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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die naturalistische Schule in Deutschland.

Philister. So hat jeder aus seiner spezifischen Stärke sich seinen Götzen zurecht¬
gemacht und will, daß derselbe von der ganzen Kuustgcmeinde kniefällig adorirt
und beweihräuchert werde. Immer und ewig das alte: Du sollst keine andern
Götter neben mir haben!" so ist das gewiß ein kräftiges Wort gegen verknöcherten
Dogmatismus und künstlerische Einseitigkeit, aber wunderlich genug klingend
beim Vertreter einer Schule, welche das Schillersche "Segen ist der Mühe
Preis" allein gepachtet zu haben glaubt und die Welt glauben machen möchte,
daß sie allen? der ernsten künstlerischen Arbeit huldige, überhaupt allein arbeite.
Zwar nur als Mitteilung des Malers Gregor Kuöbclseder aus Capri, aber
doch wohl als innerste Überzeugung des Schriftstellers lesen wir in demselben
Phantasiestücke:

"Nenne mir heute nur einen einzigen Schrcibkünstler, der sich mit Geduld
und Ausdauer dem Studium der wirklichen Natur hingiebt, ehe er sich an den
Werktisch setzt. Nenne mir den federgewandten Mann, der keine Anstrengung,
keine Rücksichtslosigkeit scheut, um in sein schöngeistiges Werk die höchstmögliche
Summe von lebendiger Wirklichkeit, von treuer expcrimentirter Beobachtung
knapp und gewissenhaft hineinzuarbeiten! Überall herrscht die Virtuosität der
Phrase, die Bequemlichkeit der brillanten Mache, das Spiel der Geistreichelei
und Schönthuerei. Dieses nichtsnutzige Wesen trifft man nicht nur bei den
Schreibern, sondern auch bei den Zeichnern und Malern von der heiligen
Schablone und Tradition Gnaden. Und das liebe Publikum ist stumpfsinnig
und verbildet genug, um an diesem Unfuge Geschmack zu finden, ja ihn als
Reichtum einer wohlgeborner Phantasie zu preisen. So kann natürlich die
künstlerische Gewissenhaftigkeit niemals zu ihrem schönen Rechte, noch zu
lohnender Anerkennung gelangen. Denn die Kritik macht gemeinsame Sache
mit den schöngeistigen Unfugtreibern und hat nicht Verachtung genug für die
wissenschaftliche Exaktheit, für die strenge Wahrhaftigkeit, für die peinliche Ana¬
lyse in der Kunst. Das gilt ihr ja alles für eitel Sterilität und wüsten museu-
verlassenen Naturalismus.--Also zum Teufel mit der naturalistischen
Ästhetik, der unbequemen Unterordnung unter die Wahrheit. Es lebe das
Phantom, es herrsche die Fabel, es blühe der pompöse Lügenstil. Amen!"

Angesichts solcher Tiraden wird es denn doch gestattet sein, die Frage
aufzuwerfen, wie viel Anstrengung und künstlerische Gewissenhaftigkeit (neben der
goldnen Rücksichtslosigkeit, die wir Conrad nicht bestreiten wollen) dazu gehört,
um die erotischen Erinnerungen des Herrn Knöbelseder, die Erinnerungen an
"die Kuhmagd und Aphrodite von Feldmoching" und die Schilderung des
Schäferstündleins mit ihr heraufzubeschwören? Welcher wissenschaftlichen Exakt¬
heit und experimentirten Beobachtung es bedarf, um Figuren wie den ver-
kommnen Kommerzienrat Blunzenmeyer oder den ultramontanen Malcrprvfcssor
Korbinian schnellerer in Szene zu setzen? Wir sagen nicht, daß diese Figuren
unwahr wäre", und geben zu, daß sie in dem Gesamtrahmen des Bildes ihren Platz


Die naturalistische Schule in Deutschland.

Philister. So hat jeder aus seiner spezifischen Stärke sich seinen Götzen zurecht¬
gemacht und will, daß derselbe von der ganzen Kuustgcmeinde kniefällig adorirt
und beweihräuchert werde. Immer und ewig das alte: Du sollst keine andern
Götter neben mir haben!" so ist das gewiß ein kräftiges Wort gegen verknöcherten
Dogmatismus und künstlerische Einseitigkeit, aber wunderlich genug klingend
beim Vertreter einer Schule, welche das Schillersche „Segen ist der Mühe
Preis" allein gepachtet zu haben glaubt und die Welt glauben machen möchte,
daß sie allen? der ernsten künstlerischen Arbeit huldige, überhaupt allein arbeite.
Zwar nur als Mitteilung des Malers Gregor Kuöbclseder aus Capri, aber
doch wohl als innerste Überzeugung des Schriftstellers lesen wir in demselben
Phantasiestücke:

