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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Straßburger Verfassungsleben.

Jahre später nach dieser "Ratsänderung" wie folgt: acht Adliche, vierzehn Bürger
(d. i, Kaufherren ?c.) und fünfundzwanzig Handwerker. Das Haupt der Stadt
war nicht mehr der jeweilige Stettmeister und das adliche Ratskollegium, sondern
der Ammeister. Diese Würde hatte sich gewissermaßen aus der des alten
bischöflichen Burggrafen entwickelt: er war der Meister der Am(ba)diente der
Handwerker, der oberste aller Zunftmeister; sein Eid galt an erster Stelle; in
ihm verkörperte sich die herrschende Gewalt des Handwerks. Der erste in diesem
wichtigen Amte hieß Burchard Twinger.

Daß mit dem neuen Regiment ein neues Leben, ein frischer Trieb in das
städtische Gemeinwesen gekommen war, erhellt am besten aus der stetigen Zu¬
nahme der Macht und des Ansehens, deren sich Straßbnrg gegen Ende des
Jahrhunderts erfreut. Dieses Wachstum ist umso bemerkenswerter, als gerade
die Jugendzeit der neuen Verfassung von schweren Stürmen heimgesucht wurde
Teuerung, Seuchen, Kriegsnvt und andre Nöte folgten einander in schnellem
Wechsel. Namentlich wurde Straßbnrg in die Kriege des Städtebundes wegen
der vielen sogenannten "Ausbürgcr" -- der auswärtigen Adlichen, welche sich
als Bürger aufnehmen ließen und dafür Schutz begehrten -- verwickelt; diese
Kriege fügten der Stadt schwere Verluste bei. Auch die durch wucherischer
Übermut herbeigeführten Judenverfolgungen gehören hierher.^') Das war indessen
für Straßbnrg die letzte größere revolutionäre Zuckung dieses aufgeregten wilden
vierzehnten Jahrhunderts, und sicher darf man sie nicht der politischen Ent¬
wicklung der Straßburger Zunftherrschaft ins Schuldbuch schreiben. Im Jahre
1374 störte noch ein blutiger Familienzwist die öffentliche Ruhe, das "gescheite
zwüschent deu von Rosheim und den Rebestöckcn." Von Versuchen zur persön¬
lichen Ausbeutung der Macht ist nur einer überliefert. Es war im Jahre 1385,
wo "die gewaltige Manne von antwcrklüten" Johanns Cantzeler, Philips Hans
und Walther Wassicher aus der freien Republik so etwas wie eine Thrannis
gemacht hatten. Dem weisen, thatkräftigen Einschreiten des Ammcisters Cuntz
von Gcispvltzheim gelang es, die drei Gewaltigen unschädlich zu machen und zu
bestrafen. Das ging aber alles ab "one liege und one stoße, das es mengelich
gros wunder hette wie mens möchte zubringen."

An der neuen Verfassung wurde nnn uuablässtg gearbeitet und verbessert.
Zunächst suchte man (1334--49) die Würde des Ammcisters und zweier Städte¬
meister lebenslänglich zu machen. Dann gelang es der Zvrnschen Partei 1349,
einen jährlichen Wechsel durchzusetzen, wobei aber die Getön.le der Städtemeister
sehr herabgedrückt wurde; dann gab es wiederum 1371 bis 1381 einen zehn¬
jährigen Ammeister. Trotz aller Unruhe vermochten aber die Adlichen nie wieder



") Es ist schauerlich, zu vernehme", daß einmal im Jahre 1349 nicht weniger als zwei¬
tausend Juden verbrannt wttrdcn; der Mordplntz war neben der Stelle, wo heute das Stadt¬
theater steht, der damalige jüdische Bestattungsort.
Straßburger Verfassungsleben.

Jahre später nach dieser „Ratsänderung" wie folgt: acht Adliche, vierzehn Bürger
(d. i, Kaufherren ?c.) und fünfundzwanzig Handwerker. Das Haupt der Stadt
war nicht mehr der jeweilige Stettmeister und das adliche Ratskollegium, sondern
der Ammeister. Diese Würde hatte sich gewissermaßen aus der des alten
bischöflichen Burggrafen entwickelt: er war der Meister der Am(ba)diente der
Handwerker, der oberste aller Zunftmeister; sein Eid galt an erster Stelle; in
ihm verkörperte sich die herrschende Gewalt des Handwerks. Der erste in diesem
wichtigen Amte hieß Burchard Twinger.

Daß mit dem neuen Regiment ein neues Leben, ein frischer Trieb in das
städtische Gemeinwesen gekommen war, erhellt am besten aus der stetigen Zu¬
nahme der Macht und des Ansehens, deren sich Straßbnrg gegen Ende des
Jahrhunderts erfreut. Dieses Wachstum ist umso bemerkenswerter, als gerade
die Jugendzeit der neuen Verfassung von schweren Stürmen heimgesucht wurde
Teuerung, Seuchen, Kriegsnvt und andre Nöte folgten einander in schnellem
Wechsel. Namentlich wurde Straßbnrg in die Kriege des Städtebundes wegen
der vielen sogenannten „Ausbürgcr" — der auswärtigen Adlichen, welche sich
als Bürger aufnehmen ließen und dafür Schutz begehrten — verwickelt; diese
Kriege fügten der Stadt schwere Verluste bei. Auch die durch wucherischer
Übermut herbeigeführten Judenverfolgungen gehören hierher.^') Das war indessen
für Straßbnrg die letzte größere revolutionäre Zuckung dieses aufgeregten wilden
vierzehnten Jahrhunderts, und sicher darf man sie nicht der politischen Ent¬
wicklung der Straßburger Zunftherrschaft ins Schuldbuch schreiben. Im Jahre
1374 störte noch ein blutiger Familienzwist die öffentliche Ruhe, das „gescheite
zwüschent deu von Rosheim und den Rebestöckcn." Von Versuchen zur persön¬
lichen Ausbeutung der Macht ist nur einer überliefert. Es war im Jahre 1385,
wo „die gewaltige Manne von antwcrklüten" Johanns Cantzeler, Philips Hans
und Walther Wassicher aus der freien Republik so etwas wie eine Thrannis
gemacht hatten. Dem weisen, thatkräftigen Einschreiten des Ammcisters Cuntz
von Gcispvltzheim gelang es, die drei Gewaltigen unschädlich zu machen und zu
bestrafen. Das ging aber alles ab „one liege und one stoße, das es mengelich
gros wunder hette wie mens möchte zubringen."

