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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

worfen. Große Ozeandampfer trugen Berge von Brotfrüchten übers Meer
herüber ans neuerschlossenen fernen Ländern. Und noch immer häuften sich
die Produkte auf dem Weltmarkte, daß man schließlich die doppelte Menschen¬
zahl mit ihnen hätte befriedigen können, und harrten des wichtigsten Faktors
bei dem ganzen Prozesse: der Konsumenten.

Wir sind damit in der Gegenwart angekommen, die weitere Handlung des
Schauspiels spielt sich zum Teil gegenwärtig ab, oder sie gehört erst der nähern
oder fernern Zukunft an, je nachdem sich die Verhältnisse in den einzelnen Staaten
der modernen Kulturwelt rascher oder langsamer entwickelt haben.

Es stellt sich jetzt ein Faktor in der Rechnung heraus, mit dem die Arbeits-
stofsbesitzer nicht gerechnet hatten. Wohl umstehen die Arbeitskraftbesitzer in
hellen Haufen den Markt und bewundern alle die Schätze, die da aufgehäuft
sind, ihre lüsternen Augen zeigen auch deutlich, daß sie dieselben gar zu gern
für sich erwerben würden, aber wie sollen sie das können? Hatte man sie doch,
nachdem die Hochflut der Übergangszeit vorbeigcrauscht war, entlassen, weil jetzt
die Maschinen ihr Geschäft besorgen konnten, hatte man doch die, welche man
nicht entbehren konnte, in geschickter Ausnutzung des herrschenden Arbciterüber-
slnsses auf so schmalen Anteil wie möglich gesetzt. So fehlt den Arbeitsstosf-
besitzern gar bald die Hauptsache, der Verbrauch ihrer Produkte. Wohl haben sie
die Produkte in reicher Menge für sich, aber sie wollen diese nicht behalten,
sondern weggeben und immer neue, weitere Produkte damit erzeugen. Die
Arbeitsstoffbesitzer haben eben nicht überlegt, daß die Arbeitskraftbesitzer auch
wieder die Konsumenten sind, daß, wie Leon Sah richtig bemerkt, "Produkte ebeu
nur mit Produkten gekauft werden," und eine zu ungleiche Verteilung der Pro¬
dukte unter die, welche bei deren Erzeugung mitgewirkt haben, wie das von
Kirchmann so treffend nachgewiesen hat, notwendig zu Absatzkrisen schlimmster
Art führen muß. Es entsteht ein unhaltbarer Zustand betreffs der Verteilung
des Nationalprodukts, der als nächste Folge mit sich bringt, daß die Arbeits¬
stoffbesitzer sich selbst den Krieg erklären, indem sie durch Herabsetzung des
Preises ihrer Produkte sich gegenseitig den Konsumenten gegenüber den Rang
abzulaufen suchen, eine Maßregel, durch welche ein stetiges Sinken der Preise
eintritt, das wahrscheinlich noch dadurch vermehrt wird, daß der Einzelne glaubt,
durch Vergrößerung seines Betriebes größern Absatz erzielen und damit den
verminderten Nutzen wieder steigern zu können; ein verzweifeltes Mittel, denn
die Prvduktenmenge steigt dadurch noch mehr, und der Marktpreis der Waaren
sinkt immer weiter.

Wie aber die Arbeitsstoffbesitzer sich gegenseitig durch Herabsetzung der
Preise des Produkts bekriegen, so machen es Hand in Hand damit die Arbeits-
kraftbesitzcr mit dem Preise ihrer Arbeitskraft, d. h. mit dem Arbeitsverdienst.
Werden die Produkte billiger, so können sie auch wieder billiger arbeiten. So
bleibt sich dann auch die Konsumtionsfähigkeit derselben wieder trotz der billigern


Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

worfen. Große Ozeandampfer trugen Berge von Brotfrüchten übers Meer
herüber ans neuerschlossenen fernen Ländern. Und noch immer häuften sich
die Produkte auf dem Weltmarkte, daß man schließlich die doppelte Menschen¬
zahl mit ihnen hätte befriedigen können, und harrten des wichtigsten Faktors
bei dem ganzen Prozesse: der Konsumenten.

Wir sind damit in der Gegenwart angekommen, die weitere Handlung des
Schauspiels spielt sich zum Teil gegenwärtig ab, oder sie gehört erst der nähern
oder fernern Zukunft an, je nachdem sich die Verhältnisse in den einzelnen Staaten
der modernen Kulturwelt rascher oder langsamer entwickelt haben.

