ihren Folgen festgestellter Einwirkung vielmehr nnr durch
die den Tieren eigentümlichen Kräfte und Neigungen wird bewähren müssen.
Es ist dabei ganz gleichgiltig, ob die Schnecken als Träger der Wette in dem
Zustande gelassen werden, in welchem sie sich eben befinden, oder ob die beiden
Wettenden sie nehmen und an einen Ausgangspunkt setzen, der dem Ziele gegen¬
über das Verhältnis äußerlich ausgleicht und somit umsomehr die persönlichen
Kräfte und Eigenschaften der Tiere zur Geltung bringt. So ist es bei den
Gelegenheiten der Fall, die am regelmäßigsten Anlaß zu den Wetten geben,
bei Pferderennen und Regatten. Hier ist die Unkenntnis von der objektiven
Beschaffenheit der zur Wette gebrauchten Gegenstände meist keine unbedingte: der
Rückschlag macht sich sofort in der Verschiedenheit der von den Wettenden ein¬
gesetzten Summen geltend. Diese sind nur gleich, wo die Unkenntnis über die
objektiven Verhältnisse bei den Subjekten gleich ist.
Hiernach lassen sich folgende Sätze aufstellen:

Das natürliche Spiel ist die Bethätigung einer vorhandnen Anlage; eine
solche Bethätigung erweckt, solange sie der Anlage und der gegebenen Kraft
gemäß ist, Frende. Das Streben nach solcher Frende ist die Triebfeder zu der
Bethätigung der vorhandenen Anlage.

Das ästhetische Spiel ist die Bethätigung der ganz speziell menschlichen
Anlage, die Einbildungskraft in willkürlicher, d. h. von etwa gerade Eindrücke
veranlassenden Objekten unabhängiger Weise zu bethätige", und zwar so, daß
einem Gegenstände eine ihm objektiv nicht zukommende Bedeutung aus subjektiven
Gründen beigelegt wird.

Das Kinderspiel zeigt dieses ästhetische Spiel in seiner reinen Gestaltung,
von welcher sich die Kunstschöpfung dadurch unterscheidet, daß ihr eine objektive
Giltigkeit auch nicht vorübergehend beigelegt wird, wie es Vonseiten des Kindes
geschieht, sei es, daß das Objekt eine der neuen Bedeutung entsprechende ma¬
terielle Umgestaltung erfahre", sei es, daß diese Unigestaltung nur subjektiv in
der Einbildungskraft stattgefunden hat.

Das Gesellschaftsspiel benutzt die Bedingungen des Kinderspiels, bringt
aber durch die Einführung des Abzielens auf Gewinn und Verlust einen neuen
Umstand herein, durch welchen das Spiel zum Gegenspiele wird und außer der
Einbildungskraft den Willen in Mitleidenschaft zieht.


Spiel und wette.

kommen wird. Keiner kennt die natürliche Beschaffenheit der Schnecken in Bezug
auf ihre Kräfte oder auch nnr auf den Willen, gerade nach dem als Ziel an¬
genommenen Orte zu krieche». Juden? nun der eine sich für diese, der andre
sich für jene Schnecke erklärt und. für die Bewahrheitn»«, seiner Behauptung
eine Summe Geldes einsetzt, giebt er sich dem Zufalle preis. Allein dieser
Zufall wird nicht durch ein Eingreifen von außen her veranlaßt, er erscheint
nnr als solcher infolge der den waltenden Subjekten innewohnenden Unkenntnis
des objektiven Thatbcstcmdes, der sich unabhängig von äußerer, vorher durch
Übereinkommen in ihren Folgen festgestellter Einwirkung vielmehr nnr durch
die den Tieren eigentümlichen Kräfte und Neigungen wird bewähren müssen.
Es ist dabei ganz gleichgiltig, ob die Schnecken als Träger der Wette in dem
Zustande gelassen werden, in welchem sie sich eben befinden, oder ob die beiden
Wettenden sie nehmen und an einen Ausgangspunkt setzen, der dem Ziele gegen¬
über das Verhältnis äußerlich ausgleicht und somit umsomehr die persönlichen
Kräfte und Eigenschaften der Tiere zur Geltung bringt. So ist es bei den
Gelegenheiten der Fall, die am regelmäßigsten Anlaß zu den Wetten geben,
bei Pferderennen und Regatten. Hier ist die Unkenntnis von der objektiven
Beschaffenheit der zur Wette gebrauchten Gegenstände meist keine unbedingte: der
Rückschlag macht sich sofort in der Verschiedenheit der von den Wettenden ein¬
gesetzten Summen geltend. Diese sind nur gleich, wo die Unkenntnis über die
objektiven Verhältnisse bei den Subjekten gleich ist.
Hiernach lassen sich folgende Sätze aufstellen:

Das natürliche Spiel ist die Bethätigung einer vorhandnen Anlage; eine
solche Bethätigung erweckt, solange sie der Anlage und der gegebenen Kraft
gemäß ist, Frende. Das Streben nach solcher Frende ist die Triebfeder zu der
Bethätigung der vorhandenen Anlage.

