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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Du? deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

Untersuchungen anzusehen, sondern strebte, die neuerschlossenen Länder auch der
Zivilisation und der Nutzbarmachung näher zu bringe".

Die Thatsachen, durch welche einzelne Gebiete in West- und Ostafrika und
in der Südsee unter deutschen Schutz gestellt worden sind, stehen noch frisch in
aller Gedächtnis und bedürfen hier einer Darstellung nicht mehr. Der Grund-
zug der deutschen Kolonialpolitik ist ein friedlicher, kein erobernder. Dem deutschen
Unternehmuugs- und Handelsgeistc liegt es ob, den ersten Schritt zu thun; erst
da, wo sich Angehörige des Reiches niedergelassen haben, folgt ihnen der Schutz
desselben. Da der Neichsregierung keine Mittel zur Verfügung stehen und die
Neichstagsmehrhcit nach fortschrittlicher Anschauung und Redeweise für die
"Kinderkrankheit der jungen Großmacht" nnr so viel bewilligt, als notwendig
ist, um nicht ganz der Sympathie der Wähler verlustig zu gehen, so mußte das
Reich als Regel aus eine eigne Kolonialverwaltung verzichten. Nur in West¬
afrika, nämlich in Kamerun, Togo und den Hvttentottengebieten in der Nähe der
Walsischbai, wollten die deutschen Interessenten die Verwaltung nicht selbst führen,
sie mußte von der Neichsregierung selbst übernommen werden. Ein Gouverneur
in Kamerun, ein Kommissar in Togo und ein solcher in Angra-Pequena sind
mit wenigen Beamten die Autorität des Reiches. Soweit es in der kurzen
Zeit möglich war, haben sie begonnen, die deutsche Herrschaft zu befestigen. Der
überwiegend größere Teil der Schutzgebiete befindet sich in der unmittelbaren Ge¬
walt von drei großen Privatgesellschaften.

Die deutsche Kolouialgesellschaft für Südwestafrika hat die von dem Kauf-
mann Lüderitz aus Bremen erworbnen und im Jahre 1884 von Dr. Nachtigal
unter deutschen Schutz gestellten Besitzungen in Südwestafrika (Angra-Pequena)
angekauft. Da ein allgemeines bürgerliches Gesetz für das Reich nicht besteht,
so mußte diese Gesellschaft ihre rechtliche Form dem preußischen Landrecht ent¬
nehmen, auf Grund dessen sie dnrch königliche Verordnung vom 13. April 1885
die Rechte eiuer juristische,! Korporation erlangte. Die eigentliche Herrschaft
auf dem Uuteruehmungsgebiet dieser Gesellschaft ist im Besitz der eingebornen
Kapitäne und Häuptlinge verblieben. Diese haben mit dein deutschen Reiche
Schutz- und Freundschaftsvcrträge geschlossen, durch welche sie die Oberhoheit
desselben anerkennt, sich auch bezüglich verschiedner Seiten der Souveränität
ihrer Macht zu Gunsten des Reiches entkleidet haben, im wesentliche" aber
ähnlich wie im Mittelalter die Territorialfürstcn gleichsam als Vasallen des
Reiches über ihre eignen Unterthanen nach Maßgabe ihrer Sitten und Gebräuche
zu herrschen fortfahren. Im einzelnen sind die Gebiete dieser einheimischen
Stämme noch nicht streng von einander abgegrenzt; es wird erst der deutschen
Regierung vorbehalten bleiben, den unter ihnen üblichen Fehden ein Ende zu
macheu und sie zu festern Wohnsitzen zu veranlassen. Den kaiserlichen Bevoll¬
mächtigten, insbesondre dem mutvollen Missionar Pastor Büttner und dem
Kommissar des Reiches Dr. Göhriug, ist in dieser Hinsicht schon ein gutes Stück


Grenzboten II. I3L". 33
Du? deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

Untersuchungen anzusehen, sondern strebte, die neuerschlossenen Länder auch der
Zivilisation und der Nutzbarmachung näher zu bringe».

Die Thatsachen, durch welche einzelne Gebiete in West- und Ostafrika und
in der Südsee unter deutschen Schutz gestellt worden sind, stehen noch frisch in
aller Gedächtnis und bedürfen hier einer Darstellung nicht mehr. Der Grund-
zug der deutschen Kolonialpolitik ist ein friedlicher, kein erobernder. Dem deutschen
Unternehmuugs- und Handelsgeistc liegt es ob, den ersten Schritt zu thun; erst
da, wo sich Angehörige des Reiches niedergelassen haben, folgt ihnen der Schutz
desselben. Da der Neichsregierung keine Mittel zur Verfügung stehen und die
Neichstagsmehrhcit nach fortschrittlicher Anschauung und Redeweise für die
„Kinderkrankheit der jungen Großmacht" nnr so viel bewilligt, als notwendig
ist, um nicht ganz der Sympathie der Wähler verlustig zu gehen, so mußte das
Reich als Regel aus eine eigne Kolonialverwaltung verzichten. Nur in West¬
afrika, nämlich in Kamerun, Togo und den Hvttentottengebieten in der Nähe der
Walsischbai, wollten die deutschen Interessenten die Verwaltung nicht selbst führen,
sie mußte von der Neichsregierung selbst übernommen werden. Ein Gouverneur
in Kamerun, ein Kommissar in Togo und ein solcher in Angra-Pequena sind
mit wenigen Beamten die Autorität des Reiches. Soweit es in der kurzen
Zeit möglich war, haben sie begonnen, die deutsche Herrschaft zu befestigen. Der
überwiegend größere Teil der Schutzgebiete befindet sich in der unmittelbaren Ge¬
walt von drei großen Privatgesellschaften.

