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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Straßburger vcrfassungsleben.

Zänkereien müde, selbst nach höherm Einflusse strebten; man besprach eine
etwaige künftige Gestaltung der Dinge und erwog vielleicht anch schon die
dereinstige Zusammensetzung des Rates. Kurz, das Maß war voll; nur noch
der äußere Anlaß fehlte, daß es überlief. Und dieser kam in dem großen
Jahre 1332.

Am 2V. Mai jenes Jahres, an einer Mittwoch, war nach altem Brauche
die "Martsche" (ale-8 Nurlni"), Tnrnierspiele, auf welche ein festliches Gelage,
die "Rnntofcl," im Ochsensteinischen Hof*) in der Brandgasse folgte. Obgleich
die "runde Tafel" einen Vorsitz zuließ, also möglichst wenig Anlaß zu Streite¬
reien bot, brach doch, als sich die Frauen entfernt hatten, Zwist aus, der bald
unerhörten Umfang annahm. Es war, als ob die Zorne und Müllnheime den
Entscheidungskampf kämpfen wollten; von allen Seiten eilten die Verbündeten
herbei, und im Nu war der benachbarte Roßmarkt (der heutige Broglieplatz) ein
wüstes Kampfgefilde, auf welchem sich die eidlichen Herren nach Herzenslust
gegenseitig tot und siech schlugen. Aber -- änolzus oorlMtiKuL tvrtinL Ag-naive.
Während sich die Edelleute die Köpfe blutig hämmerten, bemächtigten sich die
Zünfte des Stadtregiments, und an diesem Tage beginnt die Zeit der Znnft-
herrlichkeit, deren letzte Schatten erst im Jahre 1791 für immer verschwinden
sollten. Über diese höchst merkwürdige Revolution, bei welcher die Unordnung
von den Machthabern und die Thaten der Ordnung von den die Macht er¬
strebenden begangen wurden, berichtet Königshöfen: "Under der one gingent
die bürgere und die antwerglüte dar, und haltend einen ruwen rat und kusent
deriu crbere burgcr.. on underscheit und darzu vou icglichem antwerge senkend
sü ouch einen in den rolle und beruftent alle bürgere und antwerke, die Sorrent
dem rote, und der rot auch in."

Die hier in chronikmäßiger Kürze angedeuteten Maßregeln sind so durch¬
greifend und wurden so umsichtig und schnell durchgeführt, daß die vorhin
ausgesprochene Annahme, sie seien lange vorbereitet gewesen, an Wahrschein¬
lichkeit gewinnt. Die Besetzung der Pfalz und der Stadtthore, das an die
eidlichen Geschlechter erlassene Waffcnvcrbot, die Beschlagnahme der Schlüssel,
des Siegels und des Banners der Stadt, die Einsetzung und sofortige Ver¬
eidigung eines neuen Rates, alles das zeugt von kräftiger Durchführung eines
verabredeten Planes. Bewunderungswürdig bei der Größe und Vollständigkeit
des Sieges ist die weise Mäßigung, mit welcher die Zünfte ihren Vorteil aus¬
nützen. Nicht, wie in den Bauernkriegen, werden die Adlichen vernichtet, sondern
man läßt sie ruhig in der Stadt, ja sogar im Rate, setzt sie aber nachdrücklich
in die Minderheit. Die Zusammensetzung des neuen Rates finden wir zwei



An Stelle des Ochscnstcinischen Hofes erbaute im vorigen Jahrhundert die hessen-
darmsiiidtischc Familie einen Hof, in welchem sich heute die Bürgermeisterei, das Stadthaus,
befindet. Wie 1ZZ3S, so nimmt also auch heute die neue Verfassung ihren Nusgang von
dieser Stelle; diesmal nur etwas friedlicher.
Straßburger vcrfassungsleben.

Zänkereien müde, selbst nach höherm Einflusse strebten; man besprach eine
etwaige künftige Gestaltung der Dinge und erwog vielleicht anch schon die
dereinstige Zusammensetzung des Rates. Kurz, das Maß war voll; nur noch
der äußere Anlaß fehlte, daß es überlief. Und dieser kam in dem großen
Jahre 1332.

Am 2V. Mai jenes Jahres, an einer Mittwoch, war nach altem Brauche
die „Martsche" (ale-8 Nurlni»), Tnrnierspiele, auf welche ein festliches Gelage,
die „Rnntofcl," im Ochsensteinischen Hof*) in der Brandgasse folgte. Obgleich
die „runde Tafel" einen Vorsitz zuließ, also möglichst wenig Anlaß zu Streite¬
reien bot, brach doch, als sich die Frauen entfernt hatten, Zwist aus, der bald
unerhörten Umfang annahm. Es war, als ob die Zorne und Müllnheime den
Entscheidungskampf kämpfen wollten; von allen Seiten eilten die Verbündeten
herbei, und im Nu war der benachbarte Roßmarkt (der heutige Broglieplatz) ein
wüstes Kampfgefilde, auf welchem sich die eidlichen Herren nach Herzenslust
gegenseitig tot und siech schlugen. Aber — änolzus oorlMtiKuL tvrtinL Ag-naive.
Während sich die Edelleute die Köpfe blutig hämmerten, bemächtigten sich die
Zünfte des Stadtregiments, und an diesem Tage beginnt die Zeit der Znnft-
herrlichkeit, deren letzte Schatten erst im Jahre 1791 für immer verschwinden
sollten. Über diese höchst merkwürdige Revolution, bei welcher die Unordnung
von den Machthabern und die Thaten der Ordnung von den die Macht er¬
strebenden begangen wurden, berichtet Königshöfen: „Under der one gingent
die bürgere und die antwerglüte dar, und haltend einen ruwen rat und kusent
deriu crbere burgcr.. on underscheit und darzu vou icglichem antwerge senkend
sü ouch einen in den rolle und beruftent alle bürgere und antwerke, die Sorrent
dem rote, und der rot auch in."

Die hier in chronikmäßiger Kürze angedeuteten Maßregeln sind so durch¬
greifend und wurden so umsichtig und schnell durchgeführt, daß die vorhin
ausgesprochene Annahme, sie seien lange vorbereitet gewesen, an Wahrschein¬
lichkeit gewinnt. Die Besetzung der Pfalz und der Stadtthore, das an die
eidlichen Geschlechter erlassene Waffcnvcrbot, die Beschlagnahme der Schlüssel,
des Siegels und des Banners der Stadt, die Einsetzung und sofortige Ver¬
eidigung eines neuen Rates, alles das zeugt von kräftiger Durchführung eines
verabredeten Planes. Bewunderungswürdig bei der Größe und Vollständigkeit
des Sieges ist die weise Mäßigung, mit welcher die Zünfte ihren Vorteil aus¬
nützen. Nicht, wie in den Bauernkriegen, werden die Adlichen vernichtet, sondern
man läßt sie ruhig in der Stadt, ja sogar im Rate, setzt sie aber nachdrücklich
in die Minderheit. Die Zusammensetzung des neuen Rates finden wir zwei



An Stelle des Ochscnstcinischen Hofes erbaute im vorigen Jahrhundert die hessen-
darmsiiidtischc Familie einen Hof, in welchem sich heute die Bürgermeisterei, das Stadthaus,
befindet. Wie 1ZZ3S, so nimmt also auch heute die neue Verfassung ihren Nusgang von
dieser Stelle; diesmal nur etwas friedlicher.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/308>, abgerufen am 24.07.2024.