„Nenne mir heute nur einen einzigen Schrcibkünstler, der sich mit Geduld
und Ausdauer dem Studium der wirklichen Natur hingiebt, ehe er sich an den
Werktisch setzt. Nenne mir den federgewandten Mann, der keine Anstrengung,
keine Rücksichtslosigkeit scheut, um in sein schöngeistiges Werk die höchstmögliche
Summe von lebendiger Wirklichkeit, von treuer expcrimentirter Beobachtung
knapp und gewissenhaft hineinzuarbeiten! Überall herrscht die Virtuosität der
Phrase, die Bequemlichkeit der brillanten Mache, das Spiel der Geistreichelei
und Schönthuerei. Dieses nichtsnutzige Wesen trifft man nicht nur bei den
Schreibern, sondern auch bei den Zeichnern und Malern von der heiligen
Schablone und Tradition Gnaden. Und das liebe Publikum ist stumpfsinnig
und verbildet genug, um an diesem Unfuge Geschmack zu finden, ja ihn als
Reichtum einer wohlgeborner Phantasie zu preisen. So kann natürlich die
künstlerische Gewissenhaftigkeit niemals zu ihrem schönen Rechte, noch zu
lohnender Anerkennung gelangen. Denn die Kritik macht gemeinsame Sache
mit den schöngeistigen Unfugtreibern und hat nicht Verachtung genug für die
wissenschaftliche Exaktheit, für die strenge Wahrhaftigkeit, für die peinliche Ana¬
lyse in der Kunst. Das gilt ihr ja alles für eitel Sterilität und wüsten museu-
verlassenen Naturalismus.--Also zum Teufel mit der naturalistischen
Ästhetik, der unbequemen Unterordnung unter die Wahrheit. Es lebe das
Phantom, es herrsche die Fabel, es blühe der pompöse Lügenstil. Amen!"

Angesichts solcher Tiraden wird es denn doch gestattet sein, die Frage
aufzuwerfen, wie viel Anstrengung und künstlerische Gewissenhaftigkeit (neben der
goldnen Rücksichtslosigkeit, die wir Conrad nicht bestreiten wollen) dazu gehört,
um die erotischen Erinnerungen des Herrn Knöbelseder, die Erinnerungen an
„die Kuhmagd und Aphrodite von Feldmoching" und die Schilderung des
Schäferstündleins mit ihr heraufzubeschwören? Welcher wissenschaftlichen Exakt¬
heit und experimentirten Beobachtung es bedarf, um Figuren wie den ver-
kommnen Kommerzienrat Blunzenmeyer oder den ultramontanen Malcrprvfcssor
Korbinian schnellerer in Szene zu setzen? Wir sagen nicht, daß diese Figuren
unwahr wäre», und geben zu, daß sie in dem Gesamtrahmen des Bildes ihren Platz


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[0189] Die naturalistische Schule in Deutschland. Philister. So hat jeder aus seiner spezifischen Stärke sich seinen Götzen zurecht¬ gemacht und will, daß derselbe von der ganzen Kuustgcmeinde kniefällig adorirt und beweihräuchert werde. Immer und ewig das alte: Du sollst keine andern Götter neben mir haben!" so ist das gewiß ein kräftiges Wort gegen verknöcherten Dogmatismus und künstlerische Einseitigkeit, aber wunderlich genug klingend beim Vertreter einer Schule, welche das Schillersche „Segen ist der Mühe Preis" allein gepachtet zu haben glaubt und die Welt glauben machen möchte, daß sie allen? der ernsten künstlerischen Arbeit huldige, überhaupt allein arbeite. Zwar nur als Mitteilung des Malers Gregor Kuöbclseder aus Capri, aber doch wohl als innerste Überzeugung des Schriftstellers lesen wir in demselben Phantasiestücke: „Nenne mir heute nur einen einzigen Schrcibkünstler, der sich mit Geduld und Ausdauer dem Studium der wirklichen Natur hingiebt, ehe er sich an den Werktisch setzt. Nenne mir den federgewandten Mann, der keine Anstrengung, keine Rücksichtslosigkeit scheut, um in sein schöngeistiges Werk die höchstmögliche Summe von lebendiger Wirklichkeit, von treuer expcrimentirter Beobachtung knapp und gewissenhaft hineinzuarbeiten! Überall herrscht die Virtuosität der Phrase, die Bequemlichkeit der brillanten Mache, das Spiel der Geistreichelei und Schönthuerei. Dieses nichtsnutzige Wesen trifft man nicht nur bei den Schreibern, sondern auch bei den Zeichnern und Malern von der heiligen Schablone und Tradition Gnaden. Und das liebe Publikum ist stumpfsinnig und verbildet genug, um an diesem Unfuge Geschmack zu finden, ja ihn als Reichtum einer wohlgeborner Phantasie zu preisen. So kann natürlich die künstlerische Gewissenhaftigkeit niemals zu ihrem schönen Rechte, noch zu lohnender Anerkennung gelangen. Denn die Kritik macht gemeinsame Sache mit den schöngeistigen Unfugtreibern und hat nicht Verachtung genug für die wissenschaftliche Exaktheit, für die strenge Wahrhaftigkeit, für die peinliche Ana¬ lyse in der Kunst. Das gilt ihr ja alles für eitel Sterilität und wüsten museu- verlassenen Naturalismus.--Also zum Teufel mit der naturalistischen Ästhetik, der unbequemen Unterordnung unter die Wahrheit. Es lebe das Phantom, es herrsche die Fabel, es blühe der pompöse Lügenstil. Amen!" Angesichts solcher Tiraden wird es denn doch gestattet sein, die Frage aufzuwerfen, wie viel Anstrengung und künstlerische Gewissenhaftigkeit (neben der goldnen Rücksichtslosigkeit, die wir Conrad nicht bestreiten wollen) dazu gehört, um die erotischen Erinnerungen des Herrn Knöbelseder, die Erinnerungen an „die Kuhmagd und Aphrodite von Feldmoching" und die Schilderung des Schäferstündleins mit ihr heraufzubeschwören? Welcher wissenschaftlichen Exakt¬ heit und experimentirten Beobachtung es bedarf, um Figuren wie den ver- kommnen Kommerzienrat Blunzenmeyer oder den ultramontanen Malcrprvfcssor Korbinian schnellerer in Szene zu setzen? Wir sagen nicht, daß diese Figuren unwahr wäre», und geben zu, daß sie in dem Gesamtrahmen des Bildes ihren Platz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/189>, abgerufen am 04.07.2024.