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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die dramatische Kunst G> v. ZVildenbruchs,

den "Karolingern" sagen kann, daß er in Wirklichkeit Fleisch und Vink habe.
Ich möchte die banale Phrase vermeiden, er sei eine aus dem Leben
gegriffene Figur, besonders aus dem Grunde, weil man mit der Versicherung,
irgendeine Erscheinung des Lebens aus diesem einfach in die Dichtung übertragen
zu haben, einem Dichter nichts weniger als ein Kompliment macht. Wäre das
Gegenteil der Fall, so müßte auch Julius Stinte mit den Plattheiten seiner
Madame Buchholz ein Dichter sein. Wildenbruch hat den Charakter des
Mathias aus der frei schaffenden Phantasie heraus gestaltet und ihn dann
nach Maßgabe der ersten Antriebe seines Handelns weitergebildet. Aber deshalb
ist er nicht etwa eine bloße Jdealgestalt, welche den Fuß nicht auf die Erde
zu stellen vermag, wie jener Markgraf von Barcelona, sondern er steckt voll
gesunder Realität, die darin ihren Grund hat, daß neben der bloß formenden
Phantasie im Dichter auch die freie Beobachtung der Menschennatur thätig
gewesen ist. Genau nach der alten Wahrheit von der fortzengenden Kraft des
Bösen, wächst es anch hier unaufhaltsam aus sich heraus und schwillt an bis
zur Vernichtung, nicht bloß andrer, sondern auch seiner selbst. Man kann nicht
sagen, daß man der Person des Mathias in der Wirklichkeit schon begegnet sei,
aber man muß zugestehen, daß man ihr genau so, wie sie ist, begegnen könnte.
Es ist also die innere Wahrheit, welche aus den Zügen des Böscwichtes hervor¬
tretend die Gemüter ergreift, die Wahrheit, mit welcher der Dichter ans eigenster
Beobachtung und freiester Gestaltung der Menschenart nach ihrer schlimmen
Seite hin den Spiegel vorhält. Dabei muß anerkannt werden, daß Wildenbruch
in der Ausmalung dieses Charakters sich weise Beschränkung auferlegt hat. Es
ist das sonst seine Tugend uicht, und hier war die Versuchung groß genug, sich
gehen zu lassen. Aber wenn man auch stellenweise ein Wort weniger heftig,
eine Geberde maßvoller wünschte, so bleibt er doch im ganzen von dem Vorwurfe
frei, der ihm sonst mit Recht gemacht wird, daß die Leidenschaften seiner
Menschen sich überschlagen.

Von den übrigen Personen des Stückes ist nur noch Maria es wert,
genannt zu werden, und zwar nicht sowohl deshalb, weil sie im Drama selber
hervorragt, als weil sie überhaupt von allen Wildenbruchschen Frauengestalten
die anziehendste ist. Ist es an dieser Stelle gestattet, einen Rückblick zu thun,
so kann man weder die Adele im "Harold," noch die Adelheid in den "Vätern
und Söhnen" als eigentliche Charaktere bezeichnen, weil sie, wenn man den
Ausdruck gelten lassen will, nur unterschiedslose Flächen der Beobachtung dar¬
bieten. Sie sind sanfte, liebende Weiber, und so bleiben sie auch. In der
Judith der "Karolinger" ist neben großem Ehrgeiz nichts andres bemerkbar,
als die unmotivirte Hingebung an einen Mann, den sie nicht kennt. Das ist
bei Maria nicht so. Da ist ein sichtbares, fesselndes Anderswerden, ein reiz¬
voller Wechsel der Farbengebung, der von der sanftesten und ruhigsten Abtönung
aufsteigt zu flammender Glut. Wie es in einer mcuonitischen Gemeinde nicht


Die dramatische Kunst G> v. ZVildenbruchs,

den „Karolingern" sagen kann, daß er in Wirklichkeit Fleisch und Vink habe.
Ich möchte die banale Phrase vermeiden, er sei eine aus dem Leben
gegriffene Figur, besonders aus dem Grunde, weil man mit der Versicherung,
irgendeine Erscheinung des Lebens aus diesem einfach in die Dichtung übertragen
zu haben, einem Dichter nichts weniger als ein Kompliment macht. Wäre das
Gegenteil der Fall, so müßte auch Julius Stinte mit den Plattheiten seiner
Madame Buchholz ein Dichter sein. Wildenbruch hat den Charakter des
Mathias aus der frei schaffenden Phantasie heraus gestaltet und ihn dann
nach Maßgabe der ersten Antriebe seines Handelns weitergebildet. Aber deshalb
ist er nicht etwa eine bloße Jdealgestalt, welche den Fuß nicht auf die Erde
zu stellen vermag, wie jener Markgraf von Barcelona, sondern er steckt voll
gesunder Realität, die darin ihren Grund hat, daß neben der bloß formenden
Phantasie im Dichter auch die freie Beobachtung der Menschennatur thätig
gewesen ist. Genau nach der alten Wahrheit von der fortzengenden Kraft des
Bösen, wächst es anch hier unaufhaltsam aus sich heraus und schwillt an bis
zur Vernichtung, nicht bloß andrer, sondern auch seiner selbst. Man kann nicht
sagen, daß man der Person des Mathias in der Wirklichkeit schon begegnet sei,
aber man muß zugestehen, daß man ihr genau so, wie sie ist, begegnen könnte.
Es ist also die innere Wahrheit, welche aus den Zügen des Böscwichtes hervor¬
tretend die Gemüter ergreift, die Wahrheit, mit welcher der Dichter ans eigenster
Beobachtung und freiester Gestaltung der Menschenart nach ihrer schlimmen
Seite hin den Spiegel vorhält. Dabei muß anerkannt werden, daß Wildenbruch
in der Ausmalung dieses Charakters sich weise Beschränkung auferlegt hat. Es
ist das sonst seine Tugend uicht, und hier war die Versuchung groß genug, sich
gehen zu lassen. Aber wenn man auch stellenweise ein Wort weniger heftig,
eine Geberde maßvoller wünschte, so bleibt er doch im ganzen von dem Vorwurfe
frei, der ihm sonst mit Recht gemacht wird, daß die Leidenschaften seiner
Menschen sich überschlagen.

Von den übrigen Personen des Stückes ist nur noch Maria es wert,
genannt zu werden, und zwar nicht sowohl deshalb, weil sie im Drama selber
hervorragt, als weil sie überhaupt von allen Wildenbruchschen Frauengestalten
die anziehendste ist. Ist es an dieser Stelle gestattet, einen Rückblick zu thun,
so kann man weder die Adele im „Harold," noch die Adelheid in den „Vätern
und Söhnen" als eigentliche Charaktere bezeichnen, weil sie, wenn man den
Ausdruck gelten lassen will, nur unterschiedslose Flächen der Beobachtung dar¬
bieten. Sie sind sanfte, liebende Weiber, und so bleiben sie auch. In der
Judith der „Karolinger" ist neben großem Ehrgeiz nichts andres bemerkbar,
als die unmotivirte Hingebung an einen Mann, den sie nicht kennt. Das ist
bei Maria nicht so. Da ist ein sichtbares, fesselndes Anderswerden, ein reiz¬
voller Wechsel der Farbengebung, der von der sanftesten und ruhigsten Abtönung
aufsteigt zu flammender Glut. Wie es in einer mcuonitischen Gemeinde nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/26>, abgerufen am 24.07.2024.