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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Es vergingen unter diesem milden und klaren Himmel die Tage in
Heiterkeit und Frohsinn. Mau hielt sich fast immer im Freien auf. Sobald
aber die Sonue sich unter den Horizont des Meeres getaucht hatte, waren schon
wieder viele Hände geschäftig, einen Kerzenhimmcl anzuzünden. Oft wurden uns
von den Fürsten und Reichen Palermos Festlichkeiten bereitet mit Musik und
Tanz, oder wir wurden mit Dichtkunst und lebenden Bildern unterhalten. Denn
noch immer ist Sizilien wie im Altertum reich an dichterischen Talenten, und
der Boden erzeugt noch immer seine Theokrite. Eine junge Freundin, die Tochter
des Barons Torrisv, beschenkte uns mit schonen Blüten der Dichtkunst. Die
Kaiserin, davon aufrichtig erfreut, ließ sie zu sich laden und überreichte ihr
einen schönen Schmuck zum Andenken.

Auch der Karneval wurde im Winter mit ganz besondern! Glänze gefeiert,
und die Kaiserin besuchte ihn, in ihrem Wagen durch die geschmückten Straßen
fahrend.

Als ich eines Morgens im Garten, wie gewöhnlich, zeichne, ruft von der
Villa herab eine Stimme: "Guten Morgen, Runde! Gratulire zum neuen
Jahr! Welche himmlische Luft und Vlumenpracht!"

Es war die Kaiserin, welche mich an den ersten Januar des neuen Jahres
1846 erinnerte. Ich hatte seiner nicht gedacht; war doch für mich jeder dieser
Tage ein Neujahrstag. Er verging denn auch so sonnig wie alle andern Tage.

Am dreizehnten Januar wurde in der Kapelle, unter Lobgesang, Gebet und
Weihrauchduft, der Neujahrstag der Griechen gefeiert. Nach dem Gottesdienste
versammelten sich der russische Adel, die Offiziere der kleinen Flotte und der
sizilicmische Adel unten im Garten, um ihre Glückwünsche darzubringen. Wie
gewöhnlich war hier das Gabelfrühstück aufgestellt, nur etwas reicher. Die
Kaiserin thronte in einem großen Armsessel, die linke Hand zum Handkuß auf
die Armlehne gelegt. Zuerst kamen die Kavaliere, einer nach dem andern, und
verbeugten sich, nach ihnen die Damen, welche die segensreiche Hand küßten.
Die Großfürstin stand in ihrer natürlich-anmutigen Haltung in der Nähe der
Kaiserin und reichte auch ihre schöne Hand nach allen Seiten zum Kusse. Sie
unterhielt sich freundlich und schien überglücklich. Nachdem die Kaiserin die
Versammlung aufgehoben und sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatte, wurde
die reichbesetzte Tafel von den Offiziere" gleich einer Festung bestürmt und,
wie ich vermute, auch erobert.

Ich sprach schon früher von den Frauen des Piano dei Greei. Nun
sollten auch diese uns ein Fest bereiten.

Mehrere Miglien von Palermo entfernt liegt auf einer Hochebene ein aus¬
gedehntes Dorf, welches seit länger als hundert Jahren von Albanesen bewohnt
wird. In einem Kriege vor den Türken geflohen, hatten sie in Sizilien ein
Asyl erhalten und sich ans dem "Piano" angebaut. Seit mehreren Jahren
kannte ich einen dieser "Griechen," wie sie hier allgemein genannt werden, den


Es vergingen unter diesem milden und klaren Himmel die Tage in
Heiterkeit und Frohsinn. Mau hielt sich fast immer im Freien auf. Sobald
aber die Sonue sich unter den Horizont des Meeres getaucht hatte, waren schon
wieder viele Hände geschäftig, einen Kerzenhimmcl anzuzünden. Oft wurden uns
von den Fürsten und Reichen Palermos Festlichkeiten bereitet mit Musik und
Tanz, oder wir wurden mit Dichtkunst und lebenden Bildern unterhalten. Denn
noch immer ist Sizilien wie im Altertum reich an dichterischen Talenten, und
der Boden erzeugt noch immer seine Theokrite. Eine junge Freundin, die Tochter
des Barons Torrisv, beschenkte uns mit schonen Blüten der Dichtkunst. Die
Kaiserin, davon aufrichtig erfreut, ließ sie zu sich laden und überreichte ihr
einen schönen Schmuck zum Andenken.

Auch der Karneval wurde im Winter mit ganz besondern! Glänze gefeiert,
und die Kaiserin besuchte ihn, in ihrem Wagen durch die geschmückten Straßen
fahrend.

Als ich eines Morgens im Garten, wie gewöhnlich, zeichne, ruft von der
Villa herab eine Stimme: „Guten Morgen, Runde! Gratulire zum neuen
Jahr! Welche himmlische Luft und Vlumenpracht!"

Es war die Kaiserin, welche mich an den ersten Januar des neuen Jahres
1846 erinnerte. Ich hatte seiner nicht gedacht; war doch für mich jeder dieser
Tage ein Neujahrstag. Er verging denn auch so sonnig wie alle andern Tage.