Das ästhetische Spiel ist die Bethätigung der ganz speziell menschlichen
Anlage, die Einbildungskraft in willkürlicher, d. h. von etwa gerade Eindrücke
veranlassenden Objekten unabhängiger Weise zu bethätige», und zwar so, daß
einem Gegenstände eine ihm objektiv nicht zukommende Bedeutung aus subjektiven
Gründen beigelegt wird.

Das Kinderspiel zeigt dieses ästhetische Spiel in seiner reinen Gestaltung,
von welcher sich die Kunstschöpfung dadurch unterscheidet, daß ihr eine objektive
Giltigkeit auch nicht vorübergehend beigelegt wird, wie es Vonseiten des Kindes
geschieht, sei es, daß das Objekt eine der neuen Bedeutung entsprechende ma¬
terielle Umgestaltung erfahre», sei es, daß diese Unigestaltung nur subjektiv in
der Einbildungskraft stattgefunden hat.

Das Gesellschaftsspiel benutzt die Bedingungen des Kinderspiels, bringt
aber durch die Einführung des Abzielens auf Gewinn und Verlust einen neuen
Umstand herein, durch welchen das Spiel zum Gegenspiele wird und außer der
Einbildungskraft den Willen in Mitleidenschaft zieht.


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[0036] Spiel und wette. kommen wird. Keiner kennt die natürliche Beschaffenheit der Schnecken in Bezug auf ihre Kräfte oder auch nnr auf den Willen, gerade nach dem als Ziel an¬ genommenen Orte zu krieche». Juden? nun der eine sich für diese, der andre sich für jene Schnecke erklärt und. für die Bewahrheitn»«, seiner Behauptung eine Summe Geldes einsetzt, giebt er sich dem Zufalle preis. Allein dieser Zufall wird nicht durch ein Eingreifen von außen her veranlaßt, er erscheint nnr als solcher infolge der den waltenden Subjekten innewohnenden Unkenntnis des objektiven Thatbcstcmdes, der sich unabhängig von äußerer, vorher durch Übereinkommen in ihren Folgen festgestellter Einwirkung vielmehr nnr durch die den Tieren eigentümlichen Kräfte und Neigungen wird bewähren müssen. Es ist dabei ganz gleichgiltig, ob die Schnecken als Träger der Wette in dem Zustande gelassen werden, in welchem sie sich eben befinden, oder ob die beiden Wettenden sie nehmen und an einen Ausgangspunkt setzen, der dem Ziele gegen¬ über das Verhältnis äußerlich ausgleicht und somit umsomehr die persönlichen Kräfte und Eigenschaften der Tiere zur Geltung bringt. So ist es bei den Gelegenheiten der Fall, die am regelmäßigsten Anlaß zu den Wetten geben, bei Pferderennen und Regatten. Hier ist die Unkenntnis von der objektiven Beschaffenheit der zur Wette gebrauchten Gegenstände meist keine unbedingte: der Rückschlag macht sich sofort in der Verschiedenheit der von den Wettenden ein¬ gesetzten Summen geltend. Diese sind nur gleich, wo die Unkenntnis über die objektiven Verhältnisse bei den Subjekten gleich ist. Hiernach lassen sich folgende Sätze aufstellen: Das natürliche Spiel ist die Bethätigung einer vorhandnen Anlage; eine solche Bethätigung erweckt, solange sie der Anlage und der gegebenen Kraft gemäß ist, Frende. Das Streben nach solcher Frende ist die Triebfeder zu der Bethätigung der vorhandenen Anlage. Das ästhetische Spiel ist die Bethätigung der ganz speziell menschlichen Anlage, die Einbildungskraft in willkürlicher, d. h. von etwa gerade Eindrücke veranlassenden Objekten unabhängiger Weise zu bethätige», und zwar so, daß einem Gegenstände eine ihm objektiv nicht zukommende Bedeutung aus subjektiven Gründen beigelegt wird. Das Kinderspiel zeigt dieses ästhetische Spiel in seiner reinen Gestaltung, von welcher sich die Kunstschöpfung dadurch unterscheidet, daß ihr eine objektive Giltigkeit auch nicht vorübergehend beigelegt wird, wie es Vonseiten des Kindes geschieht, sei es, daß das Objekt eine der neuen Bedeutung entsprechende ma¬ terielle Umgestaltung erfahre», sei es, daß diese Unigestaltung nur subjektiv in der Einbildungskraft stattgefunden hat. Das Gesellschaftsspiel benutzt die Bedingungen des Kinderspiels, bringt aber durch die Einführung des Abzielens auf Gewinn und Verlust einen neuen Umstand herein, durch welchen das Spiel zum Gegenspiele wird und außer der Einbildungskraft den Willen in Mitleidenschaft zieht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/36>, abgerufen am 24.07.2024.