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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die dramatische Aunst L. von Wildenbruchs.

erfüllt sich nicht, da Maria dem Mathias zugesprochen wird. Darüber und
weil er von den Franzosen für ehrlos erklärt wird, ist er der Verzweiflung
ucche. In dieser Stimmung trifft ihn der Abgeordnete Schills, und von diesem
über die Lage des Vaterlandes in Kenntnis gesetzt, ist er alsbald entschlossen,
am Kampfe für die Befreiung desselben teilzunehmen; mit ihm ist auch Maria,
der ini Drange der Dinge der eigentliche Zug des Herzens zum Bewußtsein
gekommen ist, zu entfliehen bereit. Aber die von den dreien gefaßten Beschlüsse
werden von Mathias erlauscht. Nachdem er der Gemeinde Mitteilung gemacht
hat, wird zuerst Reinhold in Gewahrsam gebracht und dann der Plnu gefaßt,
Heunekcr -- so heißt der Agent Schills -- zu der mit seinem Freunde verab¬
redeten Zeit festzunehmen. Indes weiß Reinhold, der sich mit Hilfe Marias
befreit hat, dies zu vereiteln. In einer nächtlichen Szene, in dem Augenblicke,
wo Henneker von den versammelten Meuoniteu gefaßt werden soll, fällt Mathias
von der Hand Reinholds. Während der gewärmte Parteigänger in der Ver¬
wirrung flieht, wird der letztere von den herbeigerufenen Franzosen verhaftet,
und Maria stirbt in den Armen ihres unglücklichen Vaters.

Daß in dieser Aufeinanderfolge von Vorgängen das Prinzip der Einheit
durchaus aufrecht erhalten wird, bedarf Wohl keines Beweises. Zuvörderst ist
hier eine Persönlichkeit, die ebenso hervorragend durch große Leidenschaften wie
durch starken Willen in allen Stadien der Handlung die Richtung derselben an¬
giebt, und dann sind auch die Beweggründe seines Thuns überall dieselben.
Reinhold handelt im ersten und untersten Grunde aus Liebe zu Maria, und
wenn sich im Fortschreiten des Dramas zu dem Aufangsmotive uoch andre ge¬
selle", im ersten Akte das erwachende Bewußtsein seiner Mannesehre, im dritten
die heißauflodernde Liebe zum Vaterlande, so ist es klar, daß diese Flammen
sich an der Glut der ersten entzünden. Auch kann mau nicht sagen, daß der
eine Antrieb durch den andern gehindert oder gar aus der Richtung gedrängt
werde. Im Gegenteil, die Leidenschaft der Liebe, die anfangs eine rein selbst¬
süchtige war, findet Veredlung und Läuterung in dem aufsteigenden Prozesse
des seelischen Erwachens des Helden. Die Flamme brennt später nicht minder
stark als zuvor, und wenn ein Unterschied da ist, so ist es der, daß sie unter
der Nahrung einer höhern Erkenntnis nur Heller und reiner leuchtet. So findet
sich hier das Umgekehrte von dem, was im "Harold" zu tadeln war. Wurde
dort das Strebe" für das Vaterland durch die Liebe zu einem Weibe aus seinem
geraden Gange geworfen und dadurch Verbreiterung und Verflachung des dra¬
matischen Gegenstandes herbeigeführt, so ist hier diese Leidenschaft die Anfangs¬
bewegung und erhält durch neu hinzutretende Kräfte Steigerung sowohl als
Vertiefung. In demselben Maße mithin, wie jenes Stück verliert, gewinnt der
Wert des vorliegenden.

Auf eines könnte man tadelnd hinweisen wollen. Reinhold hält sein dem
Franzosen gegebnes Wort nicht, und hierin liegt eine Inkonsequenz. Aber es


Die dramatische Aunst L. von Wildenbruchs.

erfüllt sich nicht, da Maria dem Mathias zugesprochen wird. Darüber und
weil er von den Franzosen für ehrlos erklärt wird, ist er der Verzweiflung
ucche. In dieser Stimmung trifft ihn der Abgeordnete Schills, und von diesem
über die Lage des Vaterlandes in Kenntnis gesetzt, ist er alsbald entschlossen,
am Kampfe für die Befreiung desselben teilzunehmen; mit ihm ist auch Maria,
der ini Drange der Dinge der eigentliche Zug des Herzens zum Bewußtsein
gekommen ist, zu entfliehen bereit. Aber die von den dreien gefaßten Beschlüsse
werden von Mathias erlauscht. Nachdem er der Gemeinde Mitteilung gemacht
hat, wird zuerst Reinhold in Gewahrsam gebracht und dann der Plnu gefaßt,
Heunekcr — so heißt der Agent Schills — zu der mit seinem Freunde verab¬
redeten Zeit festzunehmen. Indes weiß Reinhold, der sich mit Hilfe Marias
befreit hat, dies zu vereiteln. In einer nächtlichen Szene, in dem Augenblicke,
wo Henneker von den versammelten Meuoniteu gefaßt werden soll, fällt Mathias
von der Hand Reinholds. Während der gewärmte Parteigänger in der Ver¬
wirrung flieht, wird der letztere von den herbeigerufenen Franzosen verhaftet,
und Maria stirbt in den Armen ihres unglücklichen Vaters.

