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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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ist da zu bedeuten, daß es gewichtige Dinge sind, die auf das Herz und den
Entschluß des jungen Mannes eindringen, außer dein einstimmig verdammenden
Urteile der Gemeinde die liebevollen, von einem höhern Gesichtspunkte als dem
der engherzigen Glaubensbrttder gemachten Vorstellungen des Pflegevaters und
vor allem die Hoffnung auf den Besitz der Maria. Also auch hier giebt die
Liebe die Entscheidung, und wenn ein Mangel an Folgerichtigkeit vorhanden
ist, so bezieht er sich auf ein Moment, das an und für sich betrachtet das
wichtigere sein mag, aber in diesem bestimmten Falle als das später hinzu¬
tretende die geringere Bedeutung hat. Auch darauf muß hingewiesen werden,
daß in diesem Zurückweichen seines Helden der Dichter das Mittel gewinnt, um
das beklagenswerte Geschick desselben zu begründe". Hat man eine tragische
Schuld nötig -- und ich glaube nicht, daß der wahrhaft dramatische Dichter
ohne eine solche fertig werden kann --, so liegt sie im gegebnen Falle darin,
daß Reinhold im Konflikt seiner Liebe mit der Mannesehre der letztern un¬
treu wird.

Fast in demselben Maße aber wie in der Handlung wird auch in den
beiden andern Beziehungen die Einheitlichkeit des Stückes gewahrt. Daß hier
die Herrschaft des Unbewußten sich geltend mache, wird man von einem Dichter
wie Wildenbruch nicht annehmen wollen. Haben demnach Plan und weise
Absicht gewaltet, so ist es umsomehr anzuerkennen, daß er den Regeln der Alten
so weitgehende Zugeständnisse gemacht hat. Nicht zwar, als ob er auch nur
die Lessingsche Einfachheit erreicht hätte, aber das darf doch nicht übersehen
werden, daß, was den Ort anlangt, kaum ein Szenenwechsel stattfindet. Die
ganze Folgenreihe der Auftritte spielt sich entweder i" dem am Hanse Wcildcmars
gelegnen Garten oder in einem Betsaale dieses Hauses ab. Es kommt hinzu,
daß das Ganze in weniger als achtundvierzig Stunden vom ersten Momente
der Verwicklung an gethan ist. Das ist wenig Zeit, wenn der Dichter den Zu¬
schauer aus dem Lichte glücklicher Hoffnung durch die Wirren des Lebens in
die Schatten des Todes hinüberführen soll. Freilich werden wir später noch
zu rügen haben, daß es dabei ohne Sprünge und Willkürlichkeiten nicht abgeht,
aber dieser Maugel liegt mehr an etwas anderen, als daran, daß die Ereignisse
ihrer Natur nach nicht in den Rahmen dieser Zeit hineinpaßten. Da ist ein
rasches und überaus belebtes Aufeinander der Auftritte; doch wenn es an
logischem Aufbau derselben selbst an wichtigen Stellen fehlt, so hätte dem der
Dichter mit verhältnismäßig geringer Mühe abhelfen können.

Ist dies schon viel des Lobes, so haben wir demselben doch noch ein weiteres
hinzuzufügen. Mit welchem der besprochnen Schauspiele mau auch den "Menoniten"
zusammenhalten mag, in keinem findet sich eine striktere Durchführung der
Charaktere. Von dem des Helden ist schon die Rede gewesen; nächst ihm nimmt
das meiste Interesse Mathias in Anspruch- In diesem hat der Dichter einen
Bösewicht geschaffen, von dem man im Gegensatze zur Gestalt des Bernhard in


Grenzbote" II. 1836. ^

ist da zu bedeuten, daß es gewichtige Dinge sind, die auf das Herz und den
Entschluß des jungen Mannes eindringen, außer dein einstimmig verdammenden
Urteile der Gemeinde die liebevollen, von einem höhern Gesichtspunkte als dem
der engherzigen Glaubensbrttder gemachten Vorstellungen des Pflegevaters und
vor allem die Hoffnung auf den Besitz der Maria. Also auch hier giebt die
Liebe die Entscheidung, und wenn ein Mangel an Folgerichtigkeit vorhanden
ist, so bezieht er sich auf ein Moment, das an und für sich betrachtet das
wichtigere sein mag, aber in diesem bestimmten Falle als das später hinzu¬
tretende die geringere Bedeutung hat. Auch darauf muß hingewiesen werden,
daß in diesem Zurückweichen seines Helden der Dichter das Mittel gewinnt, um
das beklagenswerte Geschick desselben zu begründe». Hat man eine tragische
Schuld nötig — und ich glaube nicht, daß der wahrhaft dramatische Dichter
ohne eine solche fertig werden kann —, so liegt sie im gegebnen Falle darin,
daß Reinhold im Konflikt seiner Liebe mit der Mannesehre der letztern un¬
treu wird.

Fast in demselben Maße aber wie in der Handlung wird auch in den
beiden andern Beziehungen die Einheitlichkeit des Stückes gewahrt. Daß hier
die Herrschaft des Unbewußten sich geltend mache, wird man von einem Dichter
wie Wildenbruch nicht annehmen wollen. Haben demnach Plan und weise
Absicht gewaltet, so ist es umsomehr anzuerkennen, daß er den Regeln der Alten
so weitgehende Zugeständnisse gemacht hat. Nicht zwar, als ob er auch nur
die Lessingsche Einfachheit erreicht hätte, aber das darf doch nicht übersehen
werden, daß, was den Ort anlangt, kaum ein Szenenwechsel stattfindet. Die
ganze Folgenreihe der Auftritte spielt sich entweder i» dem am Hanse Wcildcmars
gelegnen Garten oder in einem Betsaale dieses Hauses ab. Es kommt hinzu,
daß das Ganze in weniger als achtundvierzig Stunden vom ersten Momente
der Verwicklung an gethan ist. Das ist wenig Zeit, wenn der Dichter den Zu¬
schauer aus dem Lichte glücklicher Hoffnung durch die Wirren des Lebens in
die Schatten des Todes hinüberführen soll. Freilich werden wir später noch
zu rügen haben, daß es dabei ohne Sprünge und Willkürlichkeiten nicht abgeht,
aber dieser Maugel liegt mehr an etwas anderen, als daran, daß die Ereignisse
ihrer Natur nach nicht in den Rahmen dieser Zeit hineinpaßten. Da ist ein
rasches und überaus belebtes Aufeinander der Auftritte; doch wenn es an
logischem Aufbau derselben selbst an wichtigen Stellen fehlt, so hätte dem der
Dichter mit verhältnismäßig geringer Mühe abhelfen können.

Ist dies schon viel des Lobes, so haben wir demselben doch noch ein weiteres
hinzuzufügen. Mit welchem der besprochnen Schauspiele mau auch den „Menoniten"
zusammenhalten mag, in keinem findet sich eine striktere Durchführung der
Charaktere. Von dem des Helden ist schon die Rede gewesen; nächst ihm nimmt
das meiste Interesse Mathias in Anspruch- In diesem hat der Dichter einen
Bösewicht geschaffen, von dem man im Gegensatze zur Gestalt des Bernhard in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/25>, abgerufen am 24.07.2024.