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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Straßburger verfassungsleben.

die frühere Gewalt zu bekommen. Ja im folgenden Jahrhundert werden sie noch
mehr zurückgedrängt. Dies geschah vornehmlich durch die große Umwandlung der
Stadtordnung von 1405, welche Gustav Schmoller erst vor etwa zehn Jahren im
hiesigen Stadtarchiv entdeckt hat. Dieselbe muß wegen des dabei eingeführten
Grundsatzes der äußersten Sparsamkeit und der noch erheblich stärkern Befestigung
der Volksherrschaft dem Adel höchst unangenehm gewesen sein, denn 1419 folgt
ein Massenaustritt von Adlichen aus der Stadt, dem sich im Laufe des Jahr¬
hunderts noch verschiedne andre anschlössen. Das schwächte zweifelsohne zeit¬
weise die Macht der Stadt; ihre innere Ruhe gewann aber ganz entschieden,
da es gerade die unsichersten Elemente waren, welche die Stadt verließen.
Um noch die wichtigsten Thatsachen der weitern Entwicklung gleich hier ein¬
zufügen: nach dem Auszuge der Adlichen wurden die Vertreter der adlichen
Genossenschaften, der sogenannten "Constvfeln" (vonstÄdulg-rii), im Rat auf 14
beschränkt, während die durch je einen Ratsherrn vertretenen Zünfte die Zahl
28 behielten; 1425 bis 1433 wurde das Stadtrecht durchgesehen, eine ähnliche
Riesenarbeit wie die genau hundert Jahre früher geleistete; 1433 das wichtige
Kollegium der Füufzehncr (XVer) eingesetzt; 1441 die Satzungen und Ord¬
nungen zum letztenmale durchgesehen; 1448 endlich die Ordnung des obersten
Negierungskollegiums der Dreizehner (Xlller) festgestellt und damit die große
umgestaltende Bewegung in der Hauptsache abgeschlossen. Die Zahl der
Zünfte beschränkte man nach und nach (1463, 1471, 1482) auf zwanzig, sodaß
der Rat mit den zehn Adlichen nunmehr aus dreißig Mitgliedern bestand. Des
Rats Bedeutung wurde übrigens später immer mehr durch das wachsende An¬
sehen der dreihundert Schöffen, der unmittelbaren Zunftvertreter, deren jede
Zunft fünfzehn stellte, zurückgedrängt, sodaß die Schöffenversammluug allmählich
annähernd die Stellung einer Volksvertretung nach jetzigem Sinne erhielt.

Die zurückgebliebnen Adlichen aber schonte man thunlichst in ihren Gerecht¬
samen; sie widmeten dafür ihre höhern Geistesgaben und ihre feinere Bildung
dem Gemeinwesen, welches durch diesen lebendigen Austausch aller Kräfte zur
wunderbarsten Blüte gedieh. Das so entstandene städtische Patriziat stellte
zumeist den tüchtigen Beamtenstand, der Straßburg auszeichnete.

(Schluß folgt.)




Straßburger verfassungsleben.

die frühere Gewalt zu bekommen. Ja im folgenden Jahrhundert werden sie noch
mehr zurückgedrängt. Dies geschah vornehmlich durch die große Umwandlung der
Stadtordnung von 1405, welche Gustav Schmoller erst vor etwa zehn Jahren im
hiesigen Stadtarchiv entdeckt hat. Dieselbe muß wegen des dabei eingeführten
Grundsatzes der äußersten Sparsamkeit und der noch erheblich stärkern Befestigung
der Volksherrschaft dem Adel höchst unangenehm gewesen sein, denn 1419 folgt
ein Massenaustritt von Adlichen aus der Stadt, dem sich im Laufe des Jahr¬
hunderts noch verschiedne andre anschlössen. Das schwächte zweifelsohne zeit¬
weise die Macht der Stadt; ihre innere Ruhe gewann aber ganz entschieden,
da es gerade die unsichersten Elemente waren, welche die Stadt verließen.
Um noch die wichtigsten Thatsachen der weitern Entwicklung gleich hier ein¬
zufügen: nach dem Auszuge der Adlichen wurden die Vertreter der adlichen
Genossenschaften, der sogenannten „Constvfeln" (vonstÄdulg-rii), im Rat auf 14
beschränkt, während die durch je einen Ratsherrn vertretenen Zünfte die Zahl
28 behielten; 1425 bis 1433 wurde das Stadtrecht durchgesehen, eine ähnliche
Riesenarbeit wie die genau hundert Jahre früher geleistete; 1433 das wichtige
Kollegium der Füufzehncr (XVer) eingesetzt; 1441 die Satzungen und Ord¬
nungen zum letztenmale durchgesehen; 1448 endlich die Ordnung des obersten
Negierungskollegiums der Dreizehner (Xlller) festgestellt und damit die große
umgestaltende Bewegung in der Hauptsache abgeschlossen. Die Zahl der
Zünfte beschränkte man nach und nach (1463, 1471, 1482) auf zwanzig, sodaß
der Rat mit den zehn Adlichen nunmehr aus dreißig Mitgliedern bestand. Des
Rats Bedeutung wurde übrigens später immer mehr durch das wachsende An¬
sehen der dreihundert Schöffen, der unmittelbaren Zunftvertreter, deren jede
Zunft fünfzehn stellte, zurückgedrängt, sodaß die Schöffenversammluug allmählich
annähernd die Stellung einer Volksvertretung nach jetzigem Sinne erhielt.

