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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Lehrjunge steckt sich schon ein Zigarre in den Mund, um zu zeigen, daß er ein
Mann sei. Diese Eitelkeit führt ihn zur Gewöhnung, die Gewöhnung zu einem
Bedürfnis, dem er dann zeitlebens einen guten Teil seines Einkommens opfert.
Und wie ist es mit dem Vier? Wird es etwa nur getrunken als Erquickungs-
trank für den Müden und Durstigen? Wer einmal unsern Volksfesten, Land¬
partien :e, beigewohnt hat, wird gesehen haben, wie es dort in Massen vertilgt
wird, daß man kaum begreift, wie die menschliche Natur das erträgt. Auch
wieder eine besondre Eigentümlichkeit des deutschen Stammes! Was bei dem
Manne das Verlangen nach jenen Genußmitteln ist, ist bei dem weiblichen
Geschlecht die Putzsucht. Unsre Dienstmädchen, statt sich für künftige Notfülle
einen Pfennig zurückzulegen, putzen sich wie moderne Damen heraus, wobei sie
freilich öfters kein ganzes Hemd auf dem Leibe tragen. Später als Frauen
führen, sie natürlich ihren Haushalt in gleichem Sinne.

Unser Briefschreiber fragt, ob wir denn nicht auch dem Armen sein Ver¬
gnügen gönnen wollen? Gewiß gönnen wir es ihm, von ganzem Herzen. Wenn
sein Verdienst dazu ausreicht, warum sollte nicht auch er an den Freuden des
Lebens teilnehmen? Als Fürst Bismarck jüngst in einer Rede sagte, er freue
sich, wenn er Sonntags in den Dörfern um Berlin die geputzten und ver¬
gnügten Menschen sehe, war uns dies ganz ans der Seele gesprochen. Aber
es muß doch alles im Verhältnis stehen; und der Arbeiter, der, um eine Ver¬
gnügung mitzumachen, seinen letzten Groschen ausgiebt oder gar Geld borgt,
während er sich sagen muß, daß er mit seiner Familie dafür nun vielleicht
wochenlang zu darben hat, handelt in unsern Angen unverständig. Jedenfalls
kann der, welcher sein Geld statt für die notwendigsten Lebensbedürfnisse für
Vergnügungen ausgiebt, doch nicht mit Recht darüber klagen, daß er im tiefsten
Elend leben müsse. ES ist berechnet worden, daß, wenn unsre Arbeiter nicht
rauchten und Spirituosen tranken, die meisten derselben regelmäßig Fleisch ge¬
nießen könnten. Wer aber an jene" Genüssen so hängt, daß er nicht von ihnen
lassen kaun, der darf auch keine Klage darüber führen, daß ihm nicht täglich
Fleischkost ins Haus wächst. Man kann eben nicht alles zugleich haben. Woher
sollten denn die Mittel kommen, wenn jeder reichlich leben wollte? Die Erde
erträgt nicht so viel.

Wir wollen hier nicht im einzelnen untersuchen, wie das Elend, wo es
wirklich vorhanden ist, entsteht. Unzweifelhaft kann es Menschen ohne alle
Schuld treffen. Vielfach ist es aber auch selbstverschuldet. Im allgemeinen
kann man behaupten, daß, trotz der Überfüllung aller Stände, auch heute noch
der tüchtige und solide Arbeiter regelmäßig sein Brot findet. Wenn in den
großen Städten vielfach Elend herrscht, so liegt ein Hauptgrund dafür darin,
daß nach diesen Städten alles hindrängt, weil sich vergnüglicher dort leben läßt,
während das platte Land, mitunter zum großen Schade" der Landwirtschaft,
sich entvölkert. Da- ist es denn kein Wunder, daß bei dem so gewaltig ge-


Lehrjunge steckt sich schon ein Zigarre in den Mund, um zu zeigen, daß er ein
Mann sei. Diese Eitelkeit führt ihn zur Gewöhnung, die Gewöhnung zu einem
Bedürfnis, dem er dann zeitlebens einen guten Teil seines Einkommens opfert.
Und wie ist es mit dem Vier? Wird es etwa nur getrunken als Erquickungs-
trank für den Müden und Durstigen? Wer einmal unsern Volksfesten, Land¬
partien :e, beigewohnt hat, wird gesehen haben, wie es dort in Massen vertilgt
wird, daß man kaum begreift, wie die menschliche Natur das erträgt. Auch
wieder eine besondre Eigentümlichkeit des deutschen Stammes! Was bei dem
Manne das Verlangen nach jenen Genußmitteln ist, ist bei dem weiblichen
Geschlecht die Putzsucht. Unsre Dienstmädchen, statt sich für künftige Notfülle
einen Pfennig zurückzulegen, putzen sich wie moderne Damen heraus, wobei sie
freilich öfters kein ganzes Hemd auf dem Leibe tragen. Später als Frauen
führen, sie natürlich ihren Haushalt in gleichem Sinne.

