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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ereignissen, die sich aus der vstrumclischen Revolution entwickelt hatten, eine
starke Strömung unter der Oberfläche zu bemerken, die sich gegen eine schleunige
Beilegung der Streitigkeiten richtete, welche jene Umwälzung hervorgerufen hatte.
Die Politiker, welche allein mit der Flut der öffentlichen Meinung zu schwimmen,
sich von deren Wellenkämmen tragen zu lassen schienen, sind sicherlich insgeheim
auch von auswärts gehalten, ermutigt und gelenkt worden. Hätten sie nicht
solchen Verlaß und Rückhalt gehabt, so wäre die Hartnäckigkeit, mit der sie
die Pforte zum Kriege herausforderten, rein unbegreiflich, wenn man sie nicht
mit dem gröbsten Größenwahne erklären wollte. So lange der bulgarische
Streit währte, erwarteten sie offenbar Ereignisse, welche die Türkei ablenken
und schwächen mußten. Ihre Aussichten verblaßten, als der Bukarester Friedens¬
vertrag abgeschlossen war und Serbien und Bulgarien abrüsteten. Aber die
Unterstützung, ans welche das Kabinet Delyannis sich verließ, wurde ihm noch
nicht entzogen, wenigstens ließ man die Griechen weiter darauf hoffen. Dies
zeigte sich, als König Milan, einer Laune, einer Berechnung oder einem Drucke
nachgebend, plötzlich Garaschcmin durch Ristitsch ersetzte -- ein sehr bezeichnendes
Ereignis, das ein Wiederaufleben des russischen Einflusses in Belgrad verhieß
und Aussicht auf größere Dinge zu passender Zeit eröffnete. Serbien machte
einen Augenblick Front gegen die Türkei, von deren Gebiet ihm ein Teil als
Belohnung vorschwebte, und natürlich auch gegen Oesterreich-Ungarn, dessen
Handelsstraße nach Salonik dadurch gefährdet werden konnte. Das war die
Zeit, wo der Kaiser Alexander unschlüssig war. wie er sich zu der Balkaufrage
stellen solle, und jetzt hatten die Griechen die beste Aussicht, bei einer Trübung
der Gewässer mit Erfolg zu fischen. Indes bewies sich der Wiener Einfluß in
Belgrad stärker als der Petersburger, und Ristitsch verschwand so schnell von
der Bildfläche, als er erschienen. Sobald Garaschanin wieder Minister geworden
und in Bulgarien die Stellung des Fürsten Alexander zu Ostrumelien durch
die Konferenz von Konstantinopel aus dem gröbsten geregelt war, hatte es mit
den Aussichten der Griechen sofort ein Ende, und es lag auf der Hand, daß
sie jetzt der Pforte Gesicht zu Gesicht allein gegenüberstanden und höchstens ein
Khevenhüllersches Halt zu hoffen hatten, wenn sie geschlagen waren, woran keine
Seele zweifeln konnte. Damit soll aber nicht behauptet werden, daß Rußland
und Frankreich -- jedes ans verschiednen Gründen -- ihnen nicht ein gewisses
Wohlwollen bewahrt hätten, nur war -- so haben wir uus die Entwicklung
der Dinge in den letzten Wochen vorzustellen -- Rußland zu der Überzeugung
gelangt, daß es für jetzt geraten sei, sich ruhig zu verhalten, und die Franzosen
folgten diesem Beispiele. Herr de Freheinet bewirkte nicht nur eine mildere
Fassung der Kollektivnote, sondern empfahl auch durch Herrn von Mvuy, den
französischen Gesandten um Hofe des Königs Georg, der Überreichung derselben
durch einen sofortigen Befehl zur Abrüstung der griechischen Armee zuvorzu¬
kommen. Delyanuis leistete dieser Empfehlung Folge oder versprach es wenigstens,
und so schien denn alles auf dem richtigen Wege zu sein.

Da kamen durch den Telegraphen uns rasch nacheinander zwei große Über¬
raschungen zu: die Mächte, deren Kriegsschiffe in der Bucht von Phalarun er¬
schienen waren, überreichten trotz des Befehls zur Abrüstung oder des Versprechens
eines solche" ihre Kollektivnote oder ihr Ultimatum, und jetzt erklärte der grie¬
chische Minister, nicht abrüsten zu können, weil ihm die Würde seiner Nation
oder seines Staates nicht gestatte, dem Zwange sich zu fügen. Tableau und
Erstaunen, großes Erstaunen. Jetzt aber haben wir die Erklärung des selt-


Grenzbowi 1l. 1886.

