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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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aus Wien schrieb Schumann von Leipzig aus an Klara: "Über Mendelssohn
muß man doch seine Freude haben, wenn man ihn nur ansieht; er ist der ver¬
ehrungswürdigste Künstler, und auch er hat mich recht lieb,"")

Ungemein anziehend sind die Briefe, worin er seiner Schaffensfreude Aus¬
druck giebt. Und wie schlagend chnrakterisirt er seine Musik! Wie merkwürdig
übereinstimmend mit dem Urteil der Nachwelt! Ruhig und anspruchlos, die
Verdienste andrer freudig und neidlos anerkennend, hatte er doch die richtige
Schätzung auch seines eignen Wertes. Als Klara sich einst darüber betrübt,
daß er so wenig Anerkennung fände, redete er ihr freundlich zu: "Fürchte dich
nicht, meine liebe Klara, du sollst noch erleben, daß meine Sachen zu Ansehen
kommen, und daß sie noch viel von sich sprechen machen werden. Ich habe kein
Bangen, und es wird auch noch immer besser werden "in sich selbst."" Solch
zuversichtliche Worte finden sich nur in den Briefen an seine Braut, der er sein
innigstes Denken mit vollster Unbefangenheit aufdeckt. "Überhaupt sehe ich mit
Freuden (schreibt er im Februar 1838), wie sich meine Kompositionen hie und
da Bahn brechen -- ich schreibe jetzt bei weitem leichter, klarer und -- glaube
ich -- anmutiger. Überhaupt ist es mir seit etwa anderthalb Jahren, als wäre
ich im Besitze des Geheimnisses; das klingt sonderbar. Vieles liegt noch in
mir. Bleibst du mir treu, so kömmt alles an den Tag; wo nicht, bleibts be¬
graben." Im März: "Ich habe erfahren, daß die Phantasie nichts mehr be¬
flügelt als Spannung und Sehnsucht uach irgend Etwas, wie das wieder in
den letzten Tagen der Fall war, wo ich auf deinen Brief wartete und nun
ganze Bücher voll komponirte -- Wunderliches, Tolles, gar Feierliches -- da wirst
du Augen machen, wenn dn es einmal spielst; überhaupt möchte ich jetzt oft
zerspringen vor lauter Musik. Und daß ich es nicht vergesse, was ich noch
komponirte -- war es wie ein Nachklang von deinen Worten, wo du mir einmal
schriebst, "ich käme dir mich manchmal wie ein Kind vor" -- kurz, es war mir
ordentlich wie im Flügelkleide und hab' da an die dreißig kleine putzige Dinger
geschrieben, von denen ich etwa zwölf ausgelesen und Kinderszenen genannt habe.
Du wirst dich daran erfreuen, mußt dich aber freilich als Virtuosin vergesse".
Das siud denn Überschriften wie "Fürchten-machen," -- "Am Kamin," --
"Haschemann," -- "Bittendes Kind," -- "Ritter vom Steckenpferd," -- "Von
fremden Ländern," -- "Kuriose Geschichte" ?c. und was weiß ich. Nun, man
sieht alles, und dabei sind sie leicht zum Blasen." Einen Monat später, als
die Kreisleriana entstanden waren: "Meine Musik kömmt mir jetzt selbst so
wunderbar verschlungen vor bei aller Einfachheit, so sprachvoll ans dem Herzen,
und so wirkt sie auf alle, denen ich sie vorspiele, was ich jetzt gern und häufig
thue. Wann wirst du denn neben mir stehen, wenn ich am Klavier sitze -- ach,



") Unsers Wissens sind vonseiten Mendelssohns so gut wie keine Zeugnisse für diese
D. Und, Freundschaft" erhalten.

aus Wien schrieb Schumann von Leipzig aus an Klara: „Über Mendelssohn
muß man doch seine Freude haben, wenn man ihn nur ansieht; er ist der ver¬
ehrungswürdigste Künstler, und auch er hat mich recht lieb,"")

