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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

Viel besser von freien Arbeitern besorgen, die er jeden Tag wegschicken konnte,
wenn sie ihm entbehrlich wurden. Daß solche freie Arbeiter nicht teurer zu stehen
kommen als früher die Sklaven, dafür sorgte der Überschuß an menschlicher
Arbeitskraft, der durch die Einführung der Maschinen auf den Arbeitsmarkt ge¬
worfen wurde und den die Arbeiter selbst durch ihre zahlreiche Vermehrung
(xrolss) in überströmender Fülle in Vorrat hielten. Damit zeigt sich uns
freilich die Aufhebung der persönlichen Gebundenheit in einem weniger idealen
Lichte, als in dem sie die Freiheitsrufer von 1789 und 1848 erblickten. Sie
zeigt sich uns nicht mehr als eine politische Errungenschaft des nach Befreiung
strebenden Menschengeschlechts, sondern als die nüchterne praktische Folge der
durch die moderne Wirtschaftstcchnik gegebenen Änderung der Verhältnisse, als
eine selbstsüchtige Maßregel der besitzenden Klasse, des modernen Kapitalismus,
welcher gern die Vorteile der durch die moderne Maschinentechnik verbesserten
Produktionsmethode für sich behalten hätte und deshalb sehen mußte, wie er
die Verpflichtung los wurde, Leute zu erhalten, deren Arbeitskraft er nicht mehr
bedürfte. Der Unterschied zwischen Sonst und Jetzt ist also der, daß, während
vorher der Arbeitskraftherr durch seine Sklaven Produziren ließ, mit dem er¬
haltenen Produkte sodann seine Sklaven ernährte, wozu er gesetzlich verpflichtet
war, und den Rest für sich behielt, jetzt der Arbeitskraftherr zu bestehen auf¬
gehört hat und statt Herr und Sklave sich freie Staatsbürger gegenüberstehen.
Aber nur theoretisch hat dieser Unterschied aufgehört, praktisch ist die Sache
dieselbe geblieben. Ohne Arbeitsstoff kein Arbeitsprodukt, so wenig wie ohne
Arbeitskraft; da nun der Arbeitsstoff durch die zunehmende Entwicklung des
Privateigentums in ungleichster Weise unter die einzelnen Individuen verteilt
ist, so sind eben alle, welche keinen oder nur ungenügenden Arbeitsstoff besitzen,
genötigt, ihre Arbeitskraft den Besitzern des Arbeitsstoffes mehr oder weniger
zur Verfügung zu stellen, und diese werden ihnen dann einen gewissen Teil des
gewonnenen, nach dem bestehenden Rechte den Arbeitsstoffbesitzern gehörigen
Produktes als Entschädigung zukommen lassen.

Wir siud damit an der wichtigsten Frage der modernen Volkswirtschaft
angekommen, an der Frage von der Verteilung des Arbeitsproduktes.

Wie wir gezeigt haben, gehört heute das Arbeitsprodukt zunächst dem Be¬
sitzer des Arbeitsstoffes, der seinerseits wieder dem Besitzer der Arbeitskraft
einen verhältnismäßigen Anteil des genannten Produkts als Entgelt für seine
Thätigkeit zukommen läßt, sodaß sich also die bei jeder Arbeit gewonnene Menge
jeglichen Produkts in zwei Teile teilt, in den Anteil des Arbeitsstoffbesitzers
und in den Anteil des Arbeitskraftbesitzers.

Man muß sich nunmehr bei Verfolg dieser Theorie in erster Linie klar
sein, daß unter Arbeitskraftbesitzer überhaupt jeder Mensch zu verstehen ist, der
in irgendeiner Weise produktiv thätig ist. Arbeitskraftbesitzer oder schlechtweg
Arbeiter in diesem Sinne ist also nicht bloß der Fabrikarbeiter oder Bauers-


Kritische Beiträge zur sozialen Frage.

Viel besser von freien Arbeitern besorgen, die er jeden Tag wegschicken konnte,
wenn sie ihm entbehrlich wurden. Daß solche freie Arbeiter nicht teurer zu stehen
kommen als früher die Sklaven, dafür sorgte der Überschuß an menschlicher
Arbeitskraft, der durch die Einführung der Maschinen auf den Arbeitsmarkt ge¬
worfen wurde und den die Arbeiter selbst durch ihre zahlreiche Vermehrung
(xrolss) in überströmender Fülle in Vorrat hielten. Damit zeigt sich uns
freilich die Aufhebung der persönlichen Gebundenheit in einem weniger idealen
Lichte, als in dem sie die Freiheitsrufer von 1789 und 1848 erblickten. Sie
zeigt sich uns nicht mehr als eine politische Errungenschaft des nach Befreiung
strebenden Menschengeschlechts, sondern als die nüchterne praktische Folge der
durch die moderne Wirtschaftstcchnik gegebenen Änderung der Verhältnisse, als
eine selbstsüchtige Maßregel der besitzenden Klasse, des modernen Kapitalismus,
welcher gern die Vorteile der durch die moderne Maschinentechnik verbesserten
Produktionsmethode für sich behalten hätte und deshalb sehen mußte, wie er
die Verpflichtung los wurde, Leute zu erhalten, deren Arbeitskraft er nicht mehr
bedürfte. Der Unterschied zwischen Sonst und Jetzt ist also der, daß, während
vorher der Arbeitskraftherr durch seine Sklaven Produziren ließ, mit dem er¬
haltenen Produkte sodann seine Sklaven ernährte, wozu er gesetzlich verpflichtet
war, und den Rest für sich behielt, jetzt der Arbeitskraftherr zu bestehen auf¬
gehört hat und statt Herr und Sklave sich freie Staatsbürger gegenüberstehen.
Aber nur theoretisch hat dieser Unterschied aufgehört, praktisch ist die Sache
dieselbe geblieben. Ohne Arbeitsstoff kein Arbeitsprodukt, so wenig wie ohne
Arbeitskraft; da nun der Arbeitsstoff durch die zunehmende Entwicklung des
Privateigentums in ungleichster Weise unter die einzelnen Individuen verteilt
ist, so sind eben alle, welche keinen oder nur ungenügenden Arbeitsstoff besitzen,
genötigt, ihre Arbeitskraft den Besitzern des Arbeitsstoffes mehr oder weniger
zur Verfügung zu stellen, und diese werden ihnen dann einen gewissen Teil des
gewonnenen, nach dem bestehenden Rechte den Arbeitsstoffbesitzern gehörigen
Produktes als Entschädigung zukommen lassen.