Daß in dieser Aufeinanderfolge von Vorgängen das Prinzip der Einheit
durchaus aufrecht erhalten wird, bedarf Wohl keines Beweises. Zuvörderst ist
hier eine Persönlichkeit, die ebenso hervorragend durch große Leidenschaften wie
durch starken Willen in allen Stadien der Handlung die Richtung derselben an¬
giebt, und dann sind auch die Beweggründe seines Thuns überall dieselben.
Reinhold handelt im ersten und untersten Grunde aus Liebe zu Maria, und
wenn sich im Fortschreiten des Dramas zu dem Aufangsmotive uoch andre ge¬
selle», im ersten Akte das erwachende Bewußtsein seiner Mannesehre, im dritten
die heißauflodernde Liebe zum Vaterlande, so ist es klar, daß diese Flammen
sich an der Glut der ersten entzünden. Auch kann mau nicht sagen, daß der
eine Antrieb durch den andern gehindert oder gar aus der Richtung gedrängt
werde. Im Gegenteil, die Leidenschaft der Liebe, die anfangs eine rein selbst¬
süchtige war, findet Veredlung und Läuterung in dem aufsteigenden Prozesse
des seelischen Erwachens des Helden. Die Flamme brennt später nicht minder
stark als zuvor, und wenn ein Unterschied da ist, so ist es der, daß sie unter
der Nahrung einer höhern Erkenntnis nur Heller und reiner leuchtet. So findet
sich hier das Umgekehrte von dem, was im „Harold" zu tadeln war. Wurde
dort das Strebe» für das Vaterland durch die Liebe zu einem Weibe aus seinem
geraden Gange geworfen und dadurch Verbreiterung und Verflachung des dra¬
matischen Gegenstandes herbeigeführt, so ist hier diese Leidenschaft die Anfangs¬
bewegung und erhält durch neu hinzutretende Kräfte Steigerung sowohl als
Vertiefung. In demselben Maße mithin, wie jenes Stück verliert, gewinnt der
Wert des vorliegenden.

Auf eines könnte man tadelnd hinweisen wollen. Reinhold hält sein dem
Franzosen gegebnes Wort nicht, und hierin liegt eine Inkonsequenz. Aber es


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[0024] Die dramatische Aunst L. von Wildenbruchs. erfüllt sich nicht, da Maria dem Mathias zugesprochen wird. Darüber und weil er von den Franzosen für ehrlos erklärt wird, ist er der Verzweiflung ucche. In dieser Stimmung trifft ihn der Abgeordnete Schills, und von diesem über die Lage des Vaterlandes in Kenntnis gesetzt, ist er alsbald entschlossen, am Kampfe für die Befreiung desselben teilzunehmen; mit ihm ist auch Maria, der ini Drange der Dinge der eigentliche Zug des Herzens zum Bewußtsein gekommen ist, zu entfliehen bereit. Aber die von den dreien gefaßten Beschlüsse werden von Mathias erlauscht. Nachdem er der Gemeinde Mitteilung gemacht hat, wird zuerst Reinhold in Gewahrsam gebracht und dann der Plnu gefaßt, Heunekcr — so heißt der Agent Schills — zu der mit seinem Freunde verab¬ redeten Zeit festzunehmen. Indes weiß Reinhold, der sich mit Hilfe Marias befreit hat, dies zu vereiteln. In einer nächtlichen Szene, in dem Augenblicke, wo Henneker von den versammelten Meuoniteu gefaßt werden soll, fällt Mathias von der Hand Reinholds. Während der gewärmte Parteigänger in der Ver¬ wirrung flieht, wird der letztere von den herbeigerufenen Franzosen verhaftet, und Maria stirbt in den Armen ihres unglücklichen Vaters. Daß in dieser Aufeinanderfolge von Vorgängen das Prinzip der Einheit durchaus aufrecht erhalten wird, bedarf Wohl keines Beweises. Zuvörderst ist hier eine Persönlichkeit, die ebenso hervorragend durch große Leidenschaften wie durch starken Willen in allen Stadien der Handlung die Richtung derselben an¬ giebt, und dann sind auch die Beweggründe seines Thuns überall dieselben. Reinhold handelt im ersten und untersten Grunde aus Liebe zu Maria, und wenn sich im Fortschreiten des Dramas zu dem Aufangsmotive uoch andre ge¬ selle», im ersten Akte das erwachende Bewußtsein seiner Mannesehre, im dritten die heißauflodernde Liebe zum Vaterlande, so ist es klar, daß diese Flammen sich an der Glut der ersten entzünden. Auch kann mau nicht sagen, daß der eine Antrieb durch den andern gehindert oder gar aus der Richtung gedrängt werde. Im Gegenteil, die Leidenschaft der Liebe, die anfangs eine rein selbst¬ süchtige war, findet Veredlung und Läuterung in dem aufsteigenden Prozesse des seelischen Erwachens des Helden. Die Flamme brennt später nicht minder stark als zuvor, und wenn ein Unterschied da ist, so ist es der, daß sie unter der Nahrung einer höhern Erkenntnis nur Heller und reiner leuchtet. So findet sich hier das Umgekehrte von dem, was im „Harold" zu tadeln war. Wurde dort das Strebe» für das Vaterland durch die Liebe zu einem Weibe aus seinem geraden Gange geworfen und dadurch Verbreiterung und Verflachung des dra¬ matischen Gegenstandes herbeigeführt, so ist hier diese Leidenschaft die Anfangs¬ bewegung und erhält durch neu hinzutretende Kräfte Steigerung sowohl als Vertiefung. In demselben Maße mithin, wie jenes Stück verliert, gewinnt der Wert des vorliegenden. Auf eines könnte man tadelnd hinweisen wollen. Reinhold hält sein dem Franzosen gegebnes Wort nicht, und hierin liegt eine Inkonsequenz. Aber es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/24>, abgerufen am 24.07.2024.