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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

der Küste von Westafrika aufhißte. Denselben Zusammenhang sehen wir in der
Südsee, welche durch deutsche Reisende eigentlich erst der Zivilisation erschlossen
und für die Menschheit zum zweitenmale entdeckt werden mußte.

An allen diesen Punkten hat es an deutsche" Ansiedlungen nicht gefehlt.
Kühne hanseatische Kaufleute hatten an den afrikanischen Küsten wie auf den
Inseln der Südsee Faktoreien und Plantagen errichtet und in den Traditionen
der alten Hanse auf eigue Faust Hoheitsrechte und Länder von den wilden
Volksstämmen erworben. Der deutsche Unternehmungsgeist, neu gehoben durch
die Machtstellung des Vaterlandes, fing an, die Aufmerksamkeit der andern see¬
fahrenden Nationen auf sich zu ziehen, insbesondre seit die Kongobewegung die
Entstehung eines neuen überseeischen Staates in naher Aussicht zeigte. Es
war zu befürchten, daß Engländer und Franzosen den deutschen Kaufleuten das
Feld ihrer Thätigkeit dnrch Einverleibung dieser nur von Wilden bewohnten
Länder entreißen würden, und es war nur zu natürlich, daß die hanseatischen
Kaufherren ihre Blicke auf das mächtig gewordne Reich richteten, um von dem¬
selben für ihre überseeischen Unternehmungen Schutz und Unterstützung zu er¬
langen.

Leider fielen diese Gesuche in eine Zeit, in welcher der deutsche Patrio¬
tismus sich bereits im Niedergange befand. Der deutsche Partikularismus war
von den Höfen, wo er vor 1866 und 1870 eine sorgsame Pflanzstätte gefunden
hatte, in den deutschen Reichstag herabgestiegen. Dort fand ein nationaler Ruf
keinen Wiederhall mehr, seit die wichtigen sozialpolitischen Fragen die liberale
Partei gespalten hatten und sie ihrem unfruchtbaren Doktrinarismus sowie
der Verbohrtheit verblendeter Führer überlassen mußten. Das nationalfeindliche
Element hatte den Kulturkampf zu benutzen verstanden, um aus demselben für
die Regierung trotz der heterogenen Zusammensetzung eine mächtige Oppositions¬
partei zu bilden. Der nationale Begründer des neuen Reiches hatte in schwerer
Arbeit und hartem Kampfe zu ringen, um nur so viel dem widerstrebenden
Reichstage abzukämpfen, als zur Erhaltung des Reiches und zur Beschwörung
der sozialen Gefahren nötig war.

Solche Zeiten und Zustände waren für den Erwerb von Kolonien wenig
geeignet. Nichtsdestoweniger verlor der geniale Staatsmann bei allen seinen
Sorgen und Geschäften auch dieses Ziel nicht aus den Augen. Freilich mußte
er schon bei seinem ersten Debüt, als es sich um die Unterstützung des Samoa-
Unternehmens handelte, Vonseiten des Reichstages eine schroffe Zurückweisung
erfahren. Nur der Zähigkeit, mit welcher Fürst Bismarck einen als richtig an¬
erkannten Gedanken zu verfolgen versteht, verdankt es Deutschland, wenn es
nicht auch bei der zweiten Teilung der Erde unter die Völker leer ausge¬
gangen ist.

Die Kongofrage hatte eine neue Bewegung in die Nationen gebracht, man
begann Afrika und die Südsee nicht mehr bloß als Objekte wissenschaftlicher


Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

der Küste von Westafrika aufhißte. Denselben Zusammenhang sehen wir in der
Südsee, welche durch deutsche Reisende eigentlich erst der Zivilisation erschlossen
und für die Menschheit zum zweitenmale entdeckt werden mußte.

An allen diesen Punkten hat es an deutsche» Ansiedlungen nicht gefehlt.
Kühne hanseatische Kaufleute hatten an den afrikanischen Küsten wie auf den
Inseln der Südsee Faktoreien und Plantagen errichtet und in den Traditionen
der alten Hanse auf eigue Faust Hoheitsrechte und Länder von den wilden
Volksstämmen erworben. Der deutsche Unternehmungsgeist, neu gehoben durch
die Machtstellung des Vaterlandes, fing an, die Aufmerksamkeit der andern see¬
fahrenden Nationen auf sich zu ziehen, insbesondre seit die Kongobewegung die
Entstehung eines neuen überseeischen Staates in naher Aussicht zeigte. Es
war zu befürchten, daß Engländer und Franzosen den deutschen Kaufleuten das
Feld ihrer Thätigkeit dnrch Einverleibung dieser nur von Wilden bewohnten
Länder entreißen würden, und es war nur zu natürlich, daß die hanseatischen
Kaufherren ihre Blicke auf das mächtig gewordne Reich richteten, um von dem¬
selben für ihre überseeischen Unternehmungen Schutz und Unterstützung zu er¬
langen.

