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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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mehr thun wird, das werden lediglich die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse
entscheiden. Da aber, wie wir gezeigt haben, der Mangel schon eines von
beiden Faktoren vollständig genügt, wird eben die obige Thatsache eintreten, daß
mit der Zunahme der einen Beschränkung eine Minderung der andern Be¬
schränkung verbunden sein wird, und umgekehrt. Die sittliche Berechtigung des
Stärkern zur Ausübung dieser Beschränkung liegt in der Thatsache, daß ohne
Zwang ein Bestehen der menschlichen Gesellschaft nicht denkbar ist, wie denn
auch Jhering sehr hübsch das Recht als die Sicherung der Existenzbedingungen
der Gesellschaft durch den Zwang bezeichnet. Ihr sittliches Korrektiv aber
findet diese Herrschaft der stärkern Elemente in der göttlichen Weltordnung,
welche jedem Mißbrauch der Herrschaft durch den Stärkern die gerechte Strafe
folgen läßt.

Die Entwicklungsgeschichte der Völker zeigt uns also, daß im Anfange der
wirtschaftlichen Entwicklung infolge des Überflusses an Arbeitsstoff bei schwach
bevölkerten Erdboden die Sklaverei als äußerste Art der Herrschaft über die
menschliche Arbeitskraft sich ziemlich folgerecht durchgeführt findet. Diese That¬
sache erklärt sich sehr einfach daraus, daß bei der unter den obwaltenden Ver¬
hältnissen gegebenen Leichtigkeit, die zum Unterhalte einer in der Kultur uoch
wenig vorgeschrittenen herrschenden Klasse notwendigen Bedürfnisse zu befriedigen,
eine extensive Arbeit, wie sie die Sklaverei ja nur gewähren kann, vollständig ge¬
nügt. Erst mit der Zunahme der Bevölkerung und ihrer Kulturbedürfnisse steigt
der Wert des Arbeitsstoffes und damit die Ausbildung des Privateigentums,
gleichzeitig macht sich aber auch durch die gesteigerte Schwierigkeit der Bedürfnis¬
befriedigung die Notwendigkeit einer intensiven Produktionsmethode geltend.
Sklaven werden mehr und mehr ein teures Arbeitsmaterial; denn sie wollen
erhalten sein und arbeiten verhältnismäßig schlecht, und so werden Verbesserungen
ersonnen und Erfindungen gemacht, welche geeignet sind, einen Teil der mensch¬
lichen Arbeitskraft durch andre billigere Kräfte zu ersetzen. Ein Bodenbesitzer
z. B. findet, daß ein Pflug, von gezähmten Tieren gezogen, eine billigere Pro¬
duktionskraft ist als eine Anzahl Menschen mit der Hacke, und so folgt eine
Erfindung der andern von der Verwendung von Haustieren und den einfachsten
Geräten bis zur Dampfmaschine und Elektrizität. Alle diese Verbesserungen
der Produktionstechnik sind von dem Gedanken geleitet, dem Besitzer des Arbeits¬
stoffes eine billigere Arbeitskraft zu verschaffen, als es die menschliche ist. Von
welchen Erfolgen diese Bestrebungen namentlich in den letzten hundert Jahren
begleitet waren, wer brauchte es zu beschreiben? Aber wer würde hierbei nicht
auch begreifen, daß der Besitz einer großen Zahl von Sklaven oder Leibeigenen
mit der Verpflichtung, diese jahraus jahrein zu erhalten, dem Besitzer unter
den veränderten Verhältnissen nicht mehr ein Vorteil, sondern geradezu eine
Last gewesen wäre! Was sollte er noch Sklaven halten, er hatte ja seine
Maschinen und ließ die Verrichtungen, welche diese nicht übernehmen konnten,


Kritische Beiträge zur sozialen^Frage.

mehr thun wird, das werden lediglich die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse
entscheiden. Da aber, wie wir gezeigt haben, der Mangel schon eines von
beiden Faktoren vollständig genügt, wird eben die obige Thatsache eintreten, daß
mit der Zunahme der einen Beschränkung eine Minderung der andern Be¬
schränkung verbunden sein wird, und umgekehrt. Die sittliche Berechtigung des
Stärkern zur Ausübung dieser Beschränkung liegt in der Thatsache, daß ohne
Zwang ein Bestehen der menschlichen Gesellschaft nicht denkbar ist, wie denn
auch Jhering sehr hübsch das Recht als die Sicherung der Existenzbedingungen
der Gesellschaft durch den Zwang bezeichnet. Ihr sittliches Korrektiv aber
findet diese Herrschaft der stärkern Elemente in der göttlichen Weltordnung,
welche jedem Mißbrauch der Herrschaft durch den Stärkern die gerechte Strafe
folgen läßt.

Die Entwicklungsgeschichte der Völker zeigt uns also, daß im Anfange der
wirtschaftlichen Entwicklung infolge des Überflusses an Arbeitsstoff bei schwach
bevölkerten Erdboden die Sklaverei als äußerste Art der Herrschaft über die
menschliche Arbeitskraft sich ziemlich folgerecht durchgeführt findet. Diese That¬
sache erklärt sich sehr einfach daraus, daß bei der unter den obwaltenden Ver¬
hältnissen gegebenen Leichtigkeit, die zum Unterhalte einer in der Kultur uoch
wenig vorgeschrittenen herrschenden Klasse notwendigen Bedürfnisse zu befriedigen,
eine extensive Arbeit, wie sie die Sklaverei ja nur gewähren kann, vollständig ge¬
nügt. Erst mit der Zunahme der Bevölkerung und ihrer Kulturbedürfnisse steigt
der Wert des Arbeitsstoffes und damit die Ausbildung des Privateigentums,
gleichzeitig macht sich aber auch durch die gesteigerte Schwierigkeit der Bedürfnis¬
befriedigung die Notwendigkeit einer intensiven Produktionsmethode geltend.
Sklaven werden mehr und mehr ein teures Arbeitsmaterial; denn sie wollen
erhalten sein und arbeiten verhältnismäßig schlecht, und so werden Verbesserungen
ersonnen und Erfindungen gemacht, welche geeignet sind, einen Teil der mensch¬
lichen Arbeitskraft durch andre billigere Kräfte zu ersetzen. Ein Bodenbesitzer
z. B. findet, daß ein Pflug, von gezähmten Tieren gezogen, eine billigere Pro¬
duktionskraft ist als eine Anzahl Menschen mit der Hacke, und so folgt eine
Erfindung der andern von der Verwendung von Haustieren und den einfachsten
Geräten bis zur Dampfmaschine und Elektrizität. Alle diese Verbesserungen
der Produktionstechnik sind von dem Gedanken geleitet, dem Besitzer des Arbeits¬
stoffes eine billigere Arbeitskraft zu verschaffen, als es die menschliche ist. Von
welchen Erfolgen diese Bestrebungen namentlich in den letzten hundert Jahren
begleitet waren, wer brauchte es zu beschreiben? Aber wer würde hierbei nicht
auch begreifen, daß der Besitz einer großen Zahl von Sklaven oder Leibeigenen
mit der Verpflichtung, diese jahraus jahrein zu erhalten, dem Besitzer unter
den veränderten Verhältnissen nicht mehr ein Vorteil, sondern geradezu eine
Last gewesen wäre! Was sollte er noch Sklaven halten, er hatte ja seine
Maschinen und ließ die Verrichtungen, welche diese nicht übernehmen konnten,


Kritische Beiträge zur sozialen^Frage.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/162>, abgerufen am 22.07.2024.