Wir siud damit an der wichtigsten Frage der modernen Volkswirtschaft
angekommen, an der Frage von der Verteilung des Arbeitsproduktes.

Wie wir gezeigt haben, gehört heute das Arbeitsprodukt zunächst dem Be¬
sitzer des Arbeitsstoffes, der seinerseits wieder dem Besitzer der Arbeitskraft
einen verhältnismäßigen Anteil des genannten Produkts als Entgelt für seine
Thätigkeit zukommen läßt, sodaß sich also die bei jeder Arbeit gewonnene Menge
jeglichen Produkts in zwei Teile teilt, in den Anteil des Arbeitsstoffbesitzers
und in den Anteil des Arbeitskraftbesitzers.

Man muß sich nunmehr bei Verfolg dieser Theorie in erster Linie klar
sein, daß unter Arbeitskraftbesitzer überhaupt jeder Mensch zu verstehen ist, der
in irgendeiner Weise produktiv thätig ist. Arbeitskraftbesitzer oder schlechtweg
Arbeiter in diesem Sinne ist also nicht bloß der Fabrikarbeiter oder Bauers-


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[0163] Kritische Beiträge zur sozialen Frage. Viel besser von freien Arbeitern besorgen, die er jeden Tag wegschicken konnte, wenn sie ihm entbehrlich wurden. Daß solche freie Arbeiter nicht teurer zu stehen kommen als früher die Sklaven, dafür sorgte der Überschuß an menschlicher Arbeitskraft, der durch die Einführung der Maschinen auf den Arbeitsmarkt ge¬ worfen wurde und den die Arbeiter selbst durch ihre zahlreiche Vermehrung (xrolss) in überströmender Fülle in Vorrat hielten. Damit zeigt sich uns freilich die Aufhebung der persönlichen Gebundenheit in einem weniger idealen Lichte, als in dem sie die Freiheitsrufer von 1789 und 1848 erblickten. Sie zeigt sich uns nicht mehr als eine politische Errungenschaft des nach Befreiung strebenden Menschengeschlechts, sondern als die nüchterne praktische Folge der durch die moderne Wirtschaftstcchnik gegebenen Änderung der Verhältnisse, als eine selbstsüchtige Maßregel der besitzenden Klasse, des modernen Kapitalismus, welcher gern die Vorteile der durch die moderne Maschinentechnik verbesserten Produktionsmethode für sich behalten hätte und deshalb sehen mußte, wie er die Verpflichtung los wurde, Leute zu erhalten, deren Arbeitskraft er nicht mehr bedürfte. Der Unterschied zwischen Sonst und Jetzt ist also der, daß, während vorher der Arbeitskraftherr durch seine Sklaven Produziren ließ, mit dem er¬ haltenen Produkte sodann seine Sklaven ernährte, wozu er gesetzlich verpflichtet war, und den Rest für sich behielt, jetzt der Arbeitskraftherr zu bestehen auf¬ gehört hat und statt Herr und Sklave sich freie Staatsbürger gegenüberstehen. Aber nur theoretisch hat dieser Unterschied aufgehört, praktisch ist die Sache dieselbe geblieben. Ohne Arbeitsstoff kein Arbeitsprodukt, so wenig wie ohne Arbeitskraft; da nun der Arbeitsstoff durch die zunehmende Entwicklung des Privateigentums in ungleichster Weise unter die einzelnen Individuen verteilt ist, so sind eben alle, welche keinen oder nur ungenügenden Arbeitsstoff besitzen, genötigt, ihre Arbeitskraft den Besitzern des Arbeitsstoffes mehr oder weniger zur Verfügung zu stellen, und diese werden ihnen dann einen gewissen Teil des gewonnenen, nach dem bestehenden Rechte den Arbeitsstoffbesitzern gehörigen Produktes als Entschädigung zukommen lassen. Wir siud damit an der wichtigsten Frage der modernen Volkswirtschaft angekommen, an der Frage von der Verteilung des Arbeitsproduktes. Wie wir gezeigt haben, gehört heute das Arbeitsprodukt zunächst dem Be¬ sitzer des Arbeitsstoffes, der seinerseits wieder dem Besitzer der Arbeitskraft einen verhältnismäßigen Anteil des genannten Produkts als Entgelt für seine Thätigkeit zukommen läßt, sodaß sich also die bei jeder Arbeit gewonnene Menge jeglichen Produkts in zwei Teile teilt, in den Anteil des Arbeitsstoffbesitzers und in den Anteil des Arbeitskraftbesitzers. Man muß sich nunmehr bei Verfolg dieser Theorie in erster Linie klar sein, daß unter Arbeitskraftbesitzer überhaupt jeder Mensch zu verstehen ist, der in irgendeiner Weise produktiv thätig ist. Arbeitskraftbesitzer oder schlechtweg Arbeiter in diesem Sinne ist also nicht bloß der Fabrikarbeiter oder Bauers-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/163>, abgerufen am 22.07.2024.