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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die griechische Frage.

weil es bei uns Sympathien zu erhalten wünscht, die es für sein Interesse am
Mittelmeere England gegenüber zu bedürfen glaubt. Rußland glaubt, daß in
Bulgarien noch nicht das letzte Wort gesprochen sei, daß es dort seinen Einfluß
wieder stärken^könne, daß es gut für feine letzten Ziele sei, wenn auf der Balkan¬
halbinsel Ungewißheit und Unzufriedenheit herrschen, und daß es ihm in gleichem
Maße nütze, wenn die Pforte durch langdauernde Kriegsbereitschaft finanziell
geschwächt oder gar zu Grunde gerichtet wird. Leider sieht es nach manchen
Anzeichen aus, als ob die griechische Berechnung zutreffen konnte, und als ob
das europäische Konzert in dieser Frage, d, h. in Sachen der Zwangsmaßregeln,
sich auflösen wollte. Jedenfalls ist es auffällig, daß die französischen Offiziere,
welche die griechische Armee als Drillmeister eingeübt haben, sich noch immer
im griechischen Lager befinden, und daß Schiffe der französischen Leucmtestation
noch immer im Piräus liegen und angewiesen sind, diesen Hafen nicht ohne aus¬
drücklichen Befehl des Mariueministers zu verlassen. Anderseits soll die russische
Negierung zwar gewillt sein, sich mit den andern Mächten an einer Blockade
zu beteiligen, aber der Verdacht ist nicht abzuweisen, sie werde sich dazu nur
herbeilassen, um kräftigere Maßregeln zu verhüten. Dazu kommt jetzt noch die
Reise des russischen Gesandten in Athen nach Livadia zum Kaiser, und die
Nachricht, daß er zuvor lange Unterredungen mit dem Könige Georg und
Delycmnis gehabt hat, in denen man eine Beruhigung und Ermutigung der
widerspenstigen Griechen erblicken will.

Am 7. April hat an Bord des englischen Admiralschiffes in der Suda-
hnese unter dem Vorsitze des Herzogs von Edinburg ein Kriegsrat stattgefunden,
an welchem die Befehlshaber des nunmehr dort vollzählig versammelten euro¬
päischen Geschwaders teilnahmen. Dem Vernehmen nach regte hier der Wort¬
führer Englands den Gedanken von Gewaltmaßregeln gegen die hellenische
Flotte, ja von einer eventuellen Vernichtung derselben an. Es kam aber nur zu
dem Beschlusse, die Buchten und Häfen Südgriechenlands streng zu überwachen,
da die Instruktionen der nichtenglischcn Admiräle nicht weiter reichten. Der
russische namentlich wollte nur Vollmacht haben, sich an einer Blockade zu be¬
teiligen, und der französische drückte sich zwar nicht so bestimmt aus, man weiß
aber, daß er, wenn es zum Handeln kommen sollte, wie der Russe verfahre"
würde. Die Einigkeit unter den Mächten läßt also zu wünschen übrig. Indes
ist anzunehmen, daß wenigstens keine derselben jetzt noch Einspruch thun würde,
wenn die Pforte endlich selbst kriegerisch gegen Griechenland vorgehen wollte.
Der Sultan hat bis jetzt große Geduld an den Tag gelegt und auch den Schein
vermieden, als dächte er daran, den Frieden zu stören. Treibt man aber in
Athen die Dinge weiter bis zum äußersten, so wird ihm, wenn er dann die
Waffen dagegen braucht, die Billigung der Mächte nicht vorenthalten bleiben,
da eine gewaltsame Entscheidung des von Griechenland angezettelten Handels,
die jedenfalls mir einige Tage dauern würde, immerhin den nunmehr schon


Die griechische Frage.

weil es bei uns Sympathien zu erhalten wünscht, die es für sein Interesse am
Mittelmeere England gegenüber zu bedürfen glaubt. Rußland glaubt, daß in
Bulgarien noch nicht das letzte Wort gesprochen sei, daß es dort seinen Einfluß
wieder stärken^könne, daß es gut für feine letzten Ziele sei, wenn auf der Balkan¬
halbinsel Ungewißheit und Unzufriedenheit herrschen, und daß es ihm in gleichem
Maße nütze, wenn die Pforte durch langdauernde Kriegsbereitschaft finanziell
geschwächt oder gar zu Grunde gerichtet wird. Leider sieht es nach manchen
Anzeichen aus, als ob die griechische Berechnung zutreffen konnte, und als ob
das europäische Konzert in dieser Frage, d, h. in Sachen der Zwangsmaßregeln,
sich auflösen wollte. Jedenfalls ist es auffällig, daß die französischen Offiziere,
welche die griechische Armee als Drillmeister eingeübt haben, sich noch immer
im griechischen Lager befinden, und daß Schiffe der französischen Leucmtestation
noch immer im Piräus liegen und angewiesen sind, diesen Hafen nicht ohne aus¬
drücklichen Befehl des Mariueministers zu verlassen. Anderseits soll die russische
Negierung zwar gewillt sein, sich mit den andern Mächten an einer Blockade
zu beteiligen, aber der Verdacht ist nicht abzuweisen, sie werde sich dazu nur
herbeilassen, um kräftigere Maßregeln zu verhüten. Dazu kommt jetzt noch die
Reise des russischen Gesandten in Athen nach Livadia zum Kaiser, und die
Nachricht, daß er zuvor lange Unterredungen mit dem Könige Georg und
Delycmnis gehabt hat, in denen man eine Beruhigung und Ermutigung der
widerspenstigen Griechen erblicken will.

Am 7. April hat an Bord des englischen Admiralschiffes in der Suda-
hnese unter dem Vorsitze des Herzogs von Edinburg ein Kriegsrat stattgefunden,
an welchem die Befehlshaber des nunmehr dort vollzählig versammelten euro¬
päischen Geschwaders teilnahmen. Dem Vernehmen nach regte hier der Wort¬
führer Englands den Gedanken von Gewaltmaßregeln gegen die hellenische
Flotte, ja von einer eventuellen Vernichtung derselben an. Es kam aber nur zu
dem Beschlusse, die Buchten und Häfen Südgriechenlands streng zu überwachen,
da die Instruktionen der nichtenglischcn Admiräle nicht weiter reichten. Der
russische namentlich wollte nur Vollmacht haben, sich an einer Blockade zu be¬
teiligen, und der französische drückte sich zwar nicht so bestimmt aus, man weiß
aber, daß er, wenn es zum Handeln kommen sollte, wie der Russe verfahre»
würde. Die Einigkeit unter den Mächten läßt also zu wünschen übrig. Indes
ist anzunehmen, daß wenigstens keine derselben jetzt noch Einspruch thun würde,
wenn die Pforte endlich selbst kriegerisch gegen Griechenland vorgehen wollte.
Der Sultan hat bis jetzt große Geduld an den Tag gelegt und auch den Schein
vermieden, als dächte er daran, den Frieden zu stören. Treibt man aber in
Athen die Dinge weiter bis zum äußersten, so wird ihm, wenn er dann die
Waffen dagegen braucht, die Billigung der Mächte nicht vorenthalten bleiben,
da eine gewaltsame Entscheidung des von Griechenland angezettelten Handels,
die jedenfalls mir einige Tage dauern würde, immerhin den nunmehr schon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/204>, abgerufen am 04.07.2024.