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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Von Kleist, wie sie überhaupt durch ihr energisches Naturell und die Liebe für
starke, leidenschaftliche Charaktere, zu denen noch andre hinzutreten, die an über¬
reiztem Pflichtgefühl leiden, sich als eine Geistesverwandte des grossen, spezifisch
Preußischen Dichters offenbart.

Zunächst stehen sich in der vollendetsten Novelle der Sammlung "Der
Herr im Hause" zwei gleich Willensstärke, selbstherrliche Menschen gegenüber,
ein Mann und ein Weib, die sich lieben, aber nur verbinden können, nachdem
das Weib sich dem Manne unterworfen hat. Die Handlung ist hier mit sehr
glücklichen Naturbildern in die Mark verlegt. Die Müllerin Jelde von der
Buchenmühle hat einen trunksüchtigen Taugenichts zum Manne; sie führt das
Regiment im Hanse, wie sie's schon als halberwachsenes Mädchen bei ihrem
kinderreichen, früh verwitweten Vater geführt hat. Und bei ihrer wackern Wirt¬
schaft gedeiht das Geschäft ganz trefflich. Sie hat einen tüchtigen Gesellen,
dem sie wegen seiner Brauchbarkeit eine vertrauliche Stellung in ihrem Hause
einräumt, aber jeden Übergriff ans seiner Dienstbarkeit energisch, oft auch hand¬
greiflich abwehrt; sie kann es thun, denn sie ist auch körperlich eine starke Person.
Da lernt sie den Schulmeister des Dorfes, Wrvukow, kennen: einen hübschen,
aber äußerlich schwachen Jungen, einen menschenscheuen, verschlossenen, sehr em¬
pfindlichen Mann, aber hinter dem schwachen Aussehe" verbirgt sich ein scharfer
Geist, ein klarer Beobachter, ein unbeugsamer Wille. Dieser Wronkow verliebt sich
in die Müllerin; ihr herrisches Wesen jedoch, die Art, wie sie mit ihrem Gesellen
verkehrt, dem er eifersüchtig jedes gute Wort der Müllerin mißgönnt, stößt ihn
wieder von ihr ab. Es wird nun sein Kampf gegen die Leidenschaft, sein Ringen
mit dem Nebenbuhler geschildert, der dem durch die Leidenschaft auch Physisch
stärker gewordenen Schulmeister das Feld räumen muß. Zufällig stirbt auch
noch der Manu der Müllerin und diese, welche längst Wronkow lieb gewonnen,
schlägt ihm vor, sie zu heirate". Aber da kommt sie schön an. "Was sagst
du? -- Ich frage, ob du zu mir kommen willst und bei mir bleiben. -- Ich
hierher kommen? rief er und seine Augen flammte" auf -- daß du mich von
einem Winkel in den andern schiebst, hier auf den Stuhl drückst, wie eine Puppe,
über mich weg mit einem andern. . . Nie -- und wenn es um mein -- und
dein Leben ginge -- mich hier zu Tode trinken! Glaubt es mir nur, Gott
selbst bringt mich nicht zur Mühle." Er ist eben zu stolz, ihr willenlos an¬
zuhängen, ihr "Spielpudel" zu sein, und so eilt er ohne Gruß von ihr. Aber
nach einigen Wochen erscheint die Müllerin bei ihm im Schulhause und erzwingt
sich Gehör bei dem Schmollenden. Sie hat die Mühle verkauft, sie kann ohne
ihn nicht leben, sie will seine Magd sein. Da endlich sagt er: "Bleibe bei mir,
wir werden uns vertragen!"

Die andern drei Novellen des Bandes können nicht auf den gleichen Wert
Anspruch erheben, wie die bisher skizzirten. Obgleich auch sie viel geistreiche
Züge enthalten, so leiden sie doch unter einer unüberwundenen Sentimentalität.


Von Kleist, wie sie überhaupt durch ihr energisches Naturell und die Liebe für
starke, leidenschaftliche Charaktere, zu denen noch andre hinzutreten, die an über¬
reiztem Pflichtgefühl leiden, sich als eine Geistesverwandte des grossen, spezifisch
Preußischen Dichters offenbart.