Unser Briefschreiber fragt, ob wir denn nicht auch dem Armen sein Ver¬
gnügen gönnen wollen? Gewiß gönnen wir es ihm, von ganzem Herzen. Wenn
sein Verdienst dazu ausreicht, warum sollte nicht auch er an den Freuden des
Lebens teilnehmen? Als Fürst Bismarck jüngst in einer Rede sagte, er freue
sich, wenn er Sonntags in den Dörfern um Berlin die geputzten und ver¬
gnügten Menschen sehe, war uns dies ganz ans der Seele gesprochen. Aber
es muß doch alles im Verhältnis stehen; und der Arbeiter, der, um eine Ver¬
gnügung mitzumachen, seinen letzten Groschen ausgiebt oder gar Geld borgt,
während er sich sagen muß, daß er mit seiner Familie dafür nun vielleicht
wochenlang zu darben hat, handelt in unsern Angen unverständig. Jedenfalls
kann der, welcher sein Geld statt für die notwendigsten Lebensbedürfnisse für
Vergnügungen ausgiebt, doch nicht mit Recht darüber klagen, daß er im tiefsten
Elend leben müsse. ES ist berechnet worden, daß, wenn unsre Arbeiter nicht
rauchten und Spirituosen tranken, die meisten derselben regelmäßig Fleisch ge¬
nießen könnten. Wer aber an jene» Genüssen so hängt, daß er nicht von ihnen
lassen kaun, der darf auch keine Klage darüber führen, daß ihm nicht täglich
Fleischkost ins Haus wächst. Man kann eben nicht alles zugleich haben. Woher
sollten denn die Mittel kommen, wenn jeder reichlich leben wollte? Die Erde
erträgt nicht so viel.

Wir wollen hier nicht im einzelnen untersuchen, wie das Elend, wo es
wirklich vorhanden ist, entsteht. Unzweifelhaft kann es Menschen ohne alle
Schuld treffen. Vielfach ist es aber auch selbstverschuldet. Im allgemeinen
kann man behaupten, daß, trotz der Überfüllung aller Stände, auch heute noch
der tüchtige und solide Arbeiter regelmäßig sein Brot findet. Wenn in den
großen Städten vielfach Elend herrscht, so liegt ein Hauptgrund dafür darin,
daß nach diesen Städten alles hindrängt, weil sich vergnüglicher dort leben läßt,
während das platte Land, mitunter zum großen Schade» der Landwirtschaft,
sich entvölkert. Da- ist es denn kein Wunder, daß bei dem so gewaltig ge-


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[0242] Lehrjunge steckt sich schon ein Zigarre in den Mund, um zu zeigen, daß er ein Mann sei. Diese Eitelkeit führt ihn zur Gewöhnung, die Gewöhnung zu einem Bedürfnis, dem er dann zeitlebens einen guten Teil seines Einkommens opfert. Und wie ist es mit dem Vier? Wird es etwa nur getrunken als Erquickungs- trank für den Müden und Durstigen? Wer einmal unsern Volksfesten, Land¬ partien :e, beigewohnt hat, wird gesehen haben, wie es dort in Massen vertilgt wird, daß man kaum begreift, wie die menschliche Natur das erträgt. Auch wieder eine besondre Eigentümlichkeit des deutschen Stammes! Was bei dem Manne das Verlangen nach jenen Genußmitteln ist, ist bei dem weiblichen Geschlecht die Putzsucht. Unsre Dienstmädchen, statt sich für künftige Notfülle einen Pfennig zurückzulegen, putzen sich wie moderne Damen heraus, wobei sie freilich öfters kein ganzes Hemd auf dem Leibe tragen. Später als Frauen führen, sie natürlich ihren Haushalt in gleichem Sinne. Unser Briefschreiber fragt, ob wir denn nicht auch dem Armen sein Ver¬ gnügen gönnen wollen? Gewiß gönnen wir es ihm, von ganzem Herzen. Wenn sein Verdienst dazu ausreicht, warum sollte nicht auch er an den Freuden des Lebens teilnehmen? Als Fürst Bismarck jüngst in einer Rede sagte, er freue sich, wenn er Sonntags in den Dörfern um Berlin die geputzten und ver¬ gnügten Menschen sehe, war uns dies ganz ans der Seele gesprochen. Aber es muß doch alles im Verhältnis stehen; und der Arbeiter, der, um eine Ver¬ gnügung mitzumachen, seinen letzten Groschen ausgiebt oder gar Geld borgt, während er sich sagen muß, daß er mit seiner Familie dafür nun vielleicht wochenlang zu darben hat, handelt in unsern Angen unverständig. Jedenfalls kann der, welcher sein Geld statt für die notwendigsten Lebensbedürfnisse für Vergnügungen ausgiebt, doch nicht mit Recht darüber klagen, daß er im tiefsten Elend leben müsse. ES ist berechnet worden, daß, wenn unsre Arbeiter nicht rauchten und Spirituosen tranken, die meisten derselben regelmäßig Fleisch ge¬ nießen könnten. Wer aber an jene» Genüssen so hängt, daß er nicht von ihnen lassen kaun, der darf auch keine Klage darüber führen, daß ihm nicht täglich Fleischkost ins Haus wächst. Man kann eben nicht alles zugleich haben. Woher sollten denn die Mittel kommen, wenn jeder reichlich leben wollte? Die Erde erträgt nicht so viel. Wir wollen hier nicht im einzelnen untersuchen, wie das Elend, wo es wirklich vorhanden ist, entsteht. Unzweifelhaft kann es Menschen ohne alle Schuld treffen. Vielfach ist es aber auch selbstverschuldet. Im allgemeinen kann man behaupten, daß, trotz der Überfüllung aller Stände, auch heute noch der tüchtige und solide Arbeiter regelmäßig sein Brot findet. Wenn in den großen Städten vielfach Elend herrscht, so liegt ein Hauptgrund dafür darin, daß nach diesen Städten alles hindrängt, weil sich vergnüglicher dort leben läßt, während das platte Land, mitunter zum großen Schade» der Landwirtschaft, sich entvölkert. Da- ist es denn kein Wunder, daß bei dem so gewaltig ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/242>, abgerufen am 28.09.2024.