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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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ausgeschlossen, daß sie hierbei ein beachtenswertes Maß von Geschicklichkeit und
Energie und, soweit dies möglich ist, auch von Mäßigung an den Tag legen
werden. Wie es freilich mit dem Zusammenhalten dieser Leute und mit dem
ihnen von unten auf gewährten Vertrauen auf die Dauer bestellt sein dürfte,
davon weiter unten ein mehreres. An die Führer reiht sich die literarisch
durchgebildete, in klarer und bewußter Erkenntnis des Prinzips gefestigte Masse
derer, aus denen die örtlichen Führer und Vertrauensmüuner und die neu zur
Führerschaft aufsteigenden Kräfte genommen werden. Dieser Nachwuchs ist
schwächer an Zahl und geringer an geistiger Tüchtigkeit, als er früher
-- noch zur Zeit Schweitzers -- war; hier hat das Sozialistengesetz, vor dessen
Erlaß in Versammlungen und in der Presse eine förmliche fortgesetzte Schulung
betrieben und die Heranbildung neuer Kräfte systematisch geleitet und kontrolirt
werden konnte, sehr geschadet, oder nach unsrer Anschauung natürlich sehr
genützt. Immerhin ist noch Nachwuchs vorhanden; die vorangegangene Zeit
war lang und fruchtbar genug, um solchen großzuziehen, und wer einmal
bis zu dieser Stufe gelangt ist, der fällt nur selten wieder ab. Nun kommt
die Masse der "Parteimitglieder," der "Wähler," der "Arbeiterbataillone,"
d. h. derjenigen, welche, wenn auch nicht immer, so doch zeitweise im Banne
einer festen Organisation stehen. Daß diese Organisation nicht mehr öffentlich
geleitet und gehandhabt werden kann, nimmt ihr nur wenig von ihrer Stärke;
im Gegenteil macht die Heimlichkeit, zu der die Zusammenkünfte, die Austeilung
der Losungsworte n, dergl. sich verurteilt sehen, alles dies nur umso pikanter
und giebt dem ganzen Parteitreiben den Anstrich von einer Art Sport. Aber
es läßt sich allerdings außerhalb der großen Städte und allenfalls sehr stark be¬
völkerter Jndustriebezirle etwas derartiges nicht durchführen, und selbst bei
Wahlen bedarf es immer großer, langwieriger und kostspieliger Veranstaltungen,
um die Sache wieder einigermaßen in Gang zu bringen; dies ist der eigentliche
Grund, warum die Sozialdemokratie bei Nachwahlen immer so viel mehr leistet
als bei der Hauptwahl; die letztere dient ihr als Generalprobe, Es ist
schwer zu schätzen, wie groß die feste sozialdemokratische Armee zur Zeit sein
mag, da eine große Menge vergleichsweise Vereinzelter in allen Wahlkreisen
zerstreut ist; aber auf mehrere Hunderttausend wird man sie unter allen Um¬
ständen anschlagen dürfen. Was den geistigen Standpunkt dieser Mitglieder
und ihr Verhältnis zum Parteiprinzip betrifft, so pflegt man beides gewöhnlich
zu unterschätzen. Mit dem eigentlich Wesentlichen in der sozialdemokratischen
Lehre und Anschauungsweise sind sie meistens ganz befriedigend vertraut -- jeden¬
falls viel besser als die Masse der liberalen Wühler mit ihrem Parteiprinzip --,
und ganz "dumm" können Leute, die eine so verwickelte Reihe zum Teil seiner
und tiefsinniger Folgesätze zu fassen vermögen, von vornherein nicht sein, man
kann vielmehr mit einem gewissen Recht sagen, daß es immer die intelligenteren
und strebsameren Arbeiter sein werden, welche sich dieser Richtung anschließen.


ausgeschlossen, daß sie hierbei ein beachtenswertes Maß von Geschicklichkeit und
Energie und, soweit dies möglich ist, auch von Mäßigung an den Tag legen
werden. Wie es freilich mit dem Zusammenhalten dieser Leute und mit dem
ihnen von unten auf gewährten Vertrauen auf die Dauer bestellt sein dürfte,
davon weiter unten ein mehreres. An die Führer reiht sich die literarisch
durchgebildete, in klarer und bewußter Erkenntnis des Prinzips gefestigte Masse
derer, aus denen die örtlichen Führer und Vertrauensmüuner und die neu zur
Führerschaft aufsteigenden Kräfte genommen werden. Dieser Nachwuchs ist
schwächer an Zahl und geringer an geistiger Tüchtigkeit, als er früher
— noch zur Zeit Schweitzers — war; hier hat das Sozialistengesetz, vor dessen
Erlaß in Versammlungen und in der Presse eine förmliche fortgesetzte Schulung
betrieben und die Heranbildung neuer Kräfte systematisch geleitet und kontrolirt
werden konnte, sehr geschadet, oder nach unsrer Anschauung natürlich sehr
genützt. Immerhin ist noch Nachwuchs vorhanden; die vorangegangene Zeit
war lang und fruchtbar genug, um solchen großzuziehen, und wer einmal
bis zu dieser Stufe gelangt ist, der fällt nur selten wieder ab. Nun kommt
die Masse der „Parteimitglieder," der „Wähler," der „Arbeiterbataillone,"
d. h. derjenigen, welche, wenn auch nicht immer, so doch zeitweise im Banne
einer festen Organisation stehen. Daß diese Organisation nicht mehr öffentlich
geleitet und gehandhabt werden kann, nimmt ihr nur wenig von ihrer Stärke;
im Gegenteil macht die Heimlichkeit, zu der die Zusammenkünfte, die Austeilung
