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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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AbbL Lamennais.

in Rom vom Breviergebete dispensiren, sodaß er als Laientheologe gelten kann.
Voll Leidenschaft und Starrsinn warf sich Lamennais auf die kirchlichen und
politischen Zeitfragen, seit 1814 in recht ärmlichen Verhältnissen in Paris lebend.
Sein Stil war glänzend und verschaffte ihm einen Ehrenplatz unter den französischen
Prosaisten, aber seine Beredsamkeit war das Resultat der Begeisterung; bestechende
Dialektik und Keckheit der Behauptung ersetzten bei ihm Beweiskraft und Logik;
er schrieb voll Fanatismus in einem dauernden Rausche der Rechthaberei.
Rücksichtslos verfolgte er seine Ideen und Ziele, rückhaltlos haßte er seine
Gegner; wer nicht für ihn war, war unbedingt wider ihn; sein geistiger
Hochmut kannte keine Gnade; es lag ihm alles daran, sich zur ersten Kirchen-
autvrität aufzuschwingen. Noch anmaßender als Chateaubriand, bezog er alles
im Universum auf sich zurück und hatte vor niemand Ehrfurcht als vor sich.
Er zuerst machte die periodische Presse ultramontanen Zwecken dienstbar, und
seine Verehrer feierten ihn als "letzten Kirchenvater"; vor ihm beugten sich
Pius VII. und Leo XII., er schuf eine Schule, die feinen eignen Abfall lange
überdauerte und ihren höchsten Triumph 1870 im Dogma der Unfehlbarkeit
feierte. Seine Religion war kein Kind feines Herzens, sondern seiner Ein¬
bildungskraft.

Zum erstenmale trat der merkwürdige Mann 1808 in der Literatur auf;
ein Gegner des Kaiserreichs und des "Antichrist"?" Napoleon, schrieb er
gegen die religiöse Indifferenz die wiederholt aufgelegten Uölloxions sur l'owl,
as 1'6ZIi8ö on xvMimt 1v 6ix-tiuitiöiuiz M"1s se for hö, MriiMoir aotuollo.
Hier verherrlichte er die Kirche und stellte die Zeit selbst als ihr gegenüber
ohnmächtig hin. Napoleon fühlte die Keulenschlüge wohl, und seine Polizei
unterdrückte das kecke Buch, in welchem die Katholiken eine mächtige Stütze für den
hinsterbenden Glauben fanden. Offen sprach Lamennais seine Verzweiflung an
der Zukunft der französischen Gesellschaft aus, wenn nicht die Kirche in ihrer
alten Machtstellung restaurirt würde; ihm erschien die Kirche eine Zuchtanstalt
für das Volk, für das der religiöse Glaube notwendig sei; an allem Unheile
war die Reformation schuld, die sich auf die subjektive Vernunft des Einzel¬
menschen berief; ihre Folgen mußten der Jansenismus, die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts und endlich die Revolution werden; gegen die Jesuiten,
das feste Bollwerk Ver Kirche, war ein Sturm des Unglaubens lvsgebraust und
hatte den Orden hinweggefegt; darum war die Revolution nicht zu verhüten
gewesen, Ludwig XVI. mußte das Schaffot besteigen und die Kirche ging unter;
die Jesuiten -- so schloß Lamennais -- müssen wiederhergestellt werden, dann
allein kann sich ein Neubau der Kirche im Staate Ludwigs des Heiligen erheben,
und die Pforten der Hölle vermögen nicht, ihn zu überwinden. Fortan lebte
Lamennais in beständiger Furcht vor dem Untergange der menschlichen Gesell¬
schaft, die ihm in einem Delirium oder einem Rausche erschien; er selbst wollte
lieber sterben als in dieser Korruption leben. Ihn und seinen Bruder, den


AbbL Lamennais.

in Rom vom Breviergebete dispensiren, sodaß er als Laientheologe gelten kann.
Voll Leidenschaft und Starrsinn warf sich Lamennais auf die kirchlichen und
politischen Zeitfragen, seit 1814 in recht ärmlichen Verhältnissen in Paris lebend.
Sein Stil war glänzend und verschaffte ihm einen Ehrenplatz unter den französischen
Prosaisten, aber seine Beredsamkeit war das Resultat der Begeisterung; bestechende
Dialektik und Keckheit der Behauptung ersetzten bei ihm Beweiskraft und Logik;
er schrieb voll Fanatismus in einem dauernden Rausche der Rechthaberei.
Rücksichtslos verfolgte er seine Ideen und Ziele, rückhaltlos haßte er seine
Gegner; wer nicht für ihn war, war unbedingt wider ihn; sein geistiger
Hochmut kannte keine Gnade; es lag ihm alles daran, sich zur ersten Kirchen-
autvrität aufzuschwingen. Noch anmaßender als Chateaubriand, bezog er alles
im Universum auf sich zurück und hatte vor niemand Ehrfurcht als vor sich.
Er zuerst machte die periodische Presse ultramontanen Zwecken dienstbar, und
seine Verehrer feierten ihn als „letzten Kirchenvater"; vor ihm beugten sich
Pius VII. und Leo XII., er schuf eine Schule, die feinen eignen Abfall lange
überdauerte und ihren höchsten Triumph 1870 im Dogma der Unfehlbarkeit
feierte. Seine Religion war kein Kind feines Herzens, sondern seiner Ein¬
bildungskraft.

