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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Titel 1858 (zwei Jahre nach Schumanns Tode) veröffentlichte, 1869 und 1880
erweiterte Schrift Wasielewskis ist als eine Vorarbeit zu betrachten, die neben
vielem Dankenswerten doch auch manche schwache Partien aufweist. Unter
den Schumann-Verehrern^) ist man lange darüber einig, daß Wasielewskis
Schrift, was Gründlichkeit in der Aufsuchung, Durchforschung und Sichtung
des Materials, was Sorgfalt der Darstellung, was insbesondre eine tiefere
Erfassung von Schumanns Individualität und gerechte Würdigung seiner
künstlerischen Bedeutung betrifft, den an ein wissenschaftliches Werk heutzutage
zu stellenden Anforderungen nur in geringem Grade entspricht. Freilich war es
auch bis jetzt nicht möglich, ein allen Anforderungen genügendes Lebensbild
Schumanns hinzustellen, da der wichtigste Teil des Materials -- im Besitze
der Frau Klara Schumann -- dem Verfasser verschlossen blieb.

Unsre Kenntnis von Schumanns Jugend- und Schulzeit ist schon durch
einen im Sommer 1833 veröffentlichte!, Aufsatz von Max Kalbeck: "Aus
N. Schumanns Jugendzeit"^) wesentlich erweitert worden. Diese wertvolle, mit
Benutzung von Schumanns handschriftlichen Nachlaß verfaßte biographische
Studie stellt ganz neue Gesichtspunkte auf und wird dem zukünftigen Biographen
Schumanns als Grundlage für seine Jugendgeschichte zu dienen haben. Im
Gegensatz zu Wasielewskis Behauptung, daß Schumann einer "nichts weniger
als musikalischen Familie entsprossen," und daß speziell die Mutter "ohne alles
Interesse für Musik" gewesen sei, zeigt Kalbeck, daß Schumann sein musikalisches
Talent gerade von der Mutter geerbt hatte."^) "Die Mutter, obwohl sie keine
Note lesen konnte, war eine gruudmusitalische Natur; von ihren Freunden
scherzweise "das lebendige Arienalbum" genannt, sang sie mit dem Knaben alle
ihre Lieder durch und war von dem guten Gehör und treuen Gedächtnis des
Kleinen so überrascht, daß sie darauf bestand, Robert müsse so früh als möglich
Musikunterricht nehmen." Sie war nur dagegen, als Schumann sich später
ausschließlich der Musik widmen wollte. Wenn Wasielewski ferner die Mutter
als eine Frau bezeichnet, die "keine über das Maß des Gewöhnlichen hinaus¬
gehende Bildung" gezeigt habe, so gewinnt der Leser aus den jetzt veröffent¬
lichen Briefen des Sohnes an sie ein durchaus andres, und zwar ein entschieden
vorteilhafteres Bild von ihr.

Schumanns Briefe an seine Mutter atmen nicht allein eine rührende kindliche
Liebe, sie bezeugen auch die hohe Verehrung, die er vor ihren Geisteseigen¬
schaften hatte. "Deine Briefe sind so geistvoll, wie du selbst, und ein schöner
Krystallspiegel deiner Seele, der das kindliche Herz erleuchtet und erwärmt,"





*) Ein Mitarbeiter der "Neuen Zeitschrift für Musik" sprach es einmal aus (Jahrg. 1860,
I, 210), daß er Wasielewski "nicht zu den Verehrern Schumanns rechne."
Österreichische Rundschau, herausgegeben von A. Edliuger.
Von ihr hatte Schumann, wie mir sein Jugendfreund, der I)r. in<z<1. Herzog in
Zwickau, sagte, auch die Gesichtszüge.
Grenzboten II. 1886. 84

Titel 1858 (zwei Jahre nach Schumanns Tode) veröffentlichte, 1869 und 1880
erweiterte Schrift Wasielewskis ist als eine Vorarbeit zu betrachten, die neben
vielem Dankenswerten doch auch manche schwache Partien aufweist. Unter
den Schumann-Verehrern^) ist man lange darüber einig, daß Wasielewskis
Schrift, was Gründlichkeit in der Aufsuchung, Durchforschung und Sichtung
des Materials, was Sorgfalt der Darstellung, was insbesondre eine tiefere
Erfassung von Schumanns Individualität und gerechte Würdigung seiner
künstlerischen Bedeutung betrifft, den an ein wissenschaftliches Werk heutzutage
zu stellenden Anforderungen nur in geringem Grade entspricht. Freilich war es
auch bis jetzt nicht möglich, ein allen Anforderungen genügendes Lebensbild
Schumanns hinzustellen, da der wichtigste Teil des Materials — im Besitze
der Frau Klara Schumann — dem Verfasser verschlossen blieb.