Es stellt sich jetzt ein Faktor in der Rechnung heraus, mit dem die Arbeits-
stofsbesitzer nicht gerechnet hatten. Wohl umstehen die Arbeitskraftbesitzer in
hellen Haufen den Markt und bewundern alle die Schätze, die da aufgehäuft
sind, ihre lüsternen Augen zeigen auch deutlich, daß sie dieselben gar zu gern
für sich erwerben würden, aber wie sollen sie das können? Hatte man sie doch,
nachdem die Hochflut der Übergangszeit vorbeigcrauscht war, entlassen, weil jetzt
die Maschinen ihr Geschäft besorgen konnten, hatte man doch die, welche man
nicht entbehren konnte, in geschickter Ausnutzung des herrschenden Arbciterüber-
slnsses auf so schmalen Anteil wie möglich gesetzt. So fehlt den Arbeitsstosf-
besitzern gar bald die Hauptsache, der Verbrauch ihrer Produkte. Wohl haben sie
die Produkte in reicher Menge für sich, aber sie wollen diese nicht behalten,
sondern weggeben und immer neue, weitere Produkte damit erzeugen. Die
Arbeitsstoffbesitzer haben eben nicht überlegt, daß die Arbeitskraftbesitzer auch
wieder die Konsumenten sind, daß, wie Leon Sah richtig bemerkt, „Produkte ebeu
nur mit Produkten gekauft werden," und eine zu ungleiche Verteilung der Pro¬
dukte unter die, welche bei deren Erzeugung mitgewirkt haben, wie das von
Kirchmann so treffend nachgewiesen hat, notwendig zu Absatzkrisen schlimmster
Art führen muß. Es entsteht ein unhaltbarer Zustand betreffs der Verteilung
des Nationalprodukts, der als nächste Folge mit sich bringt, daß die Arbeits¬
stoffbesitzer sich selbst den Krieg erklären, indem sie durch Herabsetzung des
Preises ihrer Produkte sich gegenseitig den Konsumenten gegenüber den Rang
abzulaufen suchen, eine Maßregel, durch welche ein stetiges Sinken der Preise
eintritt, das wahrscheinlich noch dadurch vermehrt wird, daß der Einzelne glaubt,
durch Vergrößerung seines Betriebes größern Absatz erzielen und damit den
verminderten Nutzen wieder steigern zu können; ein verzweifeltes Mittel, denn
die Prvduktenmenge steigt dadurch noch mehr, und der Marktpreis der Waaren
sinkt immer weiter.

Wie aber die Arbeitsstoffbesitzer sich gegenseitig durch Herabsetzung der
Preise des Produkts bekriegen, so machen es Hand in Hand damit die Arbeits-
kraftbesitzcr mit dem Preise ihrer Arbeitskraft, d. h. mit dem Arbeitsverdienst.
Werden die Produkte billiger, so können sie auch wieder billiger arbeiten. So
bleibt sich dann auch die Konsumtionsfähigkeit derselben wieder trotz der billigern


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[0167] Kritische Beiträge zur sozialen Frage. worfen. Große Ozeandampfer trugen Berge von Brotfrüchten übers Meer herüber ans neuerschlossenen fernen Ländern. Und noch immer häuften sich die Produkte auf dem Weltmarkte, daß man schließlich die doppelte Menschen¬ zahl mit ihnen hätte befriedigen können, und harrten des wichtigsten Faktors bei dem ganzen Prozesse: der Konsumenten. Wir sind damit in der Gegenwart angekommen, die weitere Handlung des Schauspiels spielt sich zum Teil gegenwärtig ab, oder sie gehört erst der nähern oder fernern Zukunft an, je nachdem sich die Verhältnisse in den einzelnen Staaten der modernen Kulturwelt rascher oder langsamer entwickelt haben. Es stellt sich jetzt ein Faktor in der Rechnung heraus, mit dem die Arbeits- stofsbesitzer nicht gerechnet hatten. Wohl umstehen die Arbeitskraftbesitzer in hellen Haufen den Markt und bewundern alle die Schätze, die da aufgehäuft sind, ihre lüsternen Augen zeigen auch deutlich, daß sie dieselben gar zu gern für sich erwerben würden, aber wie sollen sie das können? Hatte man sie doch, nachdem die Hochflut der Übergangszeit vorbeigcrauscht war, entlassen, weil jetzt die Maschinen ihr Geschäft besorgen konnten, hatte man doch die, welche man nicht entbehren konnte, in geschickter Ausnutzung des herrschenden Arbciterüber- slnsses auf so schmalen Anteil wie möglich gesetzt. So fehlt den Arbeitsstosf- besitzern gar bald die Hauptsache, der Verbrauch ihrer Produkte. Wohl haben sie die Produkte in reicher Menge für sich, aber sie wollen diese nicht behalten, sondern weggeben und immer neue, weitere Produkte damit erzeugen. Die Arbeitsstoffbesitzer haben eben nicht überlegt, daß die Arbeitskraftbesitzer auch wieder die Konsumenten sind, daß, wie Leon Sah richtig bemerkt, „Produkte ebeu nur mit Produkten gekauft werden," und eine zu ungleiche Verteilung der Pro¬ dukte unter die, welche bei deren Erzeugung mitgewirkt haben, wie das von Kirchmann so treffend nachgewiesen hat, notwendig zu Absatzkrisen schlimmster Art führen muß. Es entsteht ein unhaltbarer Zustand betreffs der Verteilung des Nationalprodukts, der als nächste Folge mit sich bringt, daß die Arbeits¬ stoffbesitzer sich selbst den Krieg erklären, indem sie durch Herabsetzung des Preises ihrer Produkte sich gegenseitig den Konsumenten gegenüber den Rang abzulaufen suchen, eine Maßregel, durch welche ein stetiges Sinken der Preise eintritt, das wahrscheinlich noch dadurch vermehrt wird, daß der Einzelne glaubt, durch Vergrößerung seines Betriebes größern Absatz erzielen und damit den verminderten Nutzen wieder steigern zu können; ein verzweifeltes Mittel, denn die Prvduktenmenge steigt dadurch noch mehr, und der Marktpreis der Waaren sinkt immer weiter. Wie aber die Arbeitsstoffbesitzer sich gegenseitig durch Herabsetzung der Preise des Produkts bekriegen, so machen es Hand in Hand damit die Arbeits- kraftbesitzcr mit dem Preise ihrer Arbeitskraft, d. h. mit dem Arbeitsverdienst. Werden die Produkte billiger, so können sie auch wieder billiger arbeiten. So bleibt sich dann auch die Konsumtionsfähigkeit derselben wieder trotz der billigern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/167>, abgerufen am 22.07.2024.