Leider fielen diese Gesuche in eine Zeit, in welcher der deutsche Patrio¬
tismus sich bereits im Niedergange befand. Der deutsche Partikularismus war
von den Höfen, wo er vor 1866 und 1870 eine sorgsame Pflanzstätte gefunden
hatte, in den deutschen Reichstag herabgestiegen. Dort fand ein nationaler Ruf
keinen Wiederhall mehr, seit die wichtigen sozialpolitischen Fragen die liberale
Partei gespalten hatten und sie ihrem unfruchtbaren Doktrinarismus sowie
der Verbohrtheit verblendeter Führer überlassen mußten. Das nationalfeindliche
Element hatte den Kulturkampf zu benutzen verstanden, um aus demselben für
die Regierung trotz der heterogenen Zusammensetzung eine mächtige Oppositions¬
partei zu bilden. Der nationale Begründer des neuen Reiches hatte in schwerer
Arbeit und hartem Kampfe zu ringen, um nur so viel dem widerstrebenden
Reichstage abzukämpfen, als zur Erhaltung des Reiches und zur Beschwörung
der sozialen Gefahren nötig war.

Solche Zeiten und Zustände waren für den Erwerb von Kolonien wenig
geeignet. Nichtsdestoweniger verlor der geniale Staatsmann bei allen seinen
Sorgen und Geschäften auch dieses Ziel nicht aus den Augen. Freilich mußte
er schon bei seinem ersten Debüt, als es sich um die Unterstützung des Samoa-
Unternehmens handelte, Vonseiten des Reichstages eine schroffe Zurückweisung
erfahren. Nur der Zähigkeit, mit welcher Fürst Bismarck einen als richtig an¬
erkannten Gedanken zu verfolgen versteht, verdankt es Deutschland, wenn es
nicht auch bei der zweiten Teilung der Erde unter die Völker leer ausge¬
gangen ist.

Die Kongofrage hatte eine neue Bewegung in die Nationen gebracht, man
begann Afrika und die Südsee nicht mehr bloß als Objekte wissenschaftlicher


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[0264] Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse. der Küste von Westafrika aufhißte. Denselben Zusammenhang sehen wir in der Südsee, welche durch deutsche Reisende eigentlich erst der Zivilisation erschlossen und für die Menschheit zum zweitenmale entdeckt werden mußte. An allen diesen Punkten hat es an deutsche» Ansiedlungen nicht gefehlt. Kühne hanseatische Kaufleute hatten an den afrikanischen Küsten wie auf den Inseln der Südsee Faktoreien und Plantagen errichtet und in den Traditionen der alten Hanse auf eigue Faust Hoheitsrechte und Länder von den wilden Volksstämmen erworben. Der deutsche Unternehmungsgeist, neu gehoben durch die Machtstellung des Vaterlandes, fing an, die Aufmerksamkeit der andern see¬ fahrenden Nationen auf sich zu ziehen, insbesondre seit die Kongobewegung die Entstehung eines neuen überseeischen Staates in naher Aussicht zeigte. Es war zu befürchten, daß Engländer und Franzosen den deutschen Kaufleuten das Feld ihrer Thätigkeit dnrch Einverleibung dieser nur von Wilden bewohnten Länder entreißen würden, und es war nur zu natürlich, daß die hanseatischen Kaufherren ihre Blicke auf das mächtig gewordne Reich richteten, um von dem¬ selben für ihre überseeischen Unternehmungen Schutz und Unterstützung zu er¬ langen. Leider fielen diese Gesuche in eine Zeit, in welcher der deutsche Patrio¬ tismus sich bereits im Niedergange befand. Der deutsche Partikularismus war von den Höfen, wo er vor 1866 und 1870 eine sorgsame Pflanzstätte gefunden hatte, in den deutschen Reichstag herabgestiegen. Dort fand ein nationaler Ruf keinen Wiederhall mehr, seit die wichtigen sozialpolitischen Fragen die liberale Partei gespalten hatten und sie ihrem unfruchtbaren Doktrinarismus sowie der Verbohrtheit verblendeter Führer überlassen mußten. Das nationalfeindliche Element hatte den Kulturkampf zu benutzen verstanden, um aus demselben für die Regierung trotz der heterogenen Zusammensetzung eine mächtige Oppositions¬ partei zu bilden. Der nationale Begründer des neuen Reiches hatte in schwerer Arbeit und hartem Kampfe zu ringen, um nur so viel dem widerstrebenden Reichstage abzukämpfen, als zur Erhaltung des Reiches und zur Beschwörung der sozialen Gefahren nötig war. Solche Zeiten und Zustände waren für den Erwerb von Kolonien wenig geeignet. Nichtsdestoweniger verlor der geniale Staatsmann bei allen seinen Sorgen und Geschäften auch dieses Ziel nicht aus den Augen. Freilich mußte er schon bei seinem ersten Debüt, als es sich um die Unterstützung des Samoa- Unternehmens handelte, Vonseiten des Reichstages eine schroffe Zurückweisung erfahren. Nur der Zähigkeit, mit welcher Fürst Bismarck einen als richtig an¬ erkannten Gedanken zu verfolgen versteht, verdankt es Deutschland, wenn es nicht auch bei der zweiten Teilung der Erde unter die Völker leer ausge¬ gangen ist. Die Kongofrage hatte eine neue Bewegung in die Nationen gebracht, man begann Afrika und die Südsee nicht mehr bloß als Objekte wissenschaftlicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/264>, abgerufen am 24.07.2024.