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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Margarethe von Büloro.

ab. "Sie sah ihn einige Augenblicke stumm an und dann in die Luft hinein.
Über ihr Gesicht breitete sich wieder der starre, ernste Ausdruck des Fatalismus,
deu die Natur, wo sie herrscht, dem Menschen aufzwingt."

Hier, in dieser trübseligen Auffassung von der Gewalt der Natur über den
Menschen, offenbart sich, wie ich glaube, die Abhängigkeit der Bülow von
Turgenjew. Denn der deutscheu Dichtung ist die Natur eine alllicbendc
Mutter, an deren Busen das kranke Herz gesundet, dem Deutschen ist die Natur
"vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Die
Anschauung, daß sie der Feind des Menschen sei, ist spezifisches Eigentum des
Dichters der weiten, wüsten Steppe, des Russen Turgenjew.

Aber merkwürdig ist, daß im übrigen sich ein Einfluß desselben auf unsre
Dichterin nicht bemerkbar macht, ja daß sie in Motiven, die sonst die meiste
Nachahmung fanden, z. B. durch Ossip Schubin, sich die vollständigste Unab¬
hängigkeit von seiner Poesie bewahrte. Es ist bekannt, daß Turgenjews
Männer man kann sagen durchwegs schwache, disharmonische, energielose
Menschen sind, daß Turgenjew mit Vorliebe das Hmnletmvtiv in wirklich be-
wundernswerter Weise variirte; die Gestalten der Bülow hingegen sind ebenso
Menschen von ganz ungewöhnlicher Willensstärke, von einer Macht der Leiden¬
schaft, die vor dem äußersten nicht zurückschreckt, und als ihre ganz besondre
Eigentümlichkeit kann man die Vorliebe bezeichnen, ans der gestörten Harmonie
mit sich selbst, in Naturen, die sonst mit der vollsten Selbstbeherrschung durchs
Leben gehen, die tragische Katastrophe abzuleiten. Das sahen wir schon bei
dem jungen Förster; auch sein Nebenbuhler, der Städter Ottfried, wird als eine
von Haus aus harmonische Natur charcckterisirt: "Man sah es ihm nicht an,
nicht an dem biegsamen Körper, nicht an den leichten Bewegungen, viel weniger
noch an den himmelsguten Augen: das Leben war noch niemals stärker gewesen
als er____ Er hatte als junger Mann dem Vergnügen gelebt, er wollte sehen,
was das Leben bot; aber sein scharfer Blick ließ ihn richtig greifen, er kam
niemals mit sich selbst in Kampf, und den klaren Blick der schönen Augen
brachte er ungetrübt aus der Sturmzeit heraus." Und als dieser Mann dann
das Fieber in sich spürt, da wird erzählt: "Seine Gedanken nahmen eine so
bedenklich romantische Richtung, daß er sich bestürzt nach dem Puls griff:
Fieber! Sobald ers wußte, wurde er darüber Herr." Das ist wohl der vollste
Gegensatz zu Turgenjewscher Unmännlichkeit.

Und erst der Oberleutnant Percy in der gleichnamigen Novelle, wohl der
originellsten, die der Band enthält. Auch er ein Mensch, der sich davor fürchtet,
die Herrschaft über sich selbst zu verlieren: "Denn so etwas, was einem über
Kopf und Willen wächst, ist ein Unglück, da magst du nun darüber denken, was
dn Lust hast," sagt er selbst einmal. "Peres ist ein ganzer Kerl und ich mag
ihn. Fein, ja furchtbar fein -- er faßt keine Thürklinke ohne Handschuhe an --
aber wenn's Not thut, greift er mit denselben Handen in glühendes Eisen und


Margarethe von Büloro.

ab. „Sie sah ihn einige Augenblicke stumm an und dann in die Luft hinein.
Über ihr Gesicht breitete sich wieder der starre, ernste Ausdruck des Fatalismus,
deu die Natur, wo sie herrscht, dem Menschen aufzwingt."

Hier, in dieser trübseligen Auffassung von der Gewalt der Natur über den
Menschen, offenbart sich, wie ich glaube, die Abhängigkeit der Bülow von
Turgenjew. Denn der deutscheu Dichtung ist die Natur eine alllicbendc
Mutter, an deren Busen das kranke Herz gesundet, dem Deutschen ist die Natur
„vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Die
Anschauung, daß sie der Feind des Menschen sei, ist spezifisches Eigentum des
Dichters der weiten, wüsten Steppe, des Russen Turgenjew.

