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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

Produkte gleich, und keinem von beiden Teilen ist geholfen. schweren Herzens
muß sich schließlich ein Arbeitsstoffbesitzcr nach dem andern zur Produktions-
vcrmindernng entschließen, es wird stiller in den Werken, wo eine Zeit lang so
lautes Leben geherrscht hatte, aber es ist die Stille vor dem Sturm; denn
mit der Einschränkung der Produktion ist auch die Krisis ihrem Höhepunkt
am nächsten gekommen. War seither bei dem Mangel einer richtigen Thätigkeit
der Güterverteilung bei allem Produktenüberflusse Sparen und wieder Sparen
der Wahlspruch der weitesten Kreise geworden, so tritt mit dem zunehmenden
Mangel an Arbeitsgelegenheit geradezu der Hunger vor die Thüre zahlreicher
Arbeitskraftbesitzer. Tausende von kleinern Arbeitsstosfbesitzern haben längst
diese Eigenschaft eingebüßt; sie sind im freigegebenen Kampfe ums Dasein, den
die Arbcitsstoffbesitzer untereinander führen, unterlegen und haben die Reihen
der Arbeitskraftbesitzer vermehrt, die ihrerseits denselben erbitterten Kampf um
die Arbeitsgelegenheit führen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, wie sich
immer mehr herausstellt, auf dem Wege einfachen Gehenlassens nicht mehr
möglich. Die menschliche Gesellschaft ist, wenn sie einmal so weit ist, am Ab¬
grunde angekommen, in den sie stürzen muß, wenn man das sreie Spiel der
wirtschaftlichen Kräfte noch ferner walten läßt. Während die Arbeitsstoffbesitzcr
sich gegenseitig im wilden Konkurrenzkampfe um die Produktenbeute zerfleischen,
bemächtigt sich der Arbeitskraftbesitzer dumpfe Verzweiflung. Die Bande der
Moral, schon vorher durch den allgemeinen Kampf um die Existenz stark ge¬
lockert, lösen sich immer mehr, und einzelne Ausbrüche wilder Leidenschaft, wie
sie die letzte Zeit in England, Frankreich und Belgien leider schon in hohem
Grade gezeitigt hat, mahnen wie naher, rollender Donner an das fürchterliche
Wetter, das sich über der Menschheit entladen wird, um gewaltsam zu lösen,
was auf gutem Wege zu entwirren jetzt nahezu unmöglich geworden ist.

Das Prinzip vollständiger Aufhebung aller persönlichen Gebundenheit und
unbeschränkter Herrschaft des Privateigentums hat abgewirtschaftet, weil die
Stärkeren bei diesem System Mißbrauch mit ihrer Herrschaft getrieben haben,
und die verdiente Strafe folgt auf dem Fuße nach. Wir haben oben gezeigt,
daß die Bestrebungen der persönlichen Gebundenheit und des Privateigentums M
einem umgekehrten Verhältnisse stehen, d. h. daß mit der zunehmenden Aus¬
bildung des Privateigentums eine Abnahme der persönlichen Gebundenheit, und
umgekehrt mit der Zunahme der persönlichen Gebundenheit eine Minderung des
Privateigentums verbunden ist. Dieser Lehrsatz wird auch hier wieder in sein
Recht treten- Die Sicherung der Existenzbedingungen der menschlichen Gesell¬
schaft wird eine Einschränkung des bestehenden übertriebenen Privateigentumsrechts
und eine Steigerung der persönlichen Gebundenheit durch das bestehende Recht
zur dringenden Notwendigkeit machen. Mehr und mehr wird sich herausstellen,
daß man sich in einem Extrem befand, indem man die Ordnung der mensch¬
lichen Gesellschaft ohne Einschränkung der Individualität zum Wirtschafts-


Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

Produkte gleich, und keinem von beiden Teilen ist geholfen. schweren Herzens
muß sich schließlich ein Arbeitsstoffbesitzcr nach dem andern zur Produktions-
vcrmindernng entschließen, es wird stiller in den Werken, wo eine Zeit lang so
lautes Leben geherrscht hatte, aber es ist die Stille vor dem Sturm; denn
mit der Einschränkung der Produktion ist auch die Krisis ihrem Höhepunkt
am nächsten gekommen. War seither bei dem Mangel einer richtigen Thätigkeit
der Güterverteilung bei allem Produktenüberflusse Sparen und wieder Sparen
der Wahlspruch der weitesten Kreise geworden, so tritt mit dem zunehmenden
Mangel an Arbeitsgelegenheit geradezu der Hunger vor die Thüre zahlreicher
Arbeitskraftbesitzer. Tausende von kleinern Arbeitsstosfbesitzern haben längst
diese Eigenschaft eingebüßt; sie sind im freigegebenen Kampfe ums Dasein, den
die Arbcitsstoffbesitzer untereinander führen, unterlegen und haben die Reihen
der Arbeitskraftbesitzer vermehrt, die ihrerseits denselben erbitterten Kampf um
die Arbeitsgelegenheit führen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist, wie sich
immer mehr herausstellt, auf dem Wege einfachen Gehenlassens nicht mehr
möglich. Die menschliche Gesellschaft ist, wenn sie einmal so weit ist, am Ab¬
grunde angekommen, in den sie stürzen muß, wenn man das sreie Spiel der
wirtschaftlichen Kräfte noch ferner walten läßt. Während die Arbeitsstoffbesitzcr
sich gegenseitig im wilden Konkurrenzkampfe um die Produktenbeute zerfleischen,
bemächtigt sich der Arbeitskraftbesitzer dumpfe Verzweiflung. Die Bande der
Moral, schon vorher durch den allgemeinen Kampf um die Existenz stark ge¬
lockert, lösen sich immer mehr, und einzelne Ausbrüche wilder Leidenschaft, wie
sie die letzte Zeit in England, Frankreich und Belgien leider schon in hohem
Grade gezeitigt hat, mahnen wie naher, rollender Donner an das fürchterliche
Wetter, das sich über der Menschheit entladen wird, um gewaltsam zu lösen,
was auf gutem Wege zu entwirren jetzt nahezu unmöglich geworden ist.

Das Prinzip vollständiger Aufhebung aller persönlichen Gebundenheit und
unbeschränkter Herrschaft des Privateigentums hat abgewirtschaftet, weil die
Stärkeren bei diesem System Mißbrauch mit ihrer Herrschaft getrieben haben,
und die verdiente Strafe folgt auf dem Fuße nach. Wir haben oben gezeigt,
daß die Bestrebungen der persönlichen Gebundenheit und des Privateigentums M
einem umgekehrten Verhältnisse stehen, d. h. daß mit der zunehmenden Aus¬
bildung des Privateigentums eine Abnahme der persönlichen Gebundenheit, und
umgekehrt mit der Zunahme der persönlichen Gebundenheit eine Minderung des
Privateigentums verbunden ist. Dieser Lehrsatz wird auch hier wieder in sein
Recht treten- Die Sicherung der Existenzbedingungen der menschlichen Gesell¬
schaft wird eine Einschränkung des bestehenden übertriebenen Privateigentumsrechts
und eine Steigerung der persönlichen Gebundenheit durch das bestehende Recht
zur dringenden Notwendigkeit machen. Mehr und mehr wird sich herausstellen,
daß man sich in einem Extrem befand, indem man die Ordnung der mensch¬
lichen Gesellschaft ohne Einschränkung der Individualität zum Wirtschafts-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/168>, abgerufen am 29.12.2024.