Zunächst stehen sich in der vollendetsten Novelle der Sammlung „Der
Herr im Hause" zwei gleich Willensstärke, selbstherrliche Menschen gegenüber,
ein Mann und ein Weib, die sich lieben, aber nur verbinden können, nachdem
das Weib sich dem Manne unterworfen hat. Die Handlung ist hier mit sehr
glücklichen Naturbildern in die Mark verlegt. Die Müllerin Jelde von der
Buchenmühle hat einen trunksüchtigen Taugenichts zum Manne; sie führt das
Regiment im Hanse, wie sie's schon als halberwachsenes Mädchen bei ihrem
kinderreichen, früh verwitweten Vater geführt hat. Und bei ihrer wackern Wirt¬
schaft gedeiht das Geschäft ganz trefflich. Sie hat einen tüchtigen Gesellen,
dem sie wegen seiner Brauchbarkeit eine vertrauliche Stellung in ihrem Hause
einräumt, aber jeden Übergriff ans seiner Dienstbarkeit energisch, oft auch hand¬
greiflich abwehrt; sie kann es thun, denn sie ist auch körperlich eine starke Person.
Da lernt sie den Schulmeister des Dorfes, Wrvukow, kennen: einen hübschen,
aber äußerlich schwachen Jungen, einen menschenscheuen, verschlossenen, sehr em¬
pfindlichen Mann, aber hinter dem schwachen Aussehe» verbirgt sich ein scharfer
Geist, ein klarer Beobachter, ein unbeugsamer Wille. Dieser Wronkow verliebt sich
in die Müllerin; ihr herrisches Wesen jedoch, die Art, wie sie mit ihrem Gesellen
verkehrt, dem er eifersüchtig jedes gute Wort der Müllerin mißgönnt, stößt ihn
wieder von ihr ab. Es wird nun sein Kampf gegen die Leidenschaft, sein Ringen
mit dem Nebenbuhler geschildert, der dem durch die Leidenschaft auch Physisch
stärker gewordenen Schulmeister das Feld räumen muß. Zufällig stirbt auch
noch der Manu der Müllerin und diese, welche längst Wronkow lieb gewonnen,
schlägt ihm vor, sie zu heirate». Aber da kommt sie schön an. „Was sagst
du? — Ich frage, ob du zu mir kommen willst und bei mir bleiben. — Ich
hierher kommen? rief er und seine Augen flammte» auf — daß du mich von
einem Winkel in den andern schiebst, hier auf den Stuhl drückst, wie eine Puppe,
über mich weg mit einem andern. . . Nie — und wenn es um mein — und
dein Leben ginge — mich hier zu Tode trinken! Glaubt es mir nur, Gott
selbst bringt mich nicht zur Mühle." Er ist eben zu stolz, ihr willenlos an¬
zuhängen, ihr „Spielpudel" zu sein, und so eilt er ohne Gruß von ihr. Aber
nach einigen Wochen erscheint die Müllerin bei ihm im Schulhause und erzwingt
sich Gehör bei dem Schmollenden. Sie hat die Mühle verkauft, sie kann ohne
ihn nicht leben, sie will seine Magd sein. Da endlich sagt er: „Bleibe bei mir,
wir werden uns vertragen!"

Die andern drei Novellen des Bandes können nicht auf den gleichen Wert
Anspruch erheben, wie die bisher skizzirten. Obgleich auch sie viel geistreiche
Züge enthalten, so leiden sie doch unter einer unüberwundenen Sentimentalität.


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[0221] Von Kleist, wie sie überhaupt durch ihr energisches Naturell und die Liebe für starke, leidenschaftliche Charaktere, zu denen noch andre hinzutreten, die an über¬ reiztem Pflichtgefühl leiden, sich als eine Geistesverwandte des grossen, spezifisch Preußischen Dichters offenbart. Zunächst stehen sich in der vollendetsten Novelle der Sammlung „Der Herr im Hause" zwei gleich Willensstärke, selbstherrliche Menschen gegenüber, ein Mann und ein Weib, die sich lieben, aber nur verbinden können, nachdem das Weib sich dem Manne unterworfen hat. Die Handlung ist hier mit sehr glücklichen Naturbildern in die Mark verlegt. Die Müllerin Jelde von der Buchenmühle hat einen trunksüchtigen Taugenichts zum Manne; sie führt das Regiment im Hanse, wie sie's schon als halberwachsenes Mädchen bei ihrem kinderreichen, früh verwitweten Vater geführt hat. Und bei ihrer wackern Wirt¬ schaft gedeiht das Geschäft ganz trefflich. Sie hat einen tüchtigen Gesellen, dem sie wegen seiner Brauchbarkeit eine vertrauliche Stellung in ihrem Hause einräumt, aber jeden Übergriff ans seiner Dienstbarkeit energisch, oft auch hand¬ greiflich abwehrt; sie kann es thun, denn sie ist auch körperlich eine starke Person. Da lernt sie den Schulmeister des Dorfes, Wrvukow, kennen: einen hübschen, aber äußerlich schwachen Jungen, einen menschenscheuen, verschlossenen, sehr em¬ pfindlichen Mann, aber hinter dem schwachen Aussehe» verbirgt sich ein scharfer Geist, ein klarer Beobachter, ein unbeugsamer Wille. Dieser Wronkow verliebt sich in die Müllerin; ihr herrisches Wesen jedoch, die Art, wie sie mit ihrem Gesellen verkehrt, dem er eifersüchtig jedes gute Wort der Müllerin mißgönnt, stößt ihn wieder von ihr ab. Es wird nun sein Kampf gegen die Leidenschaft, sein Ringen mit dem Nebenbuhler geschildert, der dem durch die Leidenschaft auch Physisch stärker gewordenen Schulmeister das Feld räumen muß. Zufällig stirbt auch noch der Manu der Müllerin und diese, welche längst Wronkow lieb gewonnen, schlägt ihm vor, sie zu heirate». Aber da kommt sie schön an. „Was sagst du? — Ich frage, ob du zu mir kommen willst und bei mir bleiben. — Ich hierher kommen? rief er und seine Augen flammte» auf — daß du mich von einem Winkel in den andern schiebst, hier auf den Stuhl drückst, wie eine Puppe, über mich weg mit einem andern. . . Nie — und wenn es um mein — und dein Leben ginge — mich hier zu Tode trinken! Glaubt es mir nur, Gott selbst bringt mich nicht zur Mühle." Er ist eben zu stolz, ihr willenlos an¬ zuhängen, ihr „Spielpudel" zu sein, und so eilt er ohne Gruß von ihr. Aber nach einigen Wochen erscheint die Müllerin bei ihm im Schulhause und erzwingt sich Gehör bei dem Schmollenden. Sie hat die Mühle verkauft, sie kann ohne ihn nicht leben, sie will seine Magd sein. Da endlich sagt er: „Bleibe bei mir, wir werden uns vertragen!" Die andern drei Novellen des Bandes können nicht auf den gleichen Wert Anspruch erheben, wie die bisher skizzirten. Obgleich auch sie viel geistreiche Züge enthalten, so leiden sie doch unter einer unüberwundenen Sentimentalität.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/221>, abgerufen am 26.08.2024.