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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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28. August 1835 schlicht bezeichnend: "Es ist schön, daß ich Ihnen gerade an
Goethes Geburtstag schrieb." Dieser Hinweisung aus Goethes Geburtstag be¬
gegnet man in seineu spätern Briefen noch mehrfach. Er selbst scheint an eine
Einwirkung Goethes auch auf sein künstlerisches Schaffen geglaubt zu haben,
wie man aus seiner Äußerung schließen darf, daß "der Maler aus einer
Beethovenschen Symphonie ebenso gut lernen könne wie der Musiker von einem
Goethischen Kunstwerke.")

Schumann hatte ein ungewöhnliches Talent zum Briefschreiben. Da er
sehr rasch schrieb und sich ganz so gab, wie er war, so sind seine Briefe durch¬
aus treue Spiegelbilder seines Gemüts- und Gedankenlebens. Das gilt in
vollstem Maße von den Briefen an seine Mutter und an seine Braut, die in
der vorliegenden Sammlung weitaus deu größten Raum einnehmen. Es ist,
als wären die Briefe nicht geschrieben, sondern gesprochen, als kämen die Worte
unmittelbar von seinem Munde.

Ostern 1828 bezog der Achtzehnjährige die Universität Leipzig. Er
fühlte sich dort nicht sonderlich heimisch, was zum großen Teile seiner Abneigung
gegen das Studium der Rechtswissenschaft zuzuschreiben sein wird; die Kollegien
besuchte er, wie er offenherzig gesteht, "reget- und maschinenmäßig." Dagegen
schwelgte er in Musik; er nahm Klavierunterricht bei Wieck und sandte einige
selbstkomponirte Lieder an den Braunschweiger Kapellmeister Wiedebein, dessen
aufmunternde Worte ihn hoch beglückten. Ostern 1829 vertauschte er Leipzig
mit Heidelberg. Die Briefe von daher sind voll von Lebenslust und Frohsinn;
sogar das Ins schmeckt ihm bei Thibaut und Mittermayer "exzellent," was
freilich nicht lange anhielt. Schon nach einem halben Jahre schreibt er seiner
Mutter trauernd von seinem vernachlässigten Klavierspiel. " Und doch glaube
mir, hätt' ich jemals etwas auf der Welt geleistet, es wäre in der Musik ge¬
schehen; ich habe in mir einen mächtigen Trieb für die Musik gefühlt, auch
Wohl schaffenden Geist, ohne mich zu überschätzen. Aber -- Brotstudium! --
die Jurisprudenz verknorpelt und vereist mich noch so, daß keine Blume der
Phantasie sich mehr nach dem Frühlinge der Welt sehnen wird." Am 1. Juli
1830 folgt wieder eine leise Andeutung, daß ihn der Himmel "zu keinem Amt¬
manne geboren" habe, bis er dann vier Wochen später unumwunden gesteht,
er müsse die Jurisprudenz aufgeben und sich ganz der Musik widmen. Der
erschrocknen und ratlosem Mutter suchte er die Zweifel auch durch Hinweis auf den
(1826 gestorbnen) Vater zu benehmen; "denk' an den großen Geist unsers guten
Vaters, der mich srtth durchschaute und mich zur Kunst oder zur Musik be¬
stimmte." Da auch Wieck el" günstiges Urteil über seine Befähigung abgab
und vorschlug, daß er versuchsweise ein halbes Jahr bei ihm studiren solle, so
waren damit die Bedenken der Mutter einigermaßen zur Ruhe gesprochen.



Neue Zeitschrift fiir Musik, 1LL4,

28. August 1835 schlicht bezeichnend: „Es ist schön, daß ich Ihnen gerade an
Goethes Geburtstag schrieb." Dieser Hinweisung aus Goethes Geburtstag be¬
gegnet man in seineu spätern Briefen noch mehrfach. Er selbst scheint an eine
Einwirkung Goethes auch auf sein künstlerisches Schaffen geglaubt zu haben,
wie man aus seiner Äußerung schließen darf, daß „der Maler aus einer
Beethovenschen Symphonie ebenso gut lernen könne wie der Musiker von einem
Goethischen Kunstwerke.")

Schumann hatte ein ungewöhnliches Talent zum Briefschreiben. Da er
sehr rasch schrieb und sich ganz so gab, wie er war, so sind seine Briefe durch¬
aus treue Spiegelbilder seines Gemüts- und Gedankenlebens. Das gilt in
vollstem Maße von den Briefen an seine Mutter und an seine Braut, die in
der vorliegenden Sammlung weitaus deu größten Raum einnehmen. Es ist,
als wären die Briefe nicht geschrieben, sondern gesprochen, als kämen die Worte
unmittelbar von seinem Munde.

Ostern 1828 bezog der Achtzehnjährige die Universität Leipzig. Er
fühlte sich dort nicht sonderlich heimisch, was zum großen Teile seiner Abneigung
gegen das Studium der Rechtswissenschaft zuzuschreiben sein wird; die Kollegien
besuchte er, wie er offenherzig gesteht, „reget- und maschinenmäßig." Dagegen
schwelgte er in Musik; er nahm Klavierunterricht bei Wieck und sandte einige
selbstkomponirte Lieder an den Braunschweiger Kapellmeister Wiedebein, dessen
aufmunternde Worte ihn hoch beglückten. Ostern 1829 vertauschte er Leipzig
mit Heidelberg. Die Briefe von daher sind voll von Lebenslust und Frohsinn;
sogar das Ins schmeckt ihm bei Thibaut und Mittermayer „exzellent," was
freilich nicht lange anhielt. Schon nach einem halben Jahre schreibt er seiner
Mutter trauernd von seinem vernachlässigten Klavierspiel. „ Und doch glaube
mir, hätt' ich jemals etwas auf der Welt geleistet, es wäre in der Musik ge¬
schehen; ich habe in mir einen mächtigen Trieb für die Musik gefühlt, auch
Wohl schaffenden Geist, ohne mich zu überschätzen. Aber — Brotstudium! —
die Jurisprudenz verknorpelt und vereist mich noch so, daß keine Blume der
Phantasie sich mehr nach dem Frühlinge der Welt sehnen wird." Am 1. Juli
1830 folgt wieder eine leise Andeutung, daß ihn der Himmel „zu keinem Amt¬
manne geboren" habe, bis er dann vier Wochen später unumwunden gesteht,
er müsse die Jurisprudenz aufgeben und sich ganz der Musik widmen. Der
erschrocknen und ratlosem Mutter suchte er die Zweifel auch durch Hinweis auf den
(1826 gestorbnen) Vater zu benehmen; „denk' an den großen Geist unsers guten
Vaters, der mich srtth durchschaute und mich zur Kunst oder zur Musik be¬
stimmte." Da auch Wieck el» günstiges Urteil über seine Befähigung abgab
und vorschlug, daß er versuchsweise ein halbes Jahr bei ihm studiren solle, so
waren damit die Bedenken der Mutter einigermaßen zur Ruhe gesprochen.



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/275>, abgerufen am 04.07.2024.