der Losungsworte n, dergl. sich verurteilt sehen, alles dies nur umso pikanter
und giebt dem ganzen Parteitreiben den Anstrich von einer Art Sport. Aber
es läßt sich allerdings außerhalb der großen Städte und allenfalls sehr stark be¬
völkerter Jndustriebezirle etwas derartiges nicht durchführen, und selbst bei
Wahlen bedarf es immer großer, langwieriger und kostspieliger Veranstaltungen,
um die Sache wieder einigermaßen in Gang zu bringen; dies ist der eigentliche
Grund, warum die Sozialdemokratie bei Nachwahlen immer so viel mehr leistet
als bei der Hauptwahl; die letztere dient ihr als Generalprobe, Es ist
schwer zu schätzen, wie groß die feste sozialdemokratische Armee zur Zeit sein
mag, da eine große Menge vergleichsweise Vereinzelter in allen Wahlkreisen
zerstreut ist; aber auf mehrere Hunderttausend wird man sie unter allen Um¬
ständen anschlagen dürfen. Was den geistigen Standpunkt dieser Mitglieder
und ihr Verhältnis zum Parteiprinzip betrifft, so pflegt man beides gewöhnlich
zu unterschätzen. Mit dem eigentlich Wesentlichen in der sozialdemokratischen
Lehre und Anschauungsweise sind sie meistens ganz befriedigend vertraut — jeden¬
falls viel besser als die Masse der liberalen Wühler mit ihrem Parteiprinzip —,
und ganz „dumm" können Leute, die eine so verwickelte Reihe zum Teil seiner
und tiefsinniger Folgesätze zu fassen vermögen, von vornherein nicht sein, man
kann vielmehr mit einem gewissen Recht sagen, daß es immer die intelligenteren
und strebsameren Arbeiter sein werden, welche sich dieser Richtung anschließen.


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[0254] ausgeschlossen, daß sie hierbei ein beachtenswertes Maß von Geschicklichkeit und Energie und, soweit dies möglich ist, auch von Mäßigung an den Tag legen werden. Wie es freilich mit dem Zusammenhalten dieser Leute und mit dem ihnen von unten auf gewährten Vertrauen auf die Dauer bestellt sein dürfte, davon weiter unten ein mehreres. An die Führer reiht sich die literarisch durchgebildete, in klarer und bewußter Erkenntnis des Prinzips gefestigte Masse derer, aus denen die örtlichen Führer und Vertrauensmüuner und die neu zur Führerschaft aufsteigenden Kräfte genommen werden. Dieser Nachwuchs ist schwächer an Zahl und geringer an geistiger Tüchtigkeit, als er früher — noch zur Zeit Schweitzers — war; hier hat das Sozialistengesetz, vor dessen Erlaß in Versammlungen und in der Presse eine förmliche fortgesetzte Schulung betrieben und die Heranbildung neuer Kräfte systematisch geleitet und kontrolirt werden konnte, sehr geschadet, oder nach unsrer Anschauung natürlich sehr genützt. Immerhin ist noch Nachwuchs vorhanden; die vorangegangene Zeit war lang und fruchtbar genug, um solchen großzuziehen, und wer einmal bis zu dieser Stufe gelangt ist, der fällt nur selten wieder ab. Nun kommt die Masse der „Parteimitglieder," der „Wähler," der „Arbeiterbataillone," d. h. derjenigen, welche, wenn auch nicht immer, so doch zeitweise im Banne einer festen Organisation stehen. Daß diese Organisation nicht mehr öffentlich geleitet und gehandhabt werden kann, nimmt ihr nur wenig von ihrer Stärke; im Gegenteil macht die Heimlichkeit, zu der die Zusammenkünfte, die Austeilung der Losungsworte n, dergl. sich verurteilt sehen, alles dies nur umso pikanter und giebt dem ganzen Parteitreiben den Anstrich von einer Art Sport. Aber es läßt sich allerdings außerhalb der großen Städte und allenfalls sehr stark be¬ völkerter Jndustriebezirle etwas derartiges nicht durchführen, und selbst bei Wahlen bedarf es immer großer, langwieriger und kostspieliger Veranstaltungen, um die Sache wieder einigermaßen in Gang zu bringen; dies ist der eigentliche Grund, warum die Sozialdemokratie bei Nachwahlen immer so viel mehr leistet als bei der Hauptwahl; die letztere dient ihr als Generalprobe, Es ist schwer zu schätzen, wie groß die feste sozialdemokratische Armee zur Zeit sein mag, da eine große Menge vergleichsweise Vereinzelter in allen Wahlkreisen zerstreut ist; aber auf mehrere Hunderttausend wird man sie unter allen Um¬ ständen anschlagen dürfen. Was den geistigen Standpunkt dieser Mitglieder und ihr Verhältnis zum Parteiprinzip betrifft, so pflegt man beides gewöhnlich zu unterschätzen. Mit dem eigentlich Wesentlichen in der sozialdemokratischen Lehre und Anschauungsweise sind sie meistens ganz befriedigend vertraut — jeden¬ falls viel besser als die Masse der liberalen Wühler mit ihrem Parteiprinzip —, und ganz „dumm" können Leute, die eine so verwickelte Reihe zum Teil seiner und tiefsinniger Folgesätze zu fassen vermögen, von vornherein nicht sein, man kann vielmehr mit einem gewissen Recht sagen, daß es immer die intelligenteren und strebsameren Arbeiter sein werden, welche sich dieser Richtung anschließen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/254>, abgerufen am 26.07.2024.