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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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ewigen Stadt denken! Er fand zwar bei manchen freundliche Aufnahme,
aber die Jesuiten waren gegen ihn thätig, und Gregor empfing die drei
Führer des Neukatholizismus schließlich nur unter der Bedingung, daß sie
den Zweck ihrer Reise nicht erwähnten Lamennais' unermeßlicher Hochmut
mußte die schwersten Niederlagen durchkosten, und die Kurie wies das ihr
eingereichte Memorandum über den Zustand der Kirche zurück. Endlich wurde
Lamennais des Wartens auf die päpstliche Entscheidung müde und verließ tief
verstimmt mit Montalembert Juli 1832 Rom; war der Papst mit seiner Chimäre
eines päpstlichen Weltdespotismus recht wohl einverstanden, so verdammte er
die Irrlehre moderner Freiheit ebenso unbedingt wie die Regierungen von Frank¬
reich, Nußland, Österreich und Preußen, und in München ereilte Lamennais
seine Encyclila vom 15, August: sie verurteilte sämtliche Lehren des ^vsuir von
der bürgerlichen und Preßfreiheit, von der Berechtigung unterdrückter Völker,
aufzustehen, und vor allem "den Wahnsinn der Gewissensfreiheit"; ein Breve
vom 18. September verschärfte noch die Verurteilung, sein unfehlbarer Abgott
entschied somit gegen ihn; äußerlich unterwarf sich Lamennais, aber sein Herz
vergifteten Wut und Ehrsucht, Er schalt Rom deu Sitz der Furcht und
Schwäche, mo Dummheit und Ehrgeiz sich umarmten. Schon am 10. Sep¬
tember erklärte er das Aufhören des ^vonir und der Generalagentur zur Ver¬
teidigung der religiösen Freiheit. Gregor aber verlangte, Lamennais solle die
Lehren, die er gepredigt, offen verdammen, wies seine Erklärungen als ungenügend
zurück und trieb ihn zum Bruche. Am 5, November 1833 schrieb ihm der
Abka, seinem Gewissen zufolge dürfe der Christ nur in religiösen Dingen ge¬
horche,:, bleibe hingegen in allen das Zeitliche betreffenden Meinungen, Worten
und Thaten von der geistlichen Macht frei -- und pnblizirte zur Entrüstung
Roms diesen Brief. Trotzdem erklärte er an: 11. Dezember ohne Vorbehalt
einen unbedingten Gehorsam, widerrief und äußerte dem Erzbischofe von Paris:
er unterzeichne damit irnxllelto, der Papst sei Gott. Aber die Kurie war hiermit
uicht zufrieden und er zog sich nach La Che-raie zurück, um zum Entscheidungs¬
akte seines Lebens, zum Bruche mit Nom, das ihn verleugnet hatte, zu schreiten.
Er kannte nur Extreme und sprang von einem zum andern über. Im Mai
1834 erschienen karolss ä'un orozwat, ein Empörungsschrei des Abgefallenen,
das Evangelium beleidigten Hochmuts und wildesten Zorns; er verkündete in
schwungvollster Sprache, im Tone eines Propheten des alten Testaments, deu
Untergang der teuflischen Staatsordnung und die Zukunft eines neuen christlichen
Reiches der Freiheit und Gleichheit; er rief die Armen anf gegen die Reichen,
mißbrauchte die Bibel zu revolutionären Zwecken und predigte den Krieg wider
Thron und Besitz, Demokrat geworden, redete er die Sprache Se. Justs und
Robespierres; gar wenig blieb von kirchlichen Dogmen übrig. Der Papst aber
schleuderte am 15. Juli 1834, das ganze Trugsystem des Apostaten verdammend,
eine Encyelika gegen die I'lo>!.'>, die er "das Erzeugnis der Gottlosigkeit und


ewigen Stadt denken! Er fand zwar bei manchen freundliche Aufnahme,
aber die Jesuiten waren gegen ihn thätig, und Gregor empfing die drei
Führer des Neukatholizismus schließlich nur unter der Bedingung, daß sie
den Zweck ihrer Reise nicht erwähnten Lamennais' unermeßlicher Hochmut
mußte die schwersten Niederlagen durchkosten, und die Kurie wies das ihr
eingereichte Memorandum über den Zustand der Kirche zurück. Endlich wurde
Lamennais des Wartens auf die päpstliche Entscheidung müde und verließ tief
verstimmt mit Montalembert Juli 1832 Rom; war der Papst mit seiner Chimäre
eines päpstlichen Weltdespotismus recht wohl einverstanden, so verdammte er
die Irrlehre moderner Freiheit ebenso unbedingt wie die Regierungen von Frank¬
reich, Nußland, Österreich und Preußen, und in München ereilte Lamennais
seine Encyclila vom 15, August: sie verurteilte sämtliche Lehren des ^vsuir von
der bürgerlichen und Preßfreiheit, von der Berechtigung unterdrückter Völker,
aufzustehen, und vor allem „den Wahnsinn der Gewissensfreiheit"; ein Breve
vom 18. September verschärfte noch die Verurteilung, sein unfehlbarer Abgott
entschied somit gegen ihn; äußerlich unterwarf sich Lamennais, aber sein Herz
vergifteten Wut und Ehrsucht, Er schalt Rom deu Sitz der Furcht und
Schwäche, mo Dummheit und Ehrgeiz sich umarmten. Schon am 10. Sep¬
tember erklärte er das Aufhören des ^vonir und der Generalagentur zur Ver¬
teidigung der religiösen Freiheit. Gregor aber verlangte, Lamennais solle die
Lehren, die er gepredigt, offen verdammen, wies seine Erklärungen als ungenügend
zurück und trieb ihn zum Bruche. Am 5, November 1833 schrieb ihm der
Abka, seinem Gewissen zufolge dürfe der Christ nur in religiösen Dingen ge¬
horche,:, bleibe hingegen in allen das Zeitliche betreffenden Meinungen, Worten
und Thaten von der geistlichen Macht frei — und pnblizirte zur Entrüstung
Roms diesen Brief. Trotzdem erklärte er an: 11. Dezember ohne Vorbehalt
einen unbedingten Gehorsam, widerrief und äußerte dem Erzbischofe von Paris:
er unterzeichne damit irnxllelto, der Papst sei Gott. Aber die Kurie war hiermit
uicht zufrieden und er zog sich nach La Che-raie zurück, um zum Entscheidungs¬
akte seines Lebens, zum Bruche mit Nom, das ihn verleugnet hatte, zu schreiten.
Er kannte nur Extreme und sprang von einem zum andern über. Im Mai
1834 erschienen karolss ä'un orozwat, ein Empörungsschrei des Abgefallenen,
das Evangelium beleidigten Hochmuts und wildesten Zorns; er verkündete in
schwungvollster Sprache, im Tone eines Propheten des alten Testaments, deu
Untergang der teuflischen Staatsordnung und die Zukunft eines neuen christlichen
Reiches der Freiheit und Gleichheit; er rief die Armen anf gegen die Reichen,
mißbrauchte die Bibel zu revolutionären Zwecken und predigte den Krieg wider
Thron und Besitz, Demokrat geworden, redete er die Sprache Se. Justs und
Robespierres; gar wenig blieb von kirchlichen Dogmen übrig. Der Papst aber
schleuderte am 15. Juli 1834, das ganze Trugsystem des Apostaten verdammend,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/318>, abgerufen am 04.07.2024.