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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Das neue Manifest Glcidstones,

Parlament durch seine sophistische Beredsamkeit nicht wohl für sein irisches
Projekt gewinnen wird, spricht Gladstone gleichsam zu einer Massenversammlung
des britischen Volkes außerhalb der Hallen von Westminster. Für die wenig
urteilsfähige Masse sind seiue Phrasen und seine Beweisführung vorzüglich be¬
rechnet. Nur ihr konnte er zumuten, es gelten zu lassen, wenn er sich auf sein
Manifest vom letzten September als eine Andeutung seines jetzigen Planes zur
Zerspaltung des Reiches bezieht. Nur ihr durfte er mit dem Versuche kommen,
den "Grundgedanken" seiner Bill so harmlos darzustellen, daß er wie das all¬
gemein zugegebne Prinzip örtlicher Regierung aussah, die dem Reiche nichts
von seinem Rechte und Interesse entziehen kann. Auf ihre Eifersucht und ihren
Argwohn endlich bemüht er sich zu wirken, wenn er den großen nationalen
Streit mit der Beschränktheit und Selbstsucht der verschiednen Klassen in Ver¬
bindung bringt und die Opposition gegen seinen irischen Plan hauptsächlich sich
"aus den obern Schichten der Gesellschaft" rekrutiren sieht.

Der Hinweis auf das Manifest vom vorigen September ist praktisch eine
Appellation von seinen Thaten an seine Worte. Es ist ganz richtig, daß er
sich im letzten Herbste für "jedes Zugeständnis lokaler Selbstregierung in Irland,
welches der obersten Bedingung der Reichseinheit angepaßt sei," erklärt hat.
Aber fügte er damals etwa hinzu, daß nach seiner Ansicht die Errichtung eines
besondern irischen Parlaments in Dublin eine unter diese Voraussetzung fallende
Konzession sei? Er deutete dies nicht einmal an, und er muß wissen, daß, wenn
diese Voraussetzung nicht allgemein als eine solch vollständiges Eingehen auf
Parnells Forderungen ausschließende Schranke aufgefaßt wordeu wäre, seine
Partei zerfallen sein würde, ehe noch bei den letzten Wahlen der erste Wahl¬
zettel in die Urne gesteckt worden wäre. Natürlich behauptet er selbst, jetzt noch
die von ihm damals gezogne Grenze beobachtet zu haben. Darauf baut sich
die ganze Sophistik auf, mit welcher das Manifest seine Wähler und zu gleicher
Zeit die gesamte Wählerschaft Schottlands und Englands irrezuführen sucht.
Seht doch nur einmal, sagt er zu ihnen, wie maßvoll, wie verständig, wie billig
das Verlangen des irischen Volkes ist, dieses einzige Verlangen, dem das eng¬
lische Parlament seine Zustimmung erteilen wird, wenn es für die zweite Lesung
meines Gesetzentwurfes stimmt. Was kann, fragt er, gerechter und unschädlicher
sein als den Jrländern gesetzgeberischen Einfluß auf irische Angelegenheiten als
von denen des Reiches verschiedne Gegenstände zu gestatten? Darauf ist zu
erwiedern: Gewiß läßt sich nichts Gerechteres und Unschädlicheres denken, und
wenn Gladstone seine Zugeständnisse dem Parlamente in Gestalt eines wohl¬
überlegten und sorgfältig eingeschränkten Entwurfs zu lokaler Selbstregierung
in Irland vorlegen wollte, statt daß er ihm jetzt zumutet, einer durchaus ge¬
fährlichen Ordnung der Dinge beizustimmen, so würden sicher nur wenige Ab¬
geordnete seinen Plan abzulehnen geneigt sein. Sein jetziger Plan findet selbst
bei einem großen Teile seiner eignen Partei Widerstand, weil der gesetzgebende


Das neue Manifest Glcidstones,

Parlament durch seine sophistische Beredsamkeit nicht wohl für sein irisches
Projekt gewinnen wird, spricht Gladstone gleichsam zu einer Massenversammlung
des britischen Volkes außerhalb der Hallen von Westminster. Für die wenig
urteilsfähige Masse sind seiue Phrasen und seine Beweisführung vorzüglich be¬
rechnet. Nur ihr konnte er zumuten, es gelten zu lassen, wenn er sich auf sein
Manifest vom letzten September als eine Andeutung seines jetzigen Planes zur
Zerspaltung des Reiches bezieht. Nur ihr durfte er mit dem Versuche kommen,
den „Grundgedanken" seiner Bill so harmlos darzustellen, daß er wie das all¬
gemein zugegebne Prinzip örtlicher Regierung aussah, die dem Reiche nichts
von seinem Rechte und Interesse entziehen kann. Auf ihre Eifersucht und ihren
Argwohn endlich bemüht er sich zu wirken, wenn er den großen nationalen
Streit mit der Beschränktheit und Selbstsucht der verschiednen Klassen in Ver¬
bindung bringt und die Opposition gegen seinen irischen Plan hauptsächlich sich
„aus den obern Schichten der Gesellschaft" rekrutiren sieht.