Zum erstenmale trat der merkwürdige Mann 1808 in der Literatur auf;
ein Gegner des Kaiserreichs und des „Antichrist«?" Napoleon, schrieb er
gegen die religiöse Indifferenz die wiederholt aufgelegten Uölloxions sur l'owl,
as 1'6ZIi8ö on xvMimt 1v 6ix-tiuitiöiuiz M«1s se for hö, MriiMoir aotuollo.
Hier verherrlichte er die Kirche und stellte die Zeit selbst als ihr gegenüber
ohnmächtig hin. Napoleon fühlte die Keulenschlüge wohl, und seine Polizei
unterdrückte das kecke Buch, in welchem die Katholiken eine mächtige Stütze für den
hinsterbenden Glauben fanden. Offen sprach Lamennais seine Verzweiflung an
der Zukunft der französischen Gesellschaft aus, wenn nicht die Kirche in ihrer
alten Machtstellung restaurirt würde; ihm erschien die Kirche eine Zuchtanstalt
für das Volk, für das der religiöse Glaube notwendig sei; an allem Unheile
war die Reformation schuld, die sich auf die subjektive Vernunft des Einzel¬
menschen berief; ihre Folgen mußten der Jansenismus, die Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts und endlich die Revolution werden; gegen die Jesuiten,
das feste Bollwerk Ver Kirche, war ein Sturm des Unglaubens lvsgebraust und
hatte den Orden hinweggefegt; darum war die Revolution nicht zu verhüten
gewesen, Ludwig XVI. mußte das Schaffot besteigen und die Kirche ging unter;
die Jesuiten — so schloß Lamennais — müssen wiederhergestellt werden, dann
allein kann sich ein Neubau der Kirche im Staate Ludwigs des Heiligen erheben,
und die Pforten der Hölle vermögen nicht, ihn zu überwinden. Fortan lebte
Lamennais in beständiger Furcht vor dem Untergange der menschlichen Gesell¬
schaft, die ihm in einem Delirium oder einem Rausche erschien; er selbst wollte
lieber sterben als in dieser Korruption leben. Ihn und seinen Bruder, den


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[0312] AbbL Lamennais. in Rom vom Breviergebete dispensiren, sodaß er als Laientheologe gelten kann. Voll Leidenschaft und Starrsinn warf sich Lamennais auf die kirchlichen und politischen Zeitfragen, seit 1814 in recht ärmlichen Verhältnissen in Paris lebend. Sein Stil war glänzend und verschaffte ihm einen Ehrenplatz unter den französischen Prosaisten, aber seine Beredsamkeit war das Resultat der Begeisterung; bestechende Dialektik und Keckheit der Behauptung ersetzten bei ihm Beweiskraft und Logik; er schrieb voll Fanatismus in einem dauernden Rausche der Rechthaberei. Rücksichtslos verfolgte er seine Ideen und Ziele, rückhaltlos haßte er seine Gegner; wer nicht für ihn war, war unbedingt wider ihn; sein geistiger Hochmut kannte keine Gnade; es lag ihm alles daran, sich zur ersten Kirchen- autvrität aufzuschwingen. Noch anmaßender als Chateaubriand, bezog er alles im Universum auf sich zurück und hatte vor niemand Ehrfurcht als vor sich. Er zuerst machte die periodische Presse ultramontanen Zwecken dienstbar, und seine Verehrer feierten ihn als „letzten Kirchenvater"; vor ihm beugten sich Pius VII. und Leo XII., er schuf eine Schule, die feinen eignen Abfall lange überdauerte und ihren höchsten Triumph 1870 im Dogma der Unfehlbarkeit feierte. Seine Religion war kein Kind feines Herzens, sondern seiner Ein¬ bildungskraft. Zum erstenmale trat der merkwürdige Mann 1808 in der Literatur auf; ein Gegner des Kaiserreichs und des „Antichrist«?" Napoleon, schrieb er gegen die religiöse Indifferenz die wiederholt aufgelegten Uölloxions sur l'owl, as 1'6ZIi8ö on xvMimt 1v 6ix-tiuitiöiuiz M«1s se for hö, MriiMoir aotuollo. Hier verherrlichte er die Kirche und stellte die Zeit selbst als ihr gegenüber ohnmächtig hin. Napoleon fühlte die Keulenschlüge wohl, und seine Polizei unterdrückte das kecke Buch, in welchem die Katholiken eine mächtige Stütze für den hinsterbenden Glauben fanden. Offen sprach Lamennais seine Verzweiflung an der Zukunft der französischen Gesellschaft aus, wenn nicht die Kirche in ihrer alten Machtstellung restaurirt würde; ihm erschien die Kirche eine Zuchtanstalt für das Volk, für das der religiöse Glaube notwendig sei; an allem Unheile war die Reformation schuld, die sich auf die subjektive Vernunft des Einzel¬ menschen berief; ihre Folgen mußten der Jansenismus, die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts und endlich die Revolution werden; gegen die Jesuiten, das feste Bollwerk Ver Kirche, war ein Sturm des Unglaubens lvsgebraust und hatte den Orden hinweggefegt; darum war die Revolution nicht zu verhüten gewesen, Ludwig XVI. mußte das Schaffot besteigen und die Kirche ging unter; die Jesuiten — so schloß Lamennais — müssen wiederhergestellt werden, dann allein kann sich ein Neubau der Kirche im Staate Ludwigs des Heiligen erheben, und die Pforten der Hölle vermögen nicht, ihn zu überwinden. Fortan lebte Lamennais in beständiger Furcht vor dem Untergange der menschlichen Gesell¬ schaft, die ihm in einem Delirium oder einem Rausche erschien; er selbst wollte lieber sterben als in dieser Korruption leben. Ihn und seinen Bruder, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/312>, abgerufen am 28.12.2024.