Ereignissen, die sich aus der vstrumclischen Revolution entwickelt hatten, eine
starke Strömung unter der Oberfläche zu bemerken, die sich gegen eine schleunige
Beilegung der Streitigkeiten richtete, welche jene Umwälzung hervorgerufen hatte.
Die Politiker, welche allein mit der Flut der öffentlichen Meinung zu schwimmen,
sich von deren Wellenkämmen tragen zu lassen schienen, sind sicherlich insgeheim
auch von auswärts gehalten, ermutigt und gelenkt worden. Hätten sie nicht
solchen Verlaß und Rückhalt gehabt, so wäre die Hartnäckigkeit, mit der sie
die Pforte zum Kriege herausforderten, rein unbegreiflich, wenn man sie nicht
mit dem gröbsten Größenwahne erklären wollte. So lange der bulgarische
Streit währte, erwarteten sie offenbar Ereignisse, welche die Türkei ablenken
und schwächen mußten. Ihre Aussichten verblaßten, als der Bukarester Friedens¬
vertrag abgeschlossen war und Serbien und Bulgarien abrüsteten. Aber die
Unterstützung, ans welche das Kabinet Delyannis sich verließ, wurde ihm noch
nicht entzogen, wenigstens ließ man die Griechen weiter darauf hoffen. Dies
zeigte sich, als König Milan, einer Laune, einer Berechnung oder einem Drucke
nachgebend, plötzlich Garaschcmin durch Ristitsch ersetzte — ein sehr bezeichnendes
Ereignis, das ein Wiederaufleben des russischen Einflusses in Belgrad verhieß
und Aussicht auf größere Dinge zu passender Zeit eröffnete. Serbien machte
einen Augenblick Front gegen die Türkei, von deren Gebiet ihm ein Teil als
Belohnung vorschwebte, und natürlich auch gegen Oesterreich-Ungarn, dessen
Handelsstraße nach Salonik dadurch gefährdet werden konnte. Das war die
Zeit, wo der Kaiser Alexander unschlüssig war. wie er sich zu der Balkaufrage
stellen solle, und jetzt hatten die Griechen die beste Aussicht, bei einer Trübung
der Gewässer mit Erfolg zu fischen. Indes bewies sich der Wiener Einfluß in
Belgrad stärker als der Petersburger, und Ristitsch verschwand so schnell von
der Bildfläche, als er erschienen. Sobald Garaschanin wieder Minister geworden
und in Bulgarien die Stellung des Fürsten Alexander zu Ostrumelien durch
die Konferenz von Konstantinopel aus dem gröbsten geregelt war, hatte es mit
den Aussichten der Griechen sofort ein Ende, und es lag auf der Hand, daß
sie jetzt der Pforte Gesicht zu Gesicht allein gegenüberstanden und höchstens ein
Khevenhüllersches Halt zu hoffen hatten, wenn sie geschlagen waren, woran keine
Seele zweifeln konnte. Damit soll aber nicht behauptet werden, daß Rußland
und Frankreich — jedes ans verschiednen Gründen — ihnen nicht ein gewisses
Wohlwollen bewahrt hätten, nur war — so haben wir uus die Entwicklung
der Dinge in den letzten Wochen vorzustellen — Rußland zu der Überzeugung
gelangt, daß es für jetzt geraten sei, sich ruhig zu verhalten, und die Franzosen
folgten diesem Beispiele. Herr de Freheinet bewirkte nicht nur eine mildere
Fassung der Kollektivnote, sondern empfahl auch durch Herrn von Mvuy, den
französischen Gesandten um Hofe des Königs Georg, der Überreichung derselben
durch einen sofortigen Befehl zur Abrüstung der griechischen Armee zuvorzu¬
kommen. Delyanuis leistete dieser Empfehlung Folge oder versprach es wenigstens,
und so schien denn alles auf dem richtigen Wege zu sein.