Der Hinweis auf das Manifest vom vorigen September ist praktisch eine
Appellation von seinen Thaten an seine Worte. Es ist ganz richtig, daß er
sich im letzten Herbste für „jedes Zugeständnis lokaler Selbstregierung in Irland,
welches der obersten Bedingung der Reichseinheit angepaßt sei," erklärt hat.
Aber fügte er damals etwa hinzu, daß nach seiner Ansicht die Errichtung eines
besondern irischen Parlaments in Dublin eine unter diese Voraussetzung fallende
Konzession sei? Er deutete dies nicht einmal an, und er muß wissen, daß, wenn
diese Voraussetzung nicht allgemein als eine solch vollständiges Eingehen auf
Parnells Forderungen ausschließende Schranke aufgefaßt wordeu wäre, seine
Partei zerfallen sein würde, ehe noch bei den letzten Wahlen der erste Wahl¬
zettel in die Urne gesteckt worden wäre. Natürlich behauptet er selbst, jetzt noch
die von ihm damals gezogne Grenze beobachtet zu haben. Darauf baut sich
die ganze Sophistik auf, mit welcher das Manifest seine Wähler und zu gleicher
Zeit die gesamte Wählerschaft Schottlands und Englands irrezuführen sucht.
Seht doch nur einmal, sagt er zu ihnen, wie maßvoll, wie verständig, wie billig
das Verlangen des irischen Volkes ist, dieses einzige Verlangen, dem das eng¬
lische Parlament seine Zustimmung erteilen wird, wenn es für die zweite Lesung
meines Gesetzentwurfes stimmt. Was kann, fragt er, gerechter und unschädlicher
sein als den Jrländern gesetzgeberischen Einfluß auf irische Angelegenheiten als
von denen des Reiches verschiedne Gegenstände zu gestatten? Darauf ist zu
erwiedern: Gewiß läßt sich nichts Gerechteres und Unschädlicheres denken, und
wenn Gladstone seine Zugeständnisse dem Parlamente in Gestalt eines wohl¬
überlegten und sorgfältig eingeschränkten Entwurfs zu lokaler Selbstregierung
in Irland vorlegen wollte, statt daß er ihm jetzt zumutet, einer durchaus ge¬
fährlichen Ordnung der Dinge beizustimmen, so würden sicher nur wenige Ab¬
geordnete seinen Plan abzulehnen geneigt sein. Sein jetziger Plan findet selbst
bei einem großen Teile seiner eignen Partei Widerstand, weil der gesetzgebende


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[0299] Das neue Manifest Glcidstones, Parlament durch seine sophistische Beredsamkeit nicht wohl für sein irisches Projekt gewinnen wird, spricht Gladstone gleichsam zu einer Massenversammlung des britischen Volkes außerhalb der Hallen von Westminster. Für die wenig urteilsfähige Masse sind seiue Phrasen und seine Beweisführung vorzüglich be¬ rechnet. Nur ihr konnte er zumuten, es gelten zu lassen, wenn er sich auf sein Manifest vom letzten September als eine Andeutung seines jetzigen Planes zur Zerspaltung des Reiches bezieht. Nur ihr durfte er mit dem Versuche kommen, den „Grundgedanken" seiner Bill so harmlos darzustellen, daß er wie das all¬ gemein zugegebne Prinzip örtlicher Regierung aussah, die dem Reiche nichts von seinem Rechte und Interesse entziehen kann. Auf ihre Eifersucht und ihren Argwohn endlich bemüht er sich zu wirken, wenn er den großen nationalen Streit mit der Beschränktheit und Selbstsucht der verschiednen Klassen in Ver¬ bindung bringt und die Opposition gegen seinen irischen Plan hauptsächlich sich „aus den obern Schichten der Gesellschaft" rekrutiren sieht. Der Hinweis auf das Manifest vom vorigen September ist praktisch eine Appellation von seinen Thaten an seine Worte. Es ist ganz richtig, daß er sich im letzten Herbste für „jedes Zugeständnis lokaler Selbstregierung in Irland, welches der obersten Bedingung der Reichseinheit angepaßt sei," erklärt hat. Aber fügte er damals etwa hinzu, daß nach seiner Ansicht die Errichtung eines besondern irischen Parlaments in Dublin eine unter diese Voraussetzung fallende Konzession sei? Er deutete dies nicht einmal an, und er muß wissen, daß, wenn diese Voraussetzung nicht allgemein als eine solch vollständiges Eingehen auf Parnells Forderungen ausschließende Schranke aufgefaßt wordeu wäre, seine Partei zerfallen sein würde, ehe noch bei den letzten Wahlen der erste Wahl¬ zettel in die Urne gesteckt worden wäre. Natürlich behauptet er selbst, jetzt noch die von ihm damals gezogne Grenze beobachtet zu haben. Darauf baut sich die ganze Sophistik auf, mit welcher das Manifest seine Wähler und zu gleicher Zeit die gesamte Wählerschaft Schottlands und Englands irrezuführen sucht. Seht doch nur einmal, sagt er zu ihnen, wie maßvoll, wie verständig, wie billig das Verlangen des irischen Volkes ist, dieses einzige Verlangen, dem das eng¬ lische Parlament seine Zustimmung erteilen wird, wenn es für die zweite Lesung meines Gesetzentwurfes stimmt. Was kann, fragt er, gerechter und unschädlicher sein als den Jrländern gesetzgeberischen Einfluß auf irische Angelegenheiten als von denen des Reiches verschiedne Gegenstände zu gestatten? Darauf ist zu erwiedern: Gewiß läßt sich nichts Gerechteres und Unschädlicheres denken, und wenn Gladstone seine Zugeständnisse dem Parlamente in Gestalt eines wohl¬ überlegten und sorgfältig eingeschränkten Entwurfs zu lokaler Selbstregierung in Irland vorlegen wollte, statt daß er ihm jetzt zumutet, einer durchaus ge¬ fährlichen Ordnung der Dinge beizustimmen, so würden sicher nur wenige Ab¬ geordnete seinen Plan abzulehnen geneigt sein. Sein jetziger Plan findet selbst bei einem großen Teile seiner eignen Partei Widerstand, weil der gesetzgebende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/299>, abgerufen am 04.07.2024.