Die deutsche Kolouialgesellschaft für Südwestafrika hat die von dem Kauf-
mann Lüderitz aus Bremen erworbnen und im Jahre 1884 von Dr. Nachtigal
unter deutschen Schutz gestellten Besitzungen in Südwestafrika (Angra-Pequena)
angekauft. Da ein allgemeines bürgerliches Gesetz für das Reich nicht besteht,
so mußte diese Gesellschaft ihre rechtliche Form dem preußischen Landrecht ent¬
nehmen, auf Grund dessen sie dnrch königliche Verordnung vom 13. April 1885
die Rechte eiuer juristische,! Korporation erlangte. Die eigentliche Herrschaft
auf dem Uuteruehmungsgebiet dieser Gesellschaft ist im Besitz der eingebornen
Kapitäne und Häuptlinge verblieben. Diese haben mit dein deutschen Reiche
Schutz- und Freundschaftsvcrträge geschlossen, durch welche sie die Oberhoheit
desselben anerkennt, sich auch bezüglich verschiedner Seiten der Souveränität
ihrer Macht zu Gunsten des Reiches entkleidet haben, im wesentliche» aber
ähnlich wie im Mittelalter die Territorialfürstcn gleichsam als Vasallen des
Reiches über ihre eignen Unterthanen nach Maßgabe ihrer Sitten und Gebräuche
zu herrschen fortfahren. Im einzelnen sind die Gebiete dieser einheimischen
Stämme noch nicht streng von einander abgegrenzt; es wird erst der deutschen
Regierung vorbehalten bleiben, den unter ihnen üblichen Fehden ein Ende zu
macheu und sie zu festern Wohnsitzen zu veranlassen. Den kaiserlichen Bevoll¬
mächtigten, insbesondre dem mutvollen Missionar Pastor Büttner und dem
Kommissar des Reiches Dr. Göhriug, ist in dieser Hinsicht schon ein gutes Stück


Grenzboten II. I3L». 33
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[0265] Du? deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse. Untersuchungen anzusehen, sondern strebte, die neuerschlossenen Länder auch der Zivilisation und der Nutzbarmachung näher zu bringe». Die Thatsachen, durch welche einzelne Gebiete in West- und Ostafrika und in der Südsee unter deutschen Schutz gestellt worden sind, stehen noch frisch in aller Gedächtnis und bedürfen hier einer Darstellung nicht mehr. Der Grund- zug der deutschen Kolonialpolitik ist ein friedlicher, kein erobernder. Dem deutschen Unternehmuugs- und Handelsgeistc liegt es ob, den ersten Schritt zu thun; erst da, wo sich Angehörige des Reiches niedergelassen haben, folgt ihnen der Schutz desselben. Da der Neichsregierung keine Mittel zur Verfügung stehen und die Neichstagsmehrhcit nach fortschrittlicher Anschauung und Redeweise für die „Kinderkrankheit der jungen Großmacht" nnr so viel bewilligt, als notwendig ist, um nicht ganz der Sympathie der Wähler verlustig zu gehen, so mußte das Reich als Regel aus eine eigne Kolonialverwaltung verzichten. Nur in West¬ afrika, nämlich in Kamerun, Togo und den Hvttentottengebieten in der Nähe der Walsischbai, wollten die deutschen Interessenten die Verwaltung nicht selbst führen, sie mußte von der Neichsregierung selbst übernommen werden. Ein Gouverneur in Kamerun, ein Kommissar in Togo und ein solcher in Angra-Pequena sind mit wenigen Beamten die Autorität des Reiches. Soweit es in der kurzen Zeit möglich war, haben sie begonnen, die deutsche Herrschaft zu befestigen. Der überwiegend größere Teil der Schutzgebiete befindet sich in der unmittelbaren Ge¬ walt von drei großen Privatgesellschaften. Die deutsche Kolouialgesellschaft für Südwestafrika hat die von dem Kauf- mann Lüderitz aus Bremen erworbnen und im Jahre 1884 von Dr. Nachtigal unter deutschen Schutz gestellten Besitzungen in Südwestafrika (Angra-Pequena) angekauft. Da ein allgemeines bürgerliches Gesetz für das Reich nicht besteht, so mußte diese Gesellschaft ihre rechtliche Form dem preußischen Landrecht ent¬ nehmen, auf Grund dessen sie dnrch königliche Verordnung vom 13. April 1885 die Rechte eiuer juristische,! Korporation erlangte. Die eigentliche Herrschaft auf dem Uuteruehmungsgebiet dieser Gesellschaft ist im Besitz der eingebornen Kapitäne und Häuptlinge verblieben. Diese haben mit dein deutschen Reiche Schutz- und Freundschaftsvcrträge geschlossen, durch welche sie die Oberhoheit desselben anerkennt, sich auch bezüglich verschiedner Seiten der Souveränität ihrer Macht zu Gunsten des Reiches entkleidet haben, im wesentliche» aber ähnlich wie im Mittelalter die Territorialfürstcn gleichsam als Vasallen des Reiches über ihre eignen Unterthanen nach Maßgabe ihrer Sitten und Gebräuche zu herrschen fortfahren. Im einzelnen sind die Gebiete dieser einheimischen Stämme noch nicht streng von einander abgegrenzt; es wird erst der deutschen Regierung vorbehalten bleiben, den unter ihnen üblichen Fehden ein Ende zu macheu und sie zu festern Wohnsitzen zu veranlassen. Den kaiserlichen Bevoll¬ mächtigten, insbesondre dem mutvollen Missionar Pastor Büttner und dem Kommissar des Reiches Dr. Göhriug, ist in dieser Hinsicht schon ein gutes Stück Grenzboten II. I3L». 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/265>, abgerufen am 24.07.2024.