Da kamen durch den Telegraphen uns rasch nacheinander zwei große Über¬
raschungen zu: die Mächte, deren Kriegsschiffe in der Bucht von Phalarun er¬
schienen waren, überreichten trotz des Befehls zur Abrüstung oder des Versprechens
eines solche» ihre Kollektivnote oder ihr Ultimatum, und jetzt erklärte der grie¬
chische Minister, nicht abrüsten zu können, weil ihm die Würde seiner Nation
oder seines Staates nicht gestatte, dem Zwange sich zu fügen. Tableau und
Erstaunen, großes Erstaunen. Jetzt aber haben wir die Erklärung des selt-


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[0289] Ereignissen, die sich aus der vstrumclischen Revolution entwickelt hatten, eine starke Strömung unter der Oberfläche zu bemerken, die sich gegen eine schleunige Beilegung der Streitigkeiten richtete, welche jene Umwälzung hervorgerufen hatte. Die Politiker, welche allein mit der Flut der öffentlichen Meinung zu schwimmen, sich von deren Wellenkämmen tragen zu lassen schienen, sind sicherlich insgeheim auch von auswärts gehalten, ermutigt und gelenkt worden. Hätten sie nicht solchen Verlaß und Rückhalt gehabt, so wäre die Hartnäckigkeit, mit der sie die Pforte zum Kriege herausforderten, rein unbegreiflich, wenn man sie nicht mit dem gröbsten Größenwahne erklären wollte. So lange der bulgarische Streit währte, erwarteten sie offenbar Ereignisse, welche die Türkei ablenken und schwächen mußten. Ihre Aussichten verblaßten, als der Bukarester Friedens¬ vertrag abgeschlossen war und Serbien und Bulgarien abrüsteten. Aber die Unterstützung, ans welche das Kabinet Delyannis sich verließ, wurde ihm noch nicht entzogen, wenigstens ließ man die Griechen weiter darauf hoffen. Dies zeigte sich, als König Milan, einer Laune, einer Berechnung oder einem Drucke nachgebend, plötzlich Garaschcmin durch Ristitsch ersetzte — ein sehr bezeichnendes Ereignis, das ein Wiederaufleben des russischen Einflusses in Belgrad verhieß und Aussicht auf größere Dinge zu passender Zeit eröffnete. Serbien machte einen Augenblick Front gegen die Türkei, von deren Gebiet ihm ein Teil als Belohnung vorschwebte, und natürlich auch gegen Oesterreich-Ungarn, dessen Handelsstraße nach Salonik dadurch gefährdet werden konnte. Das war die Zeit, wo der Kaiser Alexander unschlüssig war. wie er sich zu der Balkaufrage stellen solle, und jetzt hatten die Griechen die beste Aussicht, bei einer Trübung der Gewässer mit Erfolg zu fischen. Indes bewies sich der Wiener Einfluß in Belgrad stärker als der Petersburger, und Ristitsch verschwand so schnell von der Bildfläche, als er erschienen. Sobald Garaschanin wieder Minister geworden und in Bulgarien die Stellung des Fürsten Alexander zu Ostrumelien durch die Konferenz von Konstantinopel aus dem gröbsten geregelt war, hatte es mit den Aussichten der Griechen sofort ein Ende, und es lag auf der Hand, daß sie jetzt der Pforte Gesicht zu Gesicht allein gegenüberstanden und höchstens ein Khevenhüllersches Halt zu hoffen hatten, wenn sie geschlagen waren, woran keine Seele zweifeln konnte. Damit soll aber nicht behauptet werden, daß Rußland und Frankreich — jedes ans verschiednen Gründen — ihnen nicht ein gewisses Wohlwollen bewahrt hätten, nur war — so haben wir uus die Entwicklung der Dinge in den letzten Wochen vorzustellen — Rußland zu der Überzeugung gelangt, daß es für jetzt geraten sei, sich ruhig zu verhalten, und die Franzosen folgten diesem Beispiele. Herr de Freheinet bewirkte nicht nur eine mildere Fassung der Kollektivnote, sondern empfahl auch durch Herrn von Mvuy, den französischen Gesandten um Hofe des Königs Georg, der Überreichung derselben durch einen sofortigen Befehl zur Abrüstung der griechischen Armee zuvorzu¬ kommen. Delyanuis leistete dieser Empfehlung Folge oder versprach es wenigstens, und so schien denn alles auf dem richtigen Wege zu sein. Da kamen durch den Telegraphen uns rasch nacheinander zwei große Über¬ raschungen zu: die Mächte, deren Kriegsschiffe in der Bucht von Phalarun er¬ schienen waren, überreichten trotz des Befehls zur Abrüstung oder des Versprechens eines solche» ihre Kollektivnote oder ihr Ultimatum, und jetzt erklärte der grie¬ chische Minister, nicht abrüsten zu können, weil ihm die Würde seiner Nation oder seines Staates nicht gestatte, dem Zwange sich zu fügen. Tableau und Erstaunen, großes Erstaunen. Jetzt aber haben wir die Erklärung des selt- Grenzbowi 1l. 1886.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/289>, abgerufen am 29.12.2024.