Die zurückgebliebnen Adlichen aber schonte man thunlichst in ihren Gerecht¬
samen; sie widmeten dafür ihre höhern Geistesgaben und ihre feinere Bildung
dem Gemeinwesen, welches durch diesen lebendigen Austausch aller Kräfte zur
wunderbarsten Blüte gedieh. Das so entstandene städtische Patriziat stellte
zumeist den tüchtigen Beamtenstand, der Straßburg auszeichnete.

(Schluß folgt.)




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[0310] Straßburger verfassungsleben. die frühere Gewalt zu bekommen. Ja im folgenden Jahrhundert werden sie noch mehr zurückgedrängt. Dies geschah vornehmlich durch die große Umwandlung der Stadtordnung von 1405, welche Gustav Schmoller erst vor etwa zehn Jahren im hiesigen Stadtarchiv entdeckt hat. Dieselbe muß wegen des dabei eingeführten Grundsatzes der äußersten Sparsamkeit und der noch erheblich stärkern Befestigung der Volksherrschaft dem Adel höchst unangenehm gewesen sein, denn 1419 folgt ein Massenaustritt von Adlichen aus der Stadt, dem sich im Laufe des Jahr¬ hunderts noch verschiedne andre anschlössen. Das schwächte zweifelsohne zeit¬ weise die Macht der Stadt; ihre innere Ruhe gewann aber ganz entschieden, da es gerade die unsichersten Elemente waren, welche die Stadt verließen. Um noch die wichtigsten Thatsachen der weitern Entwicklung gleich hier ein¬ zufügen: nach dem Auszuge der Adlichen wurden die Vertreter der adlichen Genossenschaften, der sogenannten „Constvfeln" (vonstÄdulg-rii), im Rat auf 14 beschränkt, während die durch je einen Ratsherrn vertretenen Zünfte die Zahl 28 behielten; 1425 bis 1433 wurde das Stadtrecht durchgesehen, eine ähnliche Riesenarbeit wie die genau hundert Jahre früher geleistete; 1433 das wichtige Kollegium der Füufzehncr (XVer) eingesetzt; 1441 die Satzungen und Ord¬ nungen zum letztenmale durchgesehen; 1448 endlich die Ordnung des obersten Negierungskollegiums der Dreizehner (Xlller) festgestellt und damit die große umgestaltende Bewegung in der Hauptsache abgeschlossen. Die Zahl der Zünfte beschränkte man nach und nach (1463, 1471, 1482) auf zwanzig, sodaß der Rat mit den zehn Adlichen nunmehr aus dreißig Mitgliedern bestand. Des Rats Bedeutung wurde übrigens später immer mehr durch das wachsende An¬ sehen der dreihundert Schöffen, der unmittelbaren Zunftvertreter, deren jede Zunft fünfzehn stellte, zurückgedrängt, sodaß die Schöffenversammluug allmählich annähernd die Stellung einer Volksvertretung nach jetzigem Sinne erhielt. Die zurückgebliebnen Adlichen aber schonte man thunlichst in ihren Gerecht¬ samen; sie widmeten dafür ihre höhern Geistesgaben und ihre feinere Bildung dem Gemeinwesen, welches durch diesen lebendigen Austausch aller Kräfte zur wunderbarsten Blüte gedieh. Das so entstandene städtische Patriziat stellte zumeist den tüchtigen Beamtenstand, der Straßburg auszeichnete. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/310>, abgerufen am 24.07.2024.