Am dreizehnten Januar wurde in der Kapelle, unter Lobgesang, Gebet und
Weihrauchduft, der Neujahrstag der Griechen gefeiert. Nach dem Gottesdienste
versammelten sich der russische Adel, die Offiziere der kleinen Flotte und der
sizilicmische Adel unten im Garten, um ihre Glückwünsche darzubringen. Wie
gewöhnlich war hier das Gabelfrühstück aufgestellt, nur etwas reicher. Die
Kaiserin thronte in einem großen Armsessel, die linke Hand zum Handkuß auf
die Armlehne gelegt. Zuerst kamen die Kavaliere, einer nach dem andern, und
verbeugten sich, nach ihnen die Damen, welche die segensreiche Hand küßten.
Die Großfürstin stand in ihrer natürlich-anmutigen Haltung in der Nähe der
Kaiserin und reichte auch ihre schöne Hand nach allen Seiten zum Kusse. Sie
unterhielt sich freundlich und schien überglücklich. Nachdem die Kaiserin die
Versammlung aufgehoben und sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatte, wurde
die reichbesetzte Tafel von den Offiziere» gleich einer Festung bestürmt und,
wie ich vermute, auch erobert.

Ich sprach schon früher von den Frauen des Piano dei Greei. Nun
sollten auch diese uns ein Fest bereiten.

Mehrere Miglien von Palermo entfernt liegt auf einer Hochebene ein aus¬
gedehntes Dorf, welches seit länger als hundert Jahren von Albanesen bewohnt
wird. In einem Kriege vor den Türken geflohen, hatten sie in Sizilien ein
Asyl erhalten und sich ans dem „Piano" angebaut. Seit mehreren Jahren
kannte ich einen dieser „Griechen," wie sie hier allgemein genannt werden, den


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[0234] Es vergingen unter diesem milden und klaren Himmel die Tage in Heiterkeit und Frohsinn. Mau hielt sich fast immer im Freien auf. Sobald aber die Sonue sich unter den Horizont des Meeres getaucht hatte, waren schon wieder viele Hände geschäftig, einen Kerzenhimmcl anzuzünden. Oft wurden uns von den Fürsten und Reichen Palermos Festlichkeiten bereitet mit Musik und Tanz, oder wir wurden mit Dichtkunst und lebenden Bildern unterhalten. Denn noch immer ist Sizilien wie im Altertum reich an dichterischen Talenten, und der Boden erzeugt noch immer seine Theokrite. Eine junge Freundin, die Tochter des Barons Torrisv, beschenkte uns mit schonen Blüten der Dichtkunst. Die Kaiserin, davon aufrichtig erfreut, ließ sie zu sich laden und überreichte ihr einen schönen Schmuck zum Andenken. Auch der Karneval wurde im Winter mit ganz besondern! Glänze gefeiert, und die Kaiserin besuchte ihn, in ihrem Wagen durch die geschmückten Straßen fahrend. Als ich eines Morgens im Garten, wie gewöhnlich, zeichne, ruft von der Villa herab eine Stimme: „Guten Morgen, Runde! Gratulire zum neuen Jahr! Welche himmlische Luft und Vlumenpracht!" Es war die Kaiserin, welche mich an den ersten Januar des neuen Jahres 1846 erinnerte. Ich hatte seiner nicht gedacht; war doch für mich jeder dieser Tage ein Neujahrstag. Er verging denn auch so sonnig wie alle andern Tage. Am dreizehnten Januar wurde in der Kapelle, unter Lobgesang, Gebet und Weihrauchduft, der Neujahrstag der Griechen gefeiert. Nach dem Gottesdienste versammelten sich der russische Adel, die Offiziere der kleinen Flotte und der sizilicmische Adel unten im Garten, um ihre Glückwünsche darzubringen. Wie gewöhnlich war hier das Gabelfrühstück aufgestellt, nur etwas reicher. Die Kaiserin thronte in einem großen Armsessel, die linke Hand zum Handkuß auf die Armlehne gelegt. Zuerst kamen die Kavaliere, einer nach dem andern, und verbeugten sich, nach ihnen die Damen, welche die segensreiche Hand küßten. Die Großfürstin stand in ihrer natürlich-anmutigen Haltung in der Nähe der Kaiserin und reichte auch ihre schöne Hand nach allen Seiten zum Kusse. Sie unterhielt sich freundlich und schien überglücklich. Nachdem die Kaiserin die Versammlung aufgehoben und sich in ihre Gemächer zurückgezogen hatte, wurde die reichbesetzte Tafel von den Offiziere» gleich einer Festung bestürmt und, wie ich vermute, auch erobert. Ich sprach schon früher von den Frauen des Piano dei Greei. Nun sollten auch diese uns ein Fest bereiten. Mehrere Miglien von Palermo entfernt liegt auf einer Hochebene ein aus¬ gedehntes Dorf, welches seit länger als hundert Jahren von Albanesen bewohnt wird. In einem Kriege vor den Türken geflohen, hatten sie in Sizilien ein Asyl erhalten und sich ans dem „Piano" angebaut. Seit mehreren Jahren kannte ich einen dieser „Griechen," wie sie hier allgemein genannt werden, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/234>, abgerufen am 22.07.2024.