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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die russische Raiserfamilio in Palermo. (l, 3^5--^6.)

sie einige Zeilen des Bedauerns an den Grafen und sandte ihm durch mich die
Sachen als Ersatz für die gestohlenen.

Am nächsten Morgen, nachdem die Kaiserin einen Spaziergang im Garten
gemacht hatte, trugen die Kammerkosaken ein Sofn nach dem schattigsten Platze,
worauf die Kaiserin sich mit Sticken beschäftigte, umgeben von ihrer königlichen
Schwester und den andern Damen, welche ebenfalls mit farbiger Wolle nach
Mustern Selekten. Während der Pausen wurde aus einem Buche vorgelesen.

An dein Eingänge zu diesem kleinen Paradiese standen in einiger Entfernung
zwei Tscherkessen, gleich Schutzengeln, jedoch das Schwert in der Scheide, jeden
Eindringling abwehrend mit dem einfachen Ausrufe: "Nils!"

An einem der folgenden Tage war die Situation eine ganz ähnliche.
Auch ich saß, nicht weit von der hohen Gesellschaft, auf meinem Felostnhle,
unter dem weit ausgespannten Schirme, mit Zeichnen beschäftigt. Plötzlich fallen
ein paar große Tropfen, und es folgt ein dichter Platzregen. Die ganze Ge¬
sellschaft schreckt auf und stiebt auseinander wie eine Schaar flüchtiger Tauben.
Die Großfürstin Olga eilte gleich einer schnellfüßigen Diana ins Haus. Ich
sprang schnell auf und suchte den Stuhlwagen der Kaiserin mit meinem großen
Malerschirme zu schützen und vor dem Umfallen zu bewahren, da man ihn in
der Hast auf die Steiueinfassung des Bassins fuhr.

Nach einer Stunde, als sich die durchnäßten kaiserlichen Damen umgekleidet
hatten, lachte man im Garten bei einem opulenten Gabelfrühstück über die plötz¬
liche Überraschung aus dem "ewig heitern" sizilianischen Himmel.

Der Kaiser Nikolaus, ein Mann in frischer Fülle der Gesundheit, groß
und kräftig, ohne stark zu sein, schnell und bestimmt in seinen Bewegungen,
flößte mir immer Vertrauen, ja Liebe ein; seinen Russen gegenüber trat er als
Herrscher und Gebieter auf; sein Blick wurde oft starr und blitzend, sodaß er
wohl mehr Furcht als Liebe einflößen mochte. Bei öffentlichen Handlungen
schien jede Bewegung aufs Jmponiren berechnet.

Im engern Familienkreise war der Kaiser ein zärtlicher Gatte und Vater,
unter seinen Vertrauten liebenswürdig und unbefangen. Wohl mochte diese
Zeit die schönste seines Lebens sein. Sah er doch in diesem irdischen Paradiese
die Kaiserin täglich wohler und glücklicher werden; hatte er doch die Tochter,
Verwandte und Geliebte nahe und wußte sie alle zufrieden! Der Kaiser war
selbst dem Scherze nicht abgeneigt. Oft suchte er sich aus der Menge der zum
Spazierritt vorgeführten Esel den cillerkleinsten aus, sodaß er mit den eignen
Füßen auf der Erde laufen mußte. Auch mcmövrirte er vor dem Ausritt nicht
selten im Garten zu Esel mit seinen Staatsmännern und Generalen, die es sich
dann zum allgemeinen Gaudium gefalle" lassen mußten, von ihm in die Büsche
hineingeritten zu werden.

Eines Mittags kehrte er etwas früher als die übrige Gesellschaft zurück
und klagte mir sein Malheur. Der Esel habe ihn abgeworfen! So etwas


Die russische Raiserfamilio in Palermo. (l, 3^5—^6.)

sie einige Zeilen des Bedauerns an den Grafen und sandte ihm durch mich die
Sachen als Ersatz für die gestohlenen.

Am nächsten Morgen, nachdem die Kaiserin einen Spaziergang im Garten
gemacht hatte, trugen die Kammerkosaken ein Sofn nach dem schattigsten Platze,
worauf die Kaiserin sich mit Sticken beschäftigte, umgeben von ihrer königlichen
Schwester und den andern Damen, welche ebenfalls mit farbiger Wolle nach
Mustern Selekten. Während der Pausen wurde aus einem Buche vorgelesen.

An dein Eingänge zu diesem kleinen Paradiese standen in einiger Entfernung
zwei Tscherkessen, gleich Schutzengeln, jedoch das Schwert in der Scheide, jeden
Eindringling abwehrend mit dem einfachen Ausrufe: „Nils!"

An einem der folgenden Tage war die Situation eine ganz ähnliche.
Auch ich saß, nicht weit von der hohen Gesellschaft, auf meinem Felostnhle,
unter dem weit ausgespannten Schirme, mit Zeichnen beschäftigt. Plötzlich fallen
ein paar große Tropfen, und es folgt ein dichter Platzregen. Die ganze Ge¬
sellschaft schreckt auf und stiebt auseinander wie eine Schaar flüchtiger Tauben.
Die Großfürstin Olga eilte gleich einer schnellfüßigen Diana ins Haus. Ich
sprang schnell auf und suchte den Stuhlwagen der Kaiserin mit meinem großen
Malerschirme zu schützen und vor dem Umfallen zu bewahren, da man ihn in
der Hast auf die Steiueinfassung des Bassins fuhr.

Nach einer Stunde, als sich die durchnäßten kaiserlichen Damen umgekleidet
hatten, lachte man im Garten bei einem opulenten Gabelfrühstück über die plötz¬
liche Überraschung aus dem „ewig heitern" sizilianischen Himmel.

Der Kaiser Nikolaus, ein Mann in frischer Fülle der Gesundheit, groß
und kräftig, ohne stark zu sein, schnell und bestimmt in seinen Bewegungen,
flößte mir immer Vertrauen, ja Liebe ein; seinen Russen gegenüber trat er als
Herrscher und Gebieter auf; sein Blick wurde oft starr und blitzend, sodaß er
wohl mehr Furcht als Liebe einflößen mochte. Bei öffentlichen Handlungen
schien jede Bewegung aufs Jmponiren berechnet.

Im engern Familienkreise war der Kaiser ein zärtlicher Gatte und Vater,
unter seinen Vertrauten liebenswürdig und unbefangen. Wohl mochte diese
Zeit die schönste seines Lebens sein. Sah er doch in diesem irdischen Paradiese
die Kaiserin täglich wohler und glücklicher werden; hatte er doch die Tochter,
Verwandte und Geliebte nahe und wußte sie alle zufrieden! Der Kaiser war
selbst dem Scherze nicht abgeneigt. Oft suchte er sich aus der Menge der zum
Spazierritt vorgeführten Esel den cillerkleinsten aus, sodaß er mit den eignen
Füßen auf der Erde laufen mußte. Auch mcmövrirte er vor dem Ausritt nicht
selten im Garten zu Esel mit seinen Staatsmännern und Generalen, die es sich
dann zum allgemeinen Gaudium gefalle» lassen mußten, von ihm in die Büsche
hineingeritten zu werden.

Eines Mittags kehrte er etwas früher als die übrige Gesellschaft zurück
und klagte mir sein Malheur. Der Esel habe ihn abgeworfen! So etwas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/232>, abgerufen am 22.07.2024.