Aber merkwürdig ist, daß im übrigen sich ein Einfluß desselben auf unsre
Dichterin nicht bemerkbar macht, ja daß sie in Motiven, die sonst die meiste
Nachahmung fanden, z. B. durch Ossip Schubin, sich die vollständigste Unab¬
hängigkeit von seiner Poesie bewahrte. Es ist bekannt, daß Turgenjews
Männer man kann sagen durchwegs schwache, disharmonische, energielose
Menschen sind, daß Turgenjew mit Vorliebe das Hmnletmvtiv in wirklich be-
wundernswerter Weise variirte; die Gestalten der Bülow hingegen sind ebenso
Menschen von ganz ungewöhnlicher Willensstärke, von einer Macht der Leiden¬
schaft, die vor dem äußersten nicht zurückschreckt, und als ihre ganz besondre
Eigentümlichkeit kann man die Vorliebe bezeichnen, ans der gestörten Harmonie
mit sich selbst, in Naturen, die sonst mit der vollsten Selbstbeherrschung durchs
Leben gehen, die tragische Katastrophe abzuleiten. Das sahen wir schon bei
dem jungen Förster; auch sein Nebenbuhler, der Städter Ottfried, wird als eine
von Haus aus harmonische Natur charcckterisirt: „Man sah es ihm nicht an,
nicht an dem biegsamen Körper, nicht an den leichten Bewegungen, viel weniger
noch an den himmelsguten Augen: das Leben war noch niemals stärker gewesen
als er____ Er hatte als junger Mann dem Vergnügen gelebt, er wollte sehen,
was das Leben bot; aber sein scharfer Blick ließ ihn richtig greifen, er kam
niemals mit sich selbst in Kampf, und den klaren Blick der schönen Augen
brachte er ungetrübt aus der Sturmzeit heraus." Und als dieser Mann dann
das Fieber in sich spürt, da wird erzählt: „Seine Gedanken nahmen eine so
bedenklich romantische Richtung, daß er sich bestürzt nach dem Puls griff:
Fieber! Sobald ers wußte, wurde er darüber Herr." Das ist wohl der vollste
Gegensatz zu Turgenjewscher Unmännlichkeit.

Und erst der Oberleutnant Percy in der gleichnamigen Novelle, wohl der
originellsten, die der Band enthält. Auch er ein Mensch, der sich davor fürchtet,
die Herrschaft über sich selbst zu verlieren: „Denn so etwas, was einem über
Kopf und Willen wächst, ist ein Unglück, da magst du nun darüber denken, was
dn Lust hast," sagt er selbst einmal. „Peres ist ein ganzer Kerl und ich mag
ihn. Fein, ja furchtbar fein — er faßt keine Thürklinke ohne Handschuhe an —
aber wenn's Not thut, greift er mit denselben Handen in glühendes Eisen und


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[0219] Margarethe von Büloro. ab. „Sie sah ihn einige Augenblicke stumm an und dann in die Luft hinein. Über ihr Gesicht breitete sich wieder der starre, ernste Ausdruck des Fatalismus, deu die Natur, wo sie herrscht, dem Menschen aufzwingt." Hier, in dieser trübseligen Auffassung von der Gewalt der Natur über den Menschen, offenbart sich, wie ich glaube, die Abhängigkeit der Bülow von Turgenjew. Denn der deutscheu Dichtung ist die Natur eine alllicbendc Mutter, an deren Busen das kranke Herz gesundet, dem Deutschen ist die Natur „vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual." Die Anschauung, daß sie der Feind des Menschen sei, ist spezifisches Eigentum des Dichters der weiten, wüsten Steppe, des Russen Turgenjew. Aber merkwürdig ist, daß im übrigen sich ein Einfluß desselben auf unsre Dichterin nicht bemerkbar macht, ja daß sie in Motiven, die sonst die meiste Nachahmung fanden, z. B. durch Ossip Schubin, sich die vollständigste Unab¬ hängigkeit von seiner Poesie bewahrte. Es ist bekannt, daß Turgenjews Männer man kann sagen durchwegs schwache, disharmonische, energielose Menschen sind, daß Turgenjew mit Vorliebe das Hmnletmvtiv in wirklich be- wundernswerter Weise variirte; die Gestalten der Bülow hingegen sind ebenso Menschen von ganz ungewöhnlicher Willensstärke, von einer Macht der Leiden¬ schaft, die vor dem äußersten nicht zurückschreckt, und als ihre ganz besondre Eigentümlichkeit kann man die Vorliebe bezeichnen, ans der gestörten Harmonie mit sich selbst, in Naturen, die sonst mit der vollsten Selbstbeherrschung durchs Leben gehen, die tragische Katastrophe abzuleiten. Das sahen wir schon bei dem jungen Förster; auch sein Nebenbuhler, der Städter Ottfried, wird als eine von Haus aus harmonische Natur charcckterisirt: „Man sah es ihm nicht an, nicht an dem biegsamen Körper, nicht an den leichten Bewegungen, viel weniger noch an den himmelsguten Augen: das Leben war noch niemals stärker gewesen als er____ Er hatte als junger Mann dem Vergnügen gelebt, er wollte sehen, was das Leben bot; aber sein scharfer Blick ließ ihn richtig greifen, er kam niemals mit sich selbst in Kampf, und den klaren Blick der schönen Augen brachte er ungetrübt aus der Sturmzeit heraus." Und als dieser Mann dann das Fieber in sich spürt, da wird erzählt: „Seine Gedanken nahmen eine so bedenklich romantische Richtung, daß er sich bestürzt nach dem Puls griff: Fieber! Sobald ers wußte, wurde er darüber Herr." Das ist wohl der vollste Gegensatz zu Turgenjewscher Unmännlichkeit. Und erst der Oberleutnant Percy in der gleichnamigen Novelle, wohl der originellsten, die der Band enthält. Auch er ein Mensch, der sich davor fürchtet, die Herrschaft über sich selbst zu verlieren: „Denn so etwas, was einem über Kopf und Willen wächst, ist ein Unglück, da magst du nun darüber denken, was dn Lust hast," sagt er selbst einmal. „Peres ist ein ganzer Kerl und ich mag ihn. Fein, ja furchtbar fein — er faßt keine Thürklinke ohne Handschuhe an — aber wenn's Not thut, greift er mit denselben Handen in glühendes Eisen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/219>, abgerufen am 26.08.2024.