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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Das neue Manifest Gladstones.

Sünde nationale Selbstliebe und Erkenntnis des Wesens und der Bedürfnisse
des Staates haben sich, seit die Nation in einem Staate zusammengefaßt ist,
über weitere Kreise verbreitet, und Schwärmer für das Recht der Polen, sich
von uns loszureißen, sind selten geworden und berauschen nur noch wenige mit
ihrer kindischen Begeisterung, Umgekehrt ist es in England, Während wir
hier in dem frühern Geschlechte im großen und gauzeu ein Volk mit echt po¬
litischem Instinkte, nüchternsten Verstände, kräftigster Selbstsucht, die sich oft
hart und rücksichtslos geltend machte, vor uus erblickten, gewahren wir jetzt,
hauptsächlich durch Gladstone und seinesgleichen hervorgerufen und gefördert,
vielfältig dort eine Denkweise, die bei den Zielen, die sie sich setzt, vor allen
Dingen liberal sein will und darüber das eigne Interesse, das des Staates, des
Reiches vergißt. Damit verbindet sich Gefühlsseligkeit, ein theologisirendes
Wesen und eine bornirt tugendsame Träumerei für Humanität und Verbrüderung
aller Menschen, die alle politischen Organisationen zu erweichen und zu zersetzen
droht. An diese Denkweise richtet Gladstone sein Manifest, und wir fürchten,
daß es in ihr ein Echo finden wird, das auch auf die Entschlüsse des Unter¬
hauses wirkt, dessen Mitglieder doch alle -- ganz wie bei uns -- in erster
Reihe den Wunsch hegen, nach einer Auflösung wiedergewählt zu werden.

Fast nirgends stoßen wir in dem Manifest auf Erwägungen, die man
staatsmännisch nennen dürfte. Es sind vorwiegend Schlagwörter eines liberalen
Parteihauptcs und eines kosmopolitischen Demagogen, aus denen es sich zusammen¬
setzt. "Die Augen der Menschheit -- so ruft Gladstone dem britischen Volte
zu -- sind auf euch gerichtet, die irischen Vorlagen tönen durch die Welt wie
selten ein parlamentarischer Gesetzentwurf, und aus Amerika mit seinen hundert
Millionen Briten und Iren, aus Hauptstädten wie Washington, Boston und
Quebek dringen ermutigende Zurufe von Leuten zu uns herüber, die mit warmem
Beifall unsre Bemühungen beobachten, ein- für allemal die trüben Beziehungen
zu Irland zu ordnen, welche uns die einzige Stelle vor die Augen rücken, wo
der politische Genius unsers Volkes es nicht vermocht hat, Schwierigkeiten zu
überwinden und in vernünftigem Maße die Hauptziele eines politischen Daseins
zu erreiche". . . . Lasset uns diese irische Frage als eine Angelegenheit zwischen
Brüdern behandeln, als eine Frage der Vernunft und Gerechtigkeit. Meine
Gegner kommen mit der leider nur zu oft gehörten Rede, deren Einleitung eine
Weigerung voll Haß und Rache und deren Schluß bedingungslose und bart¬
lose Übergabe ist. Die seit Jahrhunderten traurige Geschichte Irlands giebt
einigen von uns den Mut, die Iren so zu behandeln, als ob sie an der großen
Erbschaft des Menschciirechts nur beschränkten und an dem gewöhnlichen Schutze
gegen grobe Beleidigungen gar keinen Anteil hätten -- ich sage, einigen unter
uns, aber auch uur einigen, nicht, wie ich mit Jubel im Herzen denke, dem
Volke Schottlands und Englands." Das ist entschieden die Sprache des Dema¬
gogen, dem ein Plebiszit vorschwebt. Überzeugt augenscheinlich, daß er das


Das neue Manifest Gladstones.

Sünde nationale Selbstliebe und Erkenntnis des Wesens und der Bedürfnisse
des Staates haben sich, seit die Nation in einem Staate zusammengefaßt ist,
über weitere Kreise verbreitet, und Schwärmer für das Recht der Polen, sich
von uns loszureißen, sind selten geworden und berauschen nur noch wenige mit
ihrer kindischen Begeisterung, Umgekehrt ist es in England, Während wir
hier in dem frühern Geschlechte im großen und gauzeu ein Volk mit echt po¬
litischem Instinkte, nüchternsten Verstände, kräftigster Selbstsucht, die sich oft
hart und rücksichtslos geltend machte, vor uus erblickten, gewahren wir jetzt,
hauptsächlich durch Gladstone und seinesgleichen hervorgerufen und gefördert,
vielfältig dort eine Denkweise, die bei den Zielen, die sie sich setzt, vor allen
Dingen liberal sein will und darüber das eigne Interesse, das des Staates, des
Reiches vergißt. Damit verbindet sich Gefühlsseligkeit, ein theologisirendes
Wesen und eine bornirt tugendsame Träumerei für Humanität und Verbrüderung
aller Menschen, die alle politischen Organisationen zu erweichen und zu zersetzen
droht. An diese Denkweise richtet Gladstone sein Manifest, und wir fürchten,
daß es in ihr ein Echo finden wird, das auch auf die Entschlüsse des Unter¬
hauses wirkt, dessen Mitglieder doch alle — ganz wie bei uns — in erster
Reihe den Wunsch hegen, nach einer Auflösung wiedergewählt zu werden.