Ungemein anziehend sind die Briefe, worin er seiner Schaffensfreude Aus¬
druck giebt. Und wie schlagend chnrakterisirt er seine Musik! Wie merkwürdig
übereinstimmend mit dem Urteil der Nachwelt! Ruhig und anspruchlos, die
Verdienste andrer freudig und neidlos anerkennend, hatte er doch die richtige
Schätzung auch seines eignen Wertes. Als Klara sich einst darüber betrübt,
daß er so wenig Anerkennung fände, redete er ihr freundlich zu: „Fürchte dich
nicht, meine liebe Klara, du sollst noch erleben, daß meine Sachen zu Ansehen
kommen, und daß sie noch viel von sich sprechen machen werden. Ich habe kein
Bangen, und es wird auch noch immer besser werden »in sich selbst.«" Solch
zuversichtliche Worte finden sich nur in den Briefen an seine Braut, der er sein
innigstes Denken mit vollster Unbefangenheit aufdeckt. „Überhaupt sehe ich mit
Freuden (schreibt er im Februar 1838), wie sich meine Kompositionen hie und
da Bahn brechen — ich schreibe jetzt bei weitem leichter, klarer und — glaube
ich — anmutiger. Überhaupt ist es mir seit etwa anderthalb Jahren, als wäre
ich im Besitze des Geheimnisses; das klingt sonderbar. Vieles liegt noch in
mir. Bleibst du mir treu, so kömmt alles an den Tag; wo nicht, bleibts be¬
graben." Im März: „Ich habe erfahren, daß die Phantasie nichts mehr be¬
flügelt als Spannung und Sehnsucht uach irgend Etwas, wie das wieder in
den letzten Tagen der Fall war, wo ich auf deinen Brief wartete und nun
ganze Bücher voll komponirte — Wunderliches, Tolles, gar Feierliches — da wirst
du Augen machen, wenn dn es einmal spielst; überhaupt möchte ich jetzt oft
zerspringen vor lauter Musik. Und daß ich es nicht vergesse, was ich noch
komponirte — war es wie ein Nachklang von deinen Worten, wo du mir einmal
schriebst, »ich käme dir mich manchmal wie ein Kind vor« — kurz, es war mir
ordentlich wie im Flügelkleide und hab' da an die dreißig kleine putzige Dinger
geschrieben, von denen ich etwa zwölf ausgelesen und Kinderszenen genannt habe.
Du wirst dich daran erfreuen, mußt dich aber freilich als Virtuosin vergesse».
Das siud denn Überschriften wie „Fürchten-machen," — „Am Kamin," —
„Haschemann," — „Bittendes Kind," — „Ritter vom Steckenpferd," — „Von
fremden Ländern," — „Kuriose Geschichte" ?c. und was weiß ich. Nun, man
sieht alles, und dabei sind sie leicht zum Blasen." Einen Monat später, als
die Kreisleriana entstanden waren: „Meine Musik kömmt mir jetzt selbst so
wunderbar verschlungen vor bei aller Einfachheit, so sprachvoll ans dem Herzen,
und so wirkt sie auf alle, denen ich sie vorspiele, was ich jetzt gern und häufig
thue. Wann wirst du denn neben mir stehen, wenn ich am Klavier sitze — ach,



") Unsers Wissens sind vonseiten Mendelssohns so gut wie keine Zeugnisse für diese
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[0283] aus Wien schrieb Schumann von Leipzig aus an Klara: „Über Mendelssohn muß man doch seine Freude haben, wenn man ihn nur ansieht; er ist der ver¬ ehrungswürdigste Künstler, und auch er hat mich recht lieb,"") Ungemein anziehend sind die Briefe, worin er seiner Schaffensfreude Aus¬ druck giebt. Und wie schlagend chnrakterisirt er seine Musik! Wie merkwürdig übereinstimmend mit dem Urteil der Nachwelt! Ruhig und anspruchlos, die Verdienste andrer freudig und neidlos anerkennend, hatte er doch die richtige Schätzung auch seines eignen Wertes. Als Klara sich einst darüber betrübt, daß er so wenig Anerkennung fände, redete er ihr freundlich zu: „Fürchte dich nicht, meine liebe Klara, du sollst noch erleben, daß meine Sachen zu Ansehen kommen, und daß sie noch viel von sich sprechen machen werden. Ich habe kein Bangen, und es wird auch noch immer besser werden »in sich selbst.«" Solch zuversichtliche Worte finden sich nur in den Briefen an seine Braut, der er sein innigstes Denken mit vollster Unbefangenheit aufdeckt. „Überhaupt sehe ich mit Freuden (schreibt er im Februar 1838), wie sich meine Kompositionen hie und da Bahn brechen — ich schreibe jetzt bei weitem leichter, klarer und — glaube ich — anmutiger. Überhaupt ist es mir seit etwa anderthalb Jahren, als wäre ich im Besitze des Geheimnisses; das klingt sonderbar. Vieles liegt noch in mir. Bleibst du mir treu, so kömmt alles an den Tag; wo nicht, bleibts be¬ graben." Im März: „Ich habe erfahren, daß die Phantasie nichts mehr be¬ flügelt als Spannung und Sehnsucht uach irgend Etwas, wie das wieder in den letzten Tagen der Fall war, wo ich auf deinen Brief wartete und nun ganze Bücher voll komponirte — Wunderliches, Tolles, gar Feierliches — da wirst du Augen machen, wenn dn es einmal spielst; überhaupt möchte ich jetzt oft zerspringen vor lauter Musik. Und daß ich es nicht vergesse, was ich noch komponirte — war es wie ein Nachklang von deinen Worten, wo du mir einmal schriebst, »ich käme dir mich manchmal wie ein Kind vor« — kurz, es war mir ordentlich wie im Flügelkleide und hab' da an die dreißig kleine putzige Dinger geschrieben, von denen ich etwa zwölf ausgelesen und Kinderszenen genannt habe. Du wirst dich daran erfreuen, mußt dich aber freilich als Virtuosin vergesse». Das siud denn Überschriften wie „Fürchten-machen," — „Am Kamin," — „Haschemann," — „Bittendes Kind," — „Ritter vom Steckenpferd," — „Von fremden Ländern," — „Kuriose Geschichte" ?c. und was weiß ich. Nun, man sieht alles, und dabei sind sie leicht zum Blasen." Einen Monat später, als die Kreisleriana entstanden waren: „Meine Musik kömmt mir jetzt selbst so wunderbar verschlungen vor bei aller Einfachheit, so sprachvoll ans dem Herzen, und so wirkt sie auf alle, denen ich sie vorspiele, was ich jetzt gern und häufig thue. Wann wirst du denn neben mir stehen, wenn ich am Klavier sitze — ach, ") Unsers Wissens sind vonseiten Mendelssohns so gut wie keine Zeugnisse für diese D. Und, Freundschaft" erhalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/283>, abgerufen am 25.07.2024.