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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Camoens.

Camoens wünschte in diesem Augenblicke, daß es schon Nacht wäre, damit
der im Wagen sitzende Priester die Glut nicht gewahre, die er selbst auf seineu
Wangen brennen fühlte. Die Äußerung, welche Tellez Alucita lässig hinge¬
worfen hatte, durchschauerte Camoens doppelt, sie verriet ihm, daß andre um
deu Traum und den Schmerz wußten, welche er für sein und Barretos Ge¬
heimnis hielt. Und sie enthüllte ihm einen verborgnen Wunsch seiner Seele.
Er hatte den Gedanken noch nicht klar gedacht, daß der König demnächst gehen,
Caiarina Palmeirim bleiben könne; gleichwohl war es ihm in diesem Augen¬
blicke, als spreche der Jesuit uur aus, was seit Wochen in ihm lebte; er
mußte sich Gewalt anthun, um den Ton zu bewahren, in dem er seither mit
Tellez Alucita gesprochen hatte.

Von mir ist nicht die Rede, Ehrwürdiger! sagte er. Ob der König Ge¬
lübde geleistet hat, weiß ich nicht; doch der Schwur, seinem Lande und Volke
getreu zu sein, war vor allen Gelübden. Portugal bangt vor der Heerfahrt
nach Afrika, und so wird Dom Sebastian ans seines Herzens Wunsch Verzicht
leiste" müssen!

Bange denn auch Ihr, Senhor Luis -- Ihr, der Sänger unsers alten
Ruhmes? fragte der Priester. Mich dünkt, ich lese in Eurer Seele, daß Ihr
nicht vor Schlachten und Gefahren, vor kühnen Thaten, sondern vor einem
Untergänge zittert, dem die Völker anheimfallen, welche nichts mehr zu Gottes
Ehre und für ihre eigne Herrlichkeit wagen.

Camoens schwieg, auch dies Wort des jungen Priesters schlug in seine
Seele; er mochte weder zustimmen, noch widersprechen. Unwillkürlich lenkte er
sein Pferd einige Schritte weiter von dem Wagen ab, in dem Fray Tellez saß.
Der Kaplan aber, der dies Ausweichen scheinbar nicht bemerkte, fuhr leb¬
hafter fort:

Ihr seid zu lange fern aus dein Lande gewesen, Ihr wißt nicht, wie not
diesem Volke ein läuterndes Bad des Mutes, der Anspannung aller Kräfte,
selbst der Not und der Sorge thut! Der König fühlt das Rechte, wenn er
auch noch zu jung ist, immer das Rechte zu thun. Er muß die ganze Kraft
Portugals einsetzen, muß einen großen Schlag wagen. Dann werden sie ihm
vertrauen, ihm williger folgen, wenn er sein Volk die Pfade führt, welche er
früh als die rechten erkannt hat.

Camoens' finstrer werdende Mienen, welche der Sprechende anch in der
zunehmenden Dämmerung noch unterschied, mahnten ihn, daß er keinen ver¬
wandten Ton im Herzen seines Begleiters erwecke. So schwieg auch der Priester
einige Minuten und hob dann ruhig wieder an:

Seid Ihr andrer Meinung, Senhor, teilt Ihr die Furcht der Kleinmütigen,
die des Apostels Wort "Alles ist euer" vergessen, und die da wähnen, das
Leben würde ärmer werden, wenn eine Zeit wiederkäme, in der ein christliches
Volk sich völlig der Führung der heiligen Kirche vertraut? Wohlan! ich will


Grenzboten II. 1386. 43
Camoens.

Camoens wünschte in diesem Augenblicke, daß es schon Nacht wäre, damit
der im Wagen sitzende Priester die Glut nicht gewahre, die er selbst auf seineu
Wangen brennen fühlte. Die Äußerung, welche Tellez Alucita lässig hinge¬
worfen hatte, durchschauerte Camoens doppelt, sie verriet ihm, daß andre um
deu Traum und den Schmerz wußten, welche er für sein und Barretos Ge¬
heimnis hielt. Und sie enthüllte ihm einen verborgnen Wunsch seiner Seele.
Er hatte den Gedanken noch nicht klar gedacht, daß der König demnächst gehen,
Caiarina Palmeirim bleiben könne; gleichwohl war es ihm in diesem Augen¬
blicke, als spreche der Jesuit uur aus, was seit Wochen in ihm lebte; er
mußte sich Gewalt anthun, um den Ton zu bewahren, in dem er seither mit
Tellez Alucita gesprochen hatte.

Von mir ist nicht die Rede, Ehrwürdiger! sagte er. Ob der König Ge¬
lübde geleistet hat, weiß ich nicht; doch der Schwur, seinem Lande und Volke
getreu zu sein, war vor allen Gelübden. Portugal bangt vor der Heerfahrt
nach Afrika, und so wird Dom Sebastian ans seines Herzens Wunsch Verzicht
leiste» müssen!

Bange denn auch Ihr, Senhor Luis — Ihr, der Sänger unsers alten
Ruhmes? fragte der Priester. Mich dünkt, ich lese in Eurer Seele, daß Ihr
nicht vor Schlachten und Gefahren, vor kühnen Thaten, sondern vor einem
Untergänge zittert, dem die Völker anheimfallen, welche nichts mehr zu Gottes
Ehre und für ihre eigne Herrlichkeit wagen.

