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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges.

die Ansicht äußerten: "Der Spanier werde das, was er sich durch das Schwert
erkämpft habe, nicht an Feder und Papier ausliefern." In Venedig kam man
zu derselben Überzeugung, daß das Werk des Schwertes nur durch das Schwert
rückgängig gemacht werden könne; als der spanische Gesandte Graf Onnate,
derselbe, welcher in Wallensteins Geschichte eine so bedeutsame Rolle spielt, dem
Botschafter der Republik, Gritti, die Gleichheit verweigerte, welche seit Jahr¬
hunderten an allen Höfen den Vertretern des Dogen eingeräumt war, und
Gritti die Wahrnehmung machen mußte, daß der spanische Minister in Wien
"mehr ein Diktator sei als ein Gesandter" -- da entschloß sich der Rat, seinen
Vertreter im März 1622 von Wien abzuberufen, "weil die Selbstachtung der
Republik nicht erlaube, zuzusehen, wie gegen ihren Gesandten ein neuer Stil
und neue Gepflogenheiten in Anwendung kämen." Der Kaiser gab hierauf
eine vieldeutige Antwort, worin er indessen doch die Republik seiner besten Ge¬
sinnungen versicherte. Abhilfe aber gewährte er doch nicht; er griff nicht
direkt in die spanisch-venetianische Verwicklung ein; aber wo seine Sympathien
sein mußten, war nicht zweifelhaft. So schlössen Venedig, Frankreich und
Savoyen im Februar 1623 die Liga von Lyon, als deren Zweck die Vertreibung
der Spanier und des Erzherzogs Leopold aus dem Valtellin bezeichnet wurde,
welches an die "Bünde" zurückgegeben werden sollte. Frankreich verhieß 15-
bis 18000 Fußgänger und 2000 Reiter auszurüsten, Venedig 10- bis 12000
Fußgänger und 2000 Reiter, der Herzog von Savoyen 8000 Fußgänger und
2000 Reiter; alles in allem sollte sonach das Heer der Liga 33- bis 38000
Mann zu Fuß und 6000 Reiter oder etwa 40000 Mann im ganzen zählen. Für
eine vom Grafen von Mansfeld auszuführende Diversion sollten 900000 Livres
aufgebracht werden, die Hälfte von Frankreich, ein Drittel von Venedig, ein
Sechstel von Savoyen; im Falle eines Angriffes auf einen der verbündeten
Staaten, gehe er nun von Spanien direkt aus oder " von andern unter ihrem
Namen," wollten sich die Verbündeten mit 9000, 6000 und S000 Mann bei¬
stehen. Venedig erreichte durch diese Liga, was es brauchte, Sicherheit gegen
ein Zusammenwirken der beiden Linien der Casa d'Austria gegen sein Dasein:
am 11. Februar 1623 wurde der Vertrag von dem Rate mit 145 gegen 19
Stimmen angenommen. Der Bund von Lyon hatte noch eine andre Folge:
"er hat Richelieu den Weg in den Staatsrat geebnet; denn er hat Frankreich
eine Aufgabe gestellt, welche zu lösen die alten Räte der Krone nicht gewachsen
waren." In Venedig aber hatte man allen Grund, stolz zu sein, daß man sich
nicht früher die Hände gebunden, sondern in der Vereinzelung ausgehalten hatte;
jetzt erst hatte man einen Vertrag in der Hand, welcher Spaniens Weltmacht¬
gelüsten ein mächtiges Hindernis in den Weg schob und ihm in ganz andrer
Weise Schach bot, als dies durch einen Bund mit dem Pfälzer oder Bethlen
Gabor hätte geschehen können; die Republik hatte mit gewohnter Umsicht ver¬
standen, ihre Zeit abzuwarten.


Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges.

die Ansicht äußerten: „Der Spanier werde das, was er sich durch das Schwert
erkämpft habe, nicht an Feder und Papier ausliefern." In Venedig kam man
zu derselben Überzeugung, daß das Werk des Schwertes nur durch das Schwert
rückgängig gemacht werden könne; als der spanische Gesandte Graf Onnate,
derselbe, welcher in Wallensteins Geschichte eine so bedeutsame Rolle spielt, dem
Botschafter der Republik, Gritti, die Gleichheit verweigerte, welche seit Jahr¬
hunderten an allen Höfen den Vertretern des Dogen eingeräumt war, und
Gritti die Wahrnehmung machen mußte, daß der spanische Minister in Wien
„mehr ein Diktator sei als ein Gesandter" — da entschloß sich der Rat, seinen
Vertreter im März 1622 von Wien abzuberufen, „weil die Selbstachtung der
Republik nicht erlaube, zuzusehen, wie gegen ihren Gesandten ein neuer Stil
und neue Gepflogenheiten in Anwendung kämen." Der Kaiser gab hierauf
eine vieldeutige Antwort, worin er indessen doch die Republik seiner besten Ge¬
sinnungen versicherte. Abhilfe aber gewährte er doch nicht; er griff nicht
direkt in die spanisch-venetianische Verwicklung ein; aber wo seine Sympathien
sein mußten, war nicht zweifelhaft. So schlössen Venedig, Frankreich und
Savoyen im Februar 1623 die Liga von Lyon, als deren Zweck die Vertreibung
der Spanier und des Erzherzogs Leopold aus dem Valtellin bezeichnet wurde,
welches an die „Bünde" zurückgegeben werden sollte. Frankreich verhieß 15-
bis 18000 Fußgänger und 2000 Reiter auszurüsten, Venedig 10- bis 12000
Fußgänger und 2000 Reiter, der Herzog von Savoyen 8000 Fußgänger und
2000 Reiter; alles in allem sollte sonach das Heer der Liga 33- bis 38000
Mann zu Fuß und 6000 Reiter oder etwa 40000 Mann im ganzen zählen. Für
eine vom Grafen von Mansfeld auszuführende Diversion sollten 900000 Livres
aufgebracht werden, die Hälfte von Frankreich, ein Drittel von Venedig, ein
Sechstel von Savoyen; im Falle eines Angriffes auf einen der verbündeten
Staaten, gehe er nun von Spanien direkt aus oder „ von andern unter ihrem
Namen," wollten sich die Verbündeten mit 9000, 6000 und S000 Mann bei¬
stehen. Venedig erreichte durch diese Liga, was es brauchte, Sicherheit gegen
ein Zusammenwirken der beiden Linien der Casa d'Austria gegen sein Dasein:
am 11. Februar 1623 wurde der Vertrag von dem Rate mit 145 gegen 19
Stimmen angenommen. Der Bund von Lyon hatte noch eine andre Folge:
„er hat Richelieu den Weg in den Staatsrat geebnet; denn er hat Frankreich
eine Aufgabe gestellt, welche zu lösen die alten Räte der Krone nicht gewachsen
waren." In Venedig aber hatte man allen Grund, stolz zu sein, daß man sich
nicht früher die Hände gebunden, sondern in der Vereinzelung ausgehalten hatte;
jetzt erst hatte man einen Vertrag in der Hand, welcher Spaniens Weltmacht¬
gelüsten ein mächtiges Hindernis in den Weg schob und ihm in ganz andrer
Weise Schach bot, als dies durch einen Bund mit dem Pfälzer oder Bethlen
Gabor hätte geschehen können; die Republik hatte mit gewohnter Umsicht ver¬
standen, ihre Zeit abzuwarten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/178>, abgerufen am 24.07.2024.