An der neuen Verfassung wurde nnn uuablässtg gearbeitet und verbessert.
Zunächst suchte man (1334—49) die Würde des Ammcisters und zweier Städte¬
meister lebenslänglich zu machen. Dann gelang es der Zvrnschen Partei 1349,
einen jährlichen Wechsel durchzusetzen, wobei aber die Getön.le der Städtemeister
sehr herabgedrückt wurde; dann gab es wiederum 1371 bis 1381 einen zehn¬
jährigen Ammeister. Trotz aller Unruhe vermochten aber die Adlichen nie wieder



») Es ist schauerlich, zu vernehme», daß einmal im Jahre 1349 nicht weniger als zwei¬
tausend Juden verbrannt wttrdcn; der Mordplntz war neben der Stelle, wo heute das Stadt¬
theater steht, der damalige jüdische Bestattungsort.
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[0309] Straßburger Verfassungsleben. Jahre später nach dieser „Ratsänderung" wie folgt: acht Adliche, vierzehn Bürger (d. i, Kaufherren ?c.) und fünfundzwanzig Handwerker. Das Haupt der Stadt war nicht mehr der jeweilige Stettmeister und das adliche Ratskollegium, sondern der Ammeister. Diese Würde hatte sich gewissermaßen aus der des alten bischöflichen Burggrafen entwickelt: er war der Meister der Am(ba)diente der Handwerker, der oberste aller Zunftmeister; sein Eid galt an erster Stelle; in ihm verkörperte sich die herrschende Gewalt des Handwerks. Der erste in diesem wichtigen Amte hieß Burchard Twinger. Daß mit dem neuen Regiment ein neues Leben, ein frischer Trieb in das städtische Gemeinwesen gekommen war, erhellt am besten aus der stetigen Zu¬ nahme der Macht und des Ansehens, deren sich Straßbnrg gegen Ende des Jahrhunderts erfreut. Dieses Wachstum ist umso bemerkenswerter, als gerade die Jugendzeit der neuen Verfassung von schweren Stürmen heimgesucht wurde Teuerung, Seuchen, Kriegsnvt und andre Nöte folgten einander in schnellem Wechsel. Namentlich wurde Straßbnrg in die Kriege des Städtebundes wegen der vielen sogenannten „Ausbürgcr" — der auswärtigen Adlichen, welche sich als Bürger aufnehmen ließen und dafür Schutz begehrten — verwickelt; diese Kriege fügten der Stadt schwere Verluste bei. Auch die durch wucherischer Übermut herbeigeführten Judenverfolgungen gehören hierher.^') Das war indessen für Straßbnrg die letzte größere revolutionäre Zuckung dieses aufgeregten wilden vierzehnten Jahrhunderts, und sicher darf man sie nicht der politischen Ent¬ wicklung der Straßburger Zunftherrschaft ins Schuldbuch schreiben. Im Jahre 1374 störte noch ein blutiger Familienzwist die öffentliche Ruhe, das „gescheite zwüschent deu von Rosheim und den Rebestöckcn." Von Versuchen zur persön¬ lichen Ausbeutung der Macht ist nur einer überliefert. Es war im Jahre 1385, wo „die gewaltige Manne von antwcrklüten" Johanns Cantzeler, Philips Hans und Walther Wassicher aus der freien Republik so etwas wie eine Thrannis gemacht hatten. Dem weisen, thatkräftigen Einschreiten des Ammcisters Cuntz von Gcispvltzheim gelang es, die drei Gewaltigen unschädlich zu machen und zu bestrafen. Das ging aber alles ab „one liege und one stoße, das es mengelich gros wunder hette wie mens möchte zubringen." An der neuen Verfassung wurde nnn uuablässtg gearbeitet und verbessert. Zunächst suchte man (1334—49) die Würde des Ammcisters und zweier Städte¬ meister lebenslänglich zu machen. Dann gelang es der Zvrnschen Partei 1349, einen jährlichen Wechsel durchzusetzen, wobei aber die Getön.le der Städtemeister sehr herabgedrückt wurde; dann gab es wiederum 1371 bis 1381 einen zehn¬ jährigen Ammeister. Trotz aller Unruhe vermochten aber die Adlichen nie wieder ») Es ist schauerlich, zu vernehme», daß einmal im Jahre 1349 nicht weniger als zwei¬ tausend Juden verbrannt wttrdcn; der Mordplntz war neben der Stelle, wo heute das Stadt¬ theater steht, der damalige jüdische Bestattungsort.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/309>, abgerufen am 24.07.2024.