Fast nirgends stoßen wir in dem Manifest auf Erwägungen, die man
staatsmännisch nennen dürfte. Es sind vorwiegend Schlagwörter eines liberalen
Parteihauptcs und eines kosmopolitischen Demagogen, aus denen es sich zusammen¬
setzt. „Die Augen der Menschheit — so ruft Gladstone dem britischen Volte
zu — sind auf euch gerichtet, die irischen Vorlagen tönen durch die Welt wie
selten ein parlamentarischer Gesetzentwurf, und aus Amerika mit seinen hundert
Millionen Briten und Iren, aus Hauptstädten wie Washington, Boston und
Quebek dringen ermutigende Zurufe von Leuten zu uns herüber, die mit warmem
Beifall unsre Bemühungen beobachten, ein- für allemal die trüben Beziehungen
zu Irland zu ordnen, welche uns die einzige Stelle vor die Augen rücken, wo
der politische Genius unsers Volkes es nicht vermocht hat, Schwierigkeiten zu
überwinden und in vernünftigem Maße die Hauptziele eines politischen Daseins
zu erreiche». . . . Lasset uns diese irische Frage als eine Angelegenheit zwischen
Brüdern behandeln, als eine Frage der Vernunft und Gerechtigkeit. Meine
Gegner kommen mit der leider nur zu oft gehörten Rede, deren Einleitung eine
Weigerung voll Haß und Rache und deren Schluß bedingungslose und bart¬
lose Übergabe ist. Die seit Jahrhunderten traurige Geschichte Irlands giebt
einigen von uns den Mut, die Iren so zu behandeln, als ob sie an der großen
Erbschaft des Menschciirechts nur beschränkten und an dem gewöhnlichen Schutze
gegen grobe Beleidigungen gar keinen Anteil hätten — ich sage, einigen unter
uns, aber auch uur einigen, nicht, wie ich mit Jubel im Herzen denke, dem
Volke Schottlands und Englands." Das ist entschieden die Sprache des Dema¬
gogen, dem ein Plebiszit vorschwebt. Überzeugt augenscheinlich, daß er das


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[0298] Das neue Manifest Gladstones. Sünde nationale Selbstliebe und Erkenntnis des Wesens und der Bedürfnisse des Staates haben sich, seit die Nation in einem Staate zusammengefaßt ist, über weitere Kreise verbreitet, und Schwärmer für das Recht der Polen, sich von uns loszureißen, sind selten geworden und berauschen nur noch wenige mit ihrer kindischen Begeisterung, Umgekehrt ist es in England, Während wir hier in dem frühern Geschlechte im großen und gauzeu ein Volk mit echt po¬ litischem Instinkte, nüchternsten Verstände, kräftigster Selbstsucht, die sich oft hart und rücksichtslos geltend machte, vor uus erblickten, gewahren wir jetzt, hauptsächlich durch Gladstone und seinesgleichen hervorgerufen und gefördert, vielfältig dort eine Denkweise, die bei den Zielen, die sie sich setzt, vor allen Dingen liberal sein will und darüber das eigne Interesse, das des Staates, des Reiches vergißt. Damit verbindet sich Gefühlsseligkeit, ein theologisirendes Wesen und eine bornirt tugendsame Träumerei für Humanität und Verbrüderung aller Menschen, die alle politischen Organisationen zu erweichen und zu zersetzen droht. An diese Denkweise richtet Gladstone sein Manifest, und wir fürchten, daß es in ihr ein Echo finden wird, das auch auf die Entschlüsse des Unter¬ hauses wirkt, dessen Mitglieder doch alle — ganz wie bei uns — in erster Reihe den Wunsch hegen, nach einer Auflösung wiedergewählt zu werden. Fast nirgends stoßen wir in dem Manifest auf Erwägungen, die man staatsmännisch nennen dürfte. Es sind vorwiegend Schlagwörter eines liberalen Parteihauptcs und eines kosmopolitischen Demagogen, aus denen es sich zusammen¬ setzt. „Die Augen der Menschheit — so ruft Gladstone dem britischen Volte zu — sind auf euch gerichtet, die irischen Vorlagen tönen durch die Welt wie selten ein parlamentarischer Gesetzentwurf, und aus Amerika mit seinen hundert Millionen Briten und Iren, aus Hauptstädten wie Washington, Boston und Quebek dringen ermutigende Zurufe von Leuten zu uns herüber, die mit warmem Beifall unsre Bemühungen beobachten, ein- für allemal die trüben Beziehungen zu Irland zu ordnen, welche uns die einzige Stelle vor die Augen rücken, wo der politische Genius unsers Volkes es nicht vermocht hat, Schwierigkeiten zu überwinden und in vernünftigem Maße die Hauptziele eines politischen Daseins zu erreiche». . . . Lasset uns diese irische Frage als eine Angelegenheit zwischen Brüdern behandeln, als eine Frage der Vernunft und Gerechtigkeit. Meine Gegner kommen mit der leider nur zu oft gehörten Rede, deren Einleitung eine Weigerung voll Haß und Rache und deren Schluß bedingungslose und bart¬ lose Übergabe ist. Die seit Jahrhunderten traurige Geschichte Irlands giebt einigen von uns den Mut, die Iren so zu behandeln, als ob sie an der großen Erbschaft des Menschciirechts nur beschränkten und an dem gewöhnlichen Schutze gegen grobe Beleidigungen gar keinen Anteil hätten — ich sage, einigen unter uns, aber auch uur einigen, nicht, wie ich mit Jubel im Herzen denke, dem Volke Schottlands und Englands." Das ist entschieden die Sprache des Dema¬ gogen, dem ein Plebiszit vorschwebt. Überzeugt augenscheinlich, daß er das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/298>, abgerufen am 28.12.2024.