Camoens schwieg, auch dies Wort des jungen Priesters schlug in seine
Seele; er mochte weder zustimmen, noch widersprechen. Unwillkürlich lenkte er
sein Pferd einige Schritte weiter von dem Wagen ab, in dem Fray Tellez saß.
Der Kaplan aber, der dies Ausweichen scheinbar nicht bemerkte, fuhr leb¬
hafter fort:

Ihr seid zu lange fern aus dein Lande gewesen, Ihr wißt nicht, wie not
diesem Volke ein läuterndes Bad des Mutes, der Anspannung aller Kräfte,
selbst der Not und der Sorge thut! Der König fühlt das Rechte, wenn er
auch noch zu jung ist, immer das Rechte zu thun. Er muß die ganze Kraft
Portugals einsetzen, muß einen großen Schlag wagen. Dann werden sie ihm
vertrauen, ihm williger folgen, wenn er sein Volk die Pfade führt, welche er
früh als die rechten erkannt hat.

Camoens' finstrer werdende Mienen, welche der Sprechende anch in der
zunehmenden Dämmerung noch unterschied, mahnten ihn, daß er keinen ver¬
wandten Ton im Herzen seines Begleiters erwecke. So schwieg auch der Priester
einige Minuten und hob dann ruhig wieder an:

Seid Ihr andrer Meinung, Senhor, teilt Ihr die Furcht der Kleinmütigen,
die des Apostels Wort „Alles ist euer" vergessen, und die da wähnen, das
Leben würde ärmer werden, wenn eine Zeit wiederkäme, in der ein christliches
Volk sich völlig der Führung der heiligen Kirche vertraut? Wohlan! ich will


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[0345] Camoens. Camoens wünschte in diesem Augenblicke, daß es schon Nacht wäre, damit der im Wagen sitzende Priester die Glut nicht gewahre, die er selbst auf seineu Wangen brennen fühlte. Die Äußerung, welche Tellez Alucita lässig hinge¬ worfen hatte, durchschauerte Camoens doppelt, sie verriet ihm, daß andre um deu Traum und den Schmerz wußten, welche er für sein und Barretos Ge¬ heimnis hielt. Und sie enthüllte ihm einen verborgnen Wunsch seiner Seele. Er hatte den Gedanken noch nicht klar gedacht, daß der König demnächst gehen, Caiarina Palmeirim bleiben könne; gleichwohl war es ihm in diesem Augen¬ blicke, als spreche der Jesuit uur aus, was seit Wochen in ihm lebte; er mußte sich Gewalt anthun, um den Ton zu bewahren, in dem er seither mit Tellez Alucita gesprochen hatte. Von mir ist nicht die Rede, Ehrwürdiger! sagte er. Ob der König Ge¬ lübde geleistet hat, weiß ich nicht; doch der Schwur, seinem Lande und Volke getreu zu sein, war vor allen Gelübden. Portugal bangt vor der Heerfahrt nach Afrika, und so wird Dom Sebastian ans seines Herzens Wunsch Verzicht leiste» müssen! Bange denn auch Ihr, Senhor Luis — Ihr, der Sänger unsers alten Ruhmes? fragte der Priester. Mich dünkt, ich lese in Eurer Seele, daß Ihr nicht vor Schlachten und Gefahren, vor kühnen Thaten, sondern vor einem Untergänge zittert, dem die Völker anheimfallen, welche nichts mehr zu Gottes Ehre und für ihre eigne Herrlichkeit wagen. Camoens schwieg, auch dies Wort des jungen Priesters schlug in seine Seele; er mochte weder zustimmen, noch widersprechen. Unwillkürlich lenkte er sein Pferd einige Schritte weiter von dem Wagen ab, in dem Fray Tellez saß. Der Kaplan aber, der dies Ausweichen scheinbar nicht bemerkte, fuhr leb¬ hafter fort: Ihr seid zu lange fern aus dein Lande gewesen, Ihr wißt nicht, wie not diesem Volke ein läuterndes Bad des Mutes, der Anspannung aller Kräfte, selbst der Not und der Sorge thut! Der König fühlt das Rechte, wenn er auch noch zu jung ist, immer das Rechte zu thun. Er muß die ganze Kraft Portugals einsetzen, muß einen großen Schlag wagen. Dann werden sie ihm vertrauen, ihm williger folgen, wenn er sein Volk die Pfade führt, welche er früh als die rechten erkannt hat. Camoens' finstrer werdende Mienen, welche der Sprechende anch in der zunehmenden Dämmerung noch unterschied, mahnten ihn, daß er keinen ver¬ wandten Ton im Herzen seines Begleiters erwecke. So schwieg auch der Priester einige Minuten und hob dann ruhig wieder an: Seid Ihr andrer Meinung, Senhor, teilt Ihr die Furcht der Kleinmütigen, die des Apostels Wort „Alles ist euer" vergessen, und die da wähnen, das Leben würde ärmer werden, wenn eine Zeit wiederkäme, in der ein christliches Volk sich völlig der Führung der heiligen Kirche vertraut? Wohlan! ich will Grenzboten II. 1386. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/345>, abgerufen am 24.07.2024.