Unsre Kenntnis von Schumanns Jugend- und Schulzeit ist schon durch
einen im Sommer 1833 veröffentlichte!, Aufsatz von Max Kalbeck: „Aus
N. Schumanns Jugendzeit"^) wesentlich erweitert worden. Diese wertvolle, mit
Benutzung von Schumanns handschriftlichen Nachlaß verfaßte biographische
Studie stellt ganz neue Gesichtspunkte auf und wird dem zukünftigen Biographen
Schumanns als Grundlage für seine Jugendgeschichte zu dienen haben. Im
Gegensatz zu Wasielewskis Behauptung, daß Schumann einer „nichts weniger
als musikalischen Familie entsprossen," und daß speziell die Mutter „ohne alles
Interesse für Musik" gewesen sei, zeigt Kalbeck, daß Schumann sein musikalisches
Talent gerade von der Mutter geerbt hatte."^) „Die Mutter, obwohl sie keine
Note lesen konnte, war eine gruudmusitalische Natur; von ihren Freunden
scherzweise »das lebendige Arienalbum« genannt, sang sie mit dem Knaben alle
ihre Lieder durch und war von dem guten Gehör und treuen Gedächtnis des
Kleinen so überrascht, daß sie darauf bestand, Robert müsse so früh als möglich
Musikunterricht nehmen." Sie war nur dagegen, als Schumann sich später
ausschließlich der Musik widmen wollte. Wenn Wasielewski ferner die Mutter
als eine Frau bezeichnet, die „keine über das Maß des Gewöhnlichen hinaus¬
gehende Bildung" gezeigt habe, so gewinnt der Leser aus den jetzt veröffent¬
lichen Briefen des Sohnes an sie ein durchaus andres, und zwar ein entschieden
vorteilhafteres Bild von ihr.

Schumanns Briefe an seine Mutter atmen nicht allein eine rührende kindliche
Liebe, sie bezeugen auch die hohe Verehrung, die er vor ihren Geisteseigen¬
schaften hatte. „Deine Briefe sind so geistvoll, wie du selbst, und ein schöner
Krystallspiegel deiner Seele, der das kindliche Herz erleuchtet und erwärmt,"





*) Ein Mitarbeiter der „Neuen Zeitschrift für Musik" sprach es einmal aus (Jahrg. 1860,
I, 210), daß er Wasielewski „nicht zu den Verehrern Schumanns rechne."
Österreichische Rundschau, herausgegeben von A. Edliuger.
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[0273] Titel 1858 (zwei Jahre nach Schumanns Tode) veröffentlichte, 1869 und 1880 erweiterte Schrift Wasielewskis ist als eine Vorarbeit zu betrachten, die neben vielem Dankenswerten doch auch manche schwache Partien aufweist. Unter den Schumann-Verehrern^) ist man lange darüber einig, daß Wasielewskis Schrift, was Gründlichkeit in der Aufsuchung, Durchforschung und Sichtung des Materials, was Sorgfalt der Darstellung, was insbesondre eine tiefere Erfassung von Schumanns Individualität und gerechte Würdigung seiner künstlerischen Bedeutung betrifft, den an ein wissenschaftliches Werk heutzutage zu stellenden Anforderungen nur in geringem Grade entspricht. Freilich war es auch bis jetzt nicht möglich, ein allen Anforderungen genügendes Lebensbild Schumanns hinzustellen, da der wichtigste Teil des Materials — im Besitze der Frau Klara Schumann — dem Verfasser verschlossen blieb. Unsre Kenntnis von Schumanns Jugend- und Schulzeit ist schon durch einen im Sommer 1833 veröffentlichte!, Aufsatz von Max Kalbeck: „Aus N. Schumanns Jugendzeit"^) wesentlich erweitert worden. Diese wertvolle, mit Benutzung von Schumanns handschriftlichen Nachlaß verfaßte biographische Studie stellt ganz neue Gesichtspunkte auf und wird dem zukünftigen Biographen Schumanns als Grundlage für seine Jugendgeschichte zu dienen haben. Im Gegensatz zu Wasielewskis Behauptung, daß Schumann einer „nichts weniger als musikalischen Familie entsprossen," und daß speziell die Mutter „ohne alles Interesse für Musik" gewesen sei, zeigt Kalbeck, daß Schumann sein musikalisches Talent gerade von der Mutter geerbt hatte."^) „Die Mutter, obwohl sie keine Note lesen konnte, war eine gruudmusitalische Natur; von ihren Freunden scherzweise »das lebendige Arienalbum« genannt, sang sie mit dem Knaben alle ihre Lieder durch und war von dem guten Gehör und treuen Gedächtnis des Kleinen so überrascht, daß sie darauf bestand, Robert müsse so früh als möglich Musikunterricht nehmen." Sie war nur dagegen, als Schumann sich später ausschließlich der Musik widmen wollte. Wenn Wasielewski ferner die Mutter als eine Frau bezeichnet, die „keine über das Maß des Gewöhnlichen hinaus¬ gehende Bildung" gezeigt habe, so gewinnt der Leser aus den jetzt veröffent¬ lichen Briefen des Sohnes an sie ein durchaus andres, und zwar ein entschieden vorteilhafteres Bild von ihr. Schumanns Briefe an seine Mutter atmen nicht allein eine rührende kindliche Liebe, sie bezeugen auch die hohe Verehrung, die er vor ihren Geisteseigen¬ schaften hatte. „Deine Briefe sind so geistvoll, wie du selbst, und ein schöner Krystallspiegel deiner Seele, der das kindliche Herz erleuchtet und erwärmt," *) Ein Mitarbeiter der „Neuen Zeitschrift für Musik" sprach es einmal aus (Jahrg. 1860, I, 210), daß er Wasielewski „nicht zu den Verehrern Schumanns rechne." Österreichische Rundschau, herausgegeben von A. Edliuger. Von ihr hatte Schumann, wie mir sein Jugendfreund, der I)r. in<z<1. Herzog in Zwickau, sagte, auch die Gesichtszüge. Grenzboten II. 1886. 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/273>